Spielmanipulationen erschüttern Fussball-Welt
Könnte die Fussball-Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine durch illegale Spielwetten oder Spielmanipulationen mit einem Skandal enden? Uefa- und andere Sportfunktionäre glauben nicht daran, Experten sind anderer Ansicht.
Funktionäre des Europäischen Fussballverbandes (Uefa) und von anderen internationalen Sportverbänden, die sich kürzlich in der Westschweizer Stadt Neuenburg trafen, sind zuversichtlich, dass die Euro 2012 makellos über die Bühne gehen wird. Doch nach Ansicht einiger Experten sind die Sportfunktionäre «blind» gegenüber der Realität.
Die Uefa überwacht Millionen von Fussballwetten von 300 bis 400 legalen Maklern mit einem so genannten Frühwarnsystem, das Unregelmässigkeiten bei Wettmustern aufdeckt.
Jährlich werden rund 31’000 Spiele überprüft – davon 1900 Partien der 53 nationalen Verbände, die der Uefa angehören. In den zwei letzten Jahren wurden bei 250 Spielen irreguläre Wettmuster aufgedeckt. Die 31 Euro-2012-Partien sollen genau überprüft werden.
Optimismus hier, Besorgnis da
«Natürlich schauen wir ganz genau, was passiert. Aber die Euro 2012 ist kein hohes Risiko für Spielabsprachen, denn es schauen rund 200 Millionen Menschen zu – das heisst 200 Millionen Schiedsrichter.»
Dies erklärte Pierre Cornu, Chefrechtsberater für regulatorische Bestimmungen der Uefa, anlässlich der Rundgespräche über Spielmanipulationen an dem Treffen in Neuenburg.
«Diese sind ein ernsthaftes Problem, doch 99,99% aller Partien, die wir sehen, sind sauber. 0,01% unsaubere Spiele sind gewiss beunruhigend, aber wir sollten nicht zu sehr darauf versessen sein.»
Interpol schätzt, dass jährlich 289 bis 483 Milliarden Franken im Bereich der Sportwetten verspielt werden. Die stetige Entwicklung neuer Technologien ermöglicht Wetten in allen Sportarten auf der ganzen Welt via Internet oder Mobiltelefon, und das rund um die Uhr.
Die Zunahme illegaler Wettmärkte, vor allem in Asien, hat die Gefahr von Spielabsprachen verstärkt. Trotz des Optimismus von Cornu bleibt die Uefa besorgt: Präsident Michel Platini warnte kürzlich, Spielmanipulationen würden «den Fussball zerstören».
Denis Oswald, Mitglied des Exekutivausschusses des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und Experte im Bereich Spielmanipulationen, ist mit Cornu einig: «Wenn so viele Menschen zuschauen, glaube ich nicht, dass etwas passiert. Wenn ich ein Spiel manipulieren möchte, dann nicht eines an der Euro 2012.»
Potenzielles Risiko
Anderer Ansicht ist Hervé Martin Delpierre, Regisseur des Dokumentarfilmes «Sport, Mafia und Korruption», für den er 18 Monate lang Recherchen über Spielmanipulationen durchführte.
Für ihn besteht ein «reales potenzielles Risiko», dass die Euro 2012 ein Ziel solcher Manipulationen sein könnte.
Cornu sei «überoptimistisch», denn das Frühwarnsystem durchsuche nur legale Internetseiten. «Unglücklicherweise erfasst dieses 80 bis 90% der weltweit gemachten Wetten nicht, insbesondere nicht jene in Asien», so Delpierre gegenüber swissinfo.ch.
Die Möglichkeiten für Glücksspieler und Wettmakler sind explodiert. Es gibt schätzungsweise 15’000 Glücksspiel-Onlinesites, und man kann heute bis zu 300 verschiedene Wetten eingehen während einem Match, bis fünf Minuten vor Schluss, und zwar auf alles, von der Anzahl Eckbälle in der ersten Halbzeit über den ersten Torschützen bis zur gelben oder roten Karte.
Die Meinung, Wettmakler hätten es nur auf kleine Partien abgesehen, sei falsch, betont der Dokumentarfilmer. «Wenn man mit den Leuten von der Early Warning System GmbH spricht, welche die meisten Wetten in Europa überwachen, dann sagen sie, dass auch die Uefa-Champions League und WM-Qualifikationsspiele gefährdet seien und es starken Verdacht gebe.»
Auch frühere Euro-Turniere sind nicht frei von jedem Verdacht. Die Uefa untersucht Behauptungen, wonach das Euro-08-Qualifikationsspiel zwischen Norwegen und Malta manipuliert worden sein soll.
Unbezahlte Löhne und Korruption
Der Investigationsjournalist Declan Hill, der ausführlich über Spielmanipulationen geschrieben hat, ist indessen vorsichtiger. Er sagt, Wettmakler seien wahrscheinlich in Polen und der Ukraine präsent, doch er bezweifle, dass sie Erfolg haben würden.
«An der Euro 2012 spielen lediglich 16 Mannschaften, von denen neun Chancen auf einen Turniersieg haben, und dann gibt es noch die chancenlosen Teams. Wichtiger ist aber, dass die meisten der an der Euro 2012 beteiligten Fussballverbände ihre Spieler bezahlen», sagt er gegenüber swissinfo.ch.
«Das ist ‹das› Problem, dem das IOC und der Weltfussballverband Fifa ausweichen. Viele von ihren nationalen Verbänden nutzen ihre Spieler aus, so dass einige Teams an der Weltmeisterschaft zum Beispiel nicht bezahlt werden, und das öffnet den Wettmaklern Tür und Tor.»
