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«Sherpas zerstörten meinen Everest-Traum»

Nach den Sherpa-Attacken schockiert und zutiefst enttäuscht: Ueli Steck (rechts) und Simone Moro. Epic TV

Ueli Steck wird nie mehr an den Everest zurückkehren. Dies sagte der weltbekannte Schweizer Bergsteiger im Everest-Basislager im Gespräch mit swissinfo.ch, nachdem er und seine zwei Gefährten von Sherpas angegriffen und mit dem Tod bedroht worden waren.

«Mein Vertrauen ist weg. Ich kann nie mehr an diesen Berg zurückkehren», sagte ein emotional aufgewühlter Ueli Steck am 30. April im Basislager. Im Interview erklärt der für sein Geschwindigkeitsklettern bekannte Schweizer Alpinist den Zwischenfall vom Sonntag, 28. April, am höchsten Berg der Welt.

Der Zusammenstoss sei Ausdruck einer Wut gewesen, die sich während Jahren aufgebaut habe, sagte Steck. «Ein Graben zwischen zwei Welten», wie er es beschreibt.

Steck gibt zu, dass die Tätigkeiten seines Teams nach einer ersten Auseinandersetzung mit den die Seile für kommerzielle Expeditionen verlegenden Sherpas über dem Camp 2 die lokalen Bergführer provoziert haben könnten.

swissinfo.ch: Was genau ist dort oben geschehen? Warum wurden Sie angegriffen?

Ueli Steck: Ich suche immer noch nach einer Antwort. Ich glaube nicht, dass sie ein persönliches Problem mit unserem Team hatten, sondern dass es ein länger anhaltendes Problem ist, das in Nepal in der letzten Zeit aufgebrochen ist.

Ich glaube, wir waren einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Es begann als verbaler Streit am Berg, etwas unter Camp 3. Und als wir zurück ins Camp 2 kamen, versuchten etwa 100 Sherpas, uns anzugreifen.

swissinfo.ch: Laut Medien und Sherpas waren Sie etwas unbedacht, weil Sie über ihnen kletterten, während sie die Seile anbrachten. Denken Sie, das war ein Problem?

U.S.: Nein, ich denke, das war nicht das Problem. Wir wussten, dass sie die Seile anbrachten und haben sie nicht gestört. Sie verankerten die Seile für die kommerziellen Expeditionen und nicht für uns, weil wir diese nicht brauchten.

Natürlich müssen wir am Berg allen Platz lassen. Also sind wir 50 Meter links von ihnen hochgeklettert, damit wir sie nicht stören, und wir haben extra aufgepasst, dass kein Eis auf sie hinunterfällt. Wir haben sie überhaupt nicht behindert. Ich denke, die Tatsache, dass wir hochgingen, hat sie gestört; sie dachten wohl, wenn sie auf dem Berg seien, könne niemand anderes dort sein – das war das grosse Problem.

Der Schweizer Bergsteiger Ueli Steck wurde am 28. April zusammen mit dem italienischen Kollegen Simone Moro und dem britischen Fotografen John Griffith am Everest im Lager 2 auf 6400 Meter von rund 100 Sherpas attackiert und mit dem Tod bedroht.

Wenige Stunden vorher hatte das Trio eine Gruppe Sherpas passiert, die Seile für die kommerziellen Expeditionen hinauf zu Camp 3 auf 7300 Meter verankerten.

Die drei kehrten nach den Ereignissen ins Basislager auf 5300 Meter zurück, wo sie den Verzicht auf die Besteigung bekanntgaben.

swissinfo.ch: Was geschah, als Sie zurück zum Camp 2 gingen?

U.S.: Zuerst einmal mussten wir beim Camp 3 auf etwa 7100 Metern zu unserem Zelt traversieren, und in diesem Moment mussten wir sie kreuzen. Doch das hatten wir so vorsichtig wie möglich getan. Sobald wir die Sicherungsschlinge erreicht hatten, begannen sie, uns anzuschreien, und es war sinnlos, zu diskutieren.

Sie waren sehr wütend. Sie liessen ihr Material liegen, sagten, sie wären fertig mit der Verankerung der Seile und stiegen ab. Wir hatten ein schlechtes Gewissen für die kommerziellen Expeditionen und haben entschieden, den Job fertigzumachen und auf dem Rest des Weges Seile zu fixieren.

swissinfo.ch: Wie fühlten sich die Sherpas als sie sahen, dass Sie ihren Job beendet haben? Vielleicht waren sie deshalb so wütend?

U.S.: Rückblickend kann es vielleicht sein, dass dies die Sherpas wütend gemacht hat. Doch im Moment fühlten wir uns schuldig, dass sie ihre Arbeit für die kommerziellen Expeditionen abbrechen mussten. Deshalb haben wir ihre Arbeit fertiggemacht.

Doch vielleicht hat dies die Sache nur angeheizt. Denn das, was nach unserem Abstieg ins Camp 2 geschah, ist inakzeptabel: Es gab keinen Grund, zu versuchen, drei Menschen umzubringen – nicht irgendwo auf der Welt oder irgendwo auf dem Berg.

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swissinfo.ch: Haben sie wirklich gedroht, Sie umzubringen?

