Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Leben als Übersetzer in der Schweiz

Diana Erlenmaier
Diana Linder, die aus Deutschland stammt, ist eine von vielen Übersetzern und Dolmetschern, die in der Region Genf arbeiten. Bill Harby

Wie gestaltet sich die Arbeit professioneller Übersetzer in einem kleinen Land mit vier offiziellen Sprachen - plus Englisch, einer nicht offiziellen?

Gibt es ein Land mit einem grösseren Bedarf an Übersetzern oder Dolmetschern als die Schweiz? Das kleine Land mit seinen 8,3 Millionen Menschen hat vier offizielle Landessprachen – Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch – und Englisch, als fünfte, oft benutzte Sprache.

Rund 25% der Bevölkerung sind Immigrantinnen und Immigranten. Die Schweiz beherbergt nicht nur den Europa-Sitz der UNO, sondern viele Nicht-Regierungsorganisationen, staatliche Institutionen, Firmen und kulturelle Organisationen, die alle Dokumente in verschiedenen Sprachen produzieren.

Die Schweiz ist also ein Land voller Möglichkeiten für professionelle Übersetzerinnen und Dolmetscher (Übersetzer arbeiten generell mit schriftlichem Material, Dolmetscherinnen übertragen direkt mündliche Wortmeldungen).

Wer sind diese Leute – und was sind die Herausforderungen und Vorzüge dieses Berufs in der Schweiz? Wir stellen Ihnen vier dieser Berufsleute vor, die in Genf zu Hause sind.

Der vereidigte Übersetzer

Patrick Lehner
Patrick Lehner Bill Harby

Patrick Lehner, von Geburt Franzose, begann während seiner Schulzeit im Süden von Paris, Englisch und Deutsch zu lernen