Im Februar veröffentlichte die globale Gewerkschaft der Profi-Spieler FIFPro eine Studie über 3400 hauptsächlich in Osteuropa aktive Spieler. Diese zeigte auf, dass 12% von ihnen für Spielmanipulationen in ihren Ligen angesprochen wurden und 23,6% über Spielabsprachen informiert waren. Die Studie kam zum Schluss, dass es einen eindeutigen Zusammenhang zwischen unbezahlten Löhnen und Korruption gibt.
Asiatische Wettmakler
Nach den Worten von Declan Hill sind 60 nationale Untersuchungen gegen Spielmanipulationen in Gang im Zusammenhang mit 20 bis 30 asiatischen Wettmaklern aus Singapur, Malaysia, Indonesien und Thailand.
Diese würden rund um die Welt reisen und mit kriminellen Gruppen in Deutschland, Finnland und Italien Allianzen schmieden. 1000 Sportfunktionäre und Spieler wurden festgenommen und 100 Personen angeklagt.
In Italien wurden in den letzten 12 Monaten in einem sich ausweitenden Spielmanipulations-Skandal 50 Verdächtige festgenommen. Darin involviert sind nach den Ermittlungen von Staatsanwälten in Cremona 22 Clubs und 33 Spiele.
Der italienische Ministerpräsident Mario Monti erklärte letzte Woche, Italiens Fussball sollte für zwei bis drei Jahre eingestellt werden. Und der Coach der italienischen Fussball-Nationalmannschaft, Cesare Prandelli, sagte, es würde ihm nichts ausmachen, wenn sein Team nicht an der Euro 2012 teilnehmen würde.
Internationale Sportgremien sprechen sich für die Nulltoleranz gegenüber Korruption im Sport aus. Nach eigenen Angaben haben sie zahlreiche Massnahmen dagegen eingeführt wie Whistleblower-Hotlines, Präventionsprogramme sowie Netzwerke von «Integrity-Funktionären». Aber ohne grössere Unterstützung von Seiten der Regierungen und ohne einen abgestimmten gesetzlichen Rahmen wird es schwierig sein, das wachsende Phänomen zu bremsen.
«Im Moment hat das Thema Spielmanipulationen keine Priorität bei den Regierungen. Es ist ein langfristiger Kampf, der wesentlich härter als die Dopingbekämpfung ist angesichts des Ausmasses des Problems, der involvierten Geldsummen und der Komplexität der Ermittlungen», sagte IOC-Generaldirektor Christophe De Kepper an dem Treffen in Neuenburg.
Fünf Schweizer Fussballer wurden im März 2012 zu Geldbussen und Strafen auf Bewährung verurteilt wegen ihrer Beteiligung an einem Skandal mit einer kroatisch-deutschen Bande und Dutzenden von manipulierten Spielen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und anderen europäischen Ländern.
Der Zürcher Tages-Anzeiger berichtete vergangene Woche, der Schweizerische Fussballverband vermute, vier Spiele der zweithöchsten Spielklasse könnten mit dem laufenden Skandal in Italien in Verbindung stehen.
Laut Dokumentarfilmer Hervé Martin Delpierre ist eines der finanziellen Netzwerke für den Einsatz in Italien in der Schweiz ansässig und soll mit der italienischen Mafia in Sachen Spielmanipulationen zusammenarbeiten.
Polen und die Ukraine haben britische Medienberichte über Rassismus und gewalttätige Hooligans in Fussballstadien der beiden Länder zurückgewiesen und versichert, dass ausländische Fussballer und Fans während der Euro 2012 sicher sein könnten.
Die Euro-Gastländer haben die investigative Sendung BBC Panorama über Gewalt im Fussball in Polen und der Ukraine heruntergespielt. In der Sendung waren Fans zu sehen, die den Hitler-Gruss machten, schwarze Spieler mit Affengeräuschen verhöhnten und antisemitische Gesänge anstimmten. In Kharkiw, einem der vier ukrainischen Euro-Spielorte, waren einheimische Fans zu sehen, die eine Gruppe von asiatischen Studenten angriffen.
Der frühere schwarze englische Nationalspieler Sol Campbell warnte die England-Fans, zur Euro 2012 zu reisen wegen der Gefahr von Rassismus und Gewalt. Vorher hatten die Familien von zwei schwarzen englischen Nationalspielern erklärt, sie würden die Euro 2012 nicht besuchen. Das britische Aussenministerium empfiehlt Reisenden asiatischer oder afro-karibischer Herkunft oder Angehörigen religiöser Minderheiten, «besondere Vorsichtsmassnahmen» zu treffen, wenn sie in die Ukraine reisen.
Vor der Euro 2012 gab es in der Ukraine weitere Ungereimtheiten: Die Inhaftierung von Oppositionsführerin Julia Timoschenko hat von Seiten der EU Vorwürfe der Demokratie-Verletzung an die ukrainische Regierung ausgelöst. Einige EU-Politiker drohen mit einem Boykott der Euro 2012.
Berichte über Korruption auf höchster politischer Ebene, überrissene Hotelpreise, Gewalt gegen Teilnehmer eines Gay-Pride-Treffens, Zunahme der Prostitution sowie drastische Bilder von einer Schlägerei im Parlament anlässlich eines neuen Sprachengesetzes haben das internationale Image der Ukraine noch zusätzlich ramponiert.
(Übertragung aus dem Englischen: Jean-Michel Berthoud)
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