U.S.: Das haben sie gesagt. Die Situation geriet ausser Kontrolle und niemand konnte sie aufhalten. Es war ein Mob von 100 Leuten, der uns mit Steinen beworfen hatte und drohte, uns umzubringen.

swissinfo.ch: Haben Sie Ihre Expedition abgebrochen, weil die Sherpas sie zum Gehen aufgefordert haben oder war die Auseinandersetzung Grund genug dafür?

U.S.: Wenn Dir 100 Leute sagen, sie würden Dich umbringen, und unter diesen 100 Leuten befinden sich einige, mit denen zusammen Du letztes Jahr den Everest bestiegen hast und die Deine Freunde waren, ist das schwierig zu beantworten.

Ich bin sehr enttäuscht und mein Vertrauen ist weg. Ich kann nicht mehr an diesen Berg zurückkehren, auch wenn alle sagen, dass so etwas nicht mehr passieren werde. Wer versichert mir, dass die wütende Menge nicht mein Seil zerschneidet oder mein Zelt abfackelt?

swissinfo.ch: Sind Sie sicher, dass Sie die Sherpas nicht provoziert haben?

U.S.: Es ist ein Problem. Die Sherpas haben hier seit Jahren gearbeitet, und sie sind die reichen Leute in Nepal, die auch über eine gewisse Macht verfügen. Andererseits sehen sie all diese Westler, die am Berg Geld machen. Und zwischen ihnen und diesen Westlern gibt es einen tiefen Graben.

Was dort oben geschehen ist, ist Ausdruck einer Wut, die während Jahren gewachsen ist. Es ist die Kluft zwischen zwei Welten, und die Eifersucht ist während Jahren grösser geworden.

swissinfo.ch: Sie hatten zusammen mit Simone Moro einen Traum. Wie fühlt es sich an, vom Berg zu gehen, ohne dass dieser in Erfüllung ging?

U.S.: Ich bin momentan noch richtig aufgewühlt. Zuerst bin ich glücklich, dass ich noch lebe. Aber natürlich bin ich am Boden zerstört. Sie haben uns unseren Traum genommen. Wir waren ein sehr starkes Team, und die Bedingungen am Berg sind perfekt.

Ich bin mir zu 99% sicher, dass wir erfolgreich gewesen wären, und das tut sehr weh. Aber ich kann nicht einfach an den Everest zurückkehren, so gesehen haben die Sherpas meinen Traum zerstört.

Jedes Jahr versuchen über 800 Bergsteiger, den Gipfel des Mount Everest zu erreichen. In den letzten Jahren haben dies 500 bis 600 pro Saison geschafft.

Der Frühling ist die Hauptkletterzeit. Mehr als 60 Expeditionen warten in den Basislagern auf der Südseite (Nepal) und der Nordseite (Tibet) am Fusse des Berges auf gutes Wetter.

Die meisten Bergsteiger heuern Sherpas als Bergführer und Träger an. Diese tragen auch den Sauerstoff und fixieren die Seile.

Insgesamt haben etwa 6000 Personen den Everest bezwungen (dazu gehören Mehrfach-Besteigungen). Seit 1953 haben etwa 15’000 Personen die Besteigung versucht.

Seit der Erstbesteigung 1953 haben lediglich 150 Personen den Gipfel ohne Sauerstoff bezwungen, darunter die drei Schweizer Erhard Loretan, Jean Troillet und Ueli Steck. Loretan und Troillet stellten 1986 an der tibetischen Nordflanke mit 39 Stunden einen Geschwindigkeits-Rekord auf.

swissinfo.ch: Am 29. April gab es eine Versöhnungszeremonie zwischen dem Team und den Sherpas. Ist das Kriegsbeil jetzt begraben?

U.S.: Wenn ich ganz ehrlich sein will: Die «Zeremonie» hat die Situation zwar beruhigt, aber sicher nicht das Problem gelöst. Für mich sind das nur schöne Worte. Wir sind in Nepal und müssen die Regeln hier beachten. Aber wenn man bedenkt, wie sie das Vorgefallene zu lösen versuchen, ist es schlicht unglaublich.

swissinfo.ch: Ist Ihr Vertrauen ins Himalaya-Bergsteigen zerstört?

U.S.: Definitiv. Ich werde diese Ereignisse nie vergessen. Ich habe meine Meinung über den Mount Everest und die Region Solu Khumbu geändert. Ich habe das Khumbu-Tal geliebt, ich war zehnmal dort. Jetzt ist mir nicht mehr danach, hierher zurückzukommen und ihr Spiel mitzuspielen. Ich muss auch nicht. Es gibt noch so viele andere schöne Berge.

swissinfo.ch: Was sagen Ihre Sponsoren zur Situation? Haben sie Verständnis?

U.S.: Natürlich verstehen sie. Aber wir leben im Westen, und dort kriegt man nichts gratis. Die Sponsoren wollen von mir profitieren. Wir drei stehen jetzt vor einem finanziellen Desaster, denn wir haben viel Geld ausgegeben. Selbst wenn uns die Geldgeber trotzdem unterstützen, wollen sie etwas dafür.

(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub und Renat Künzi)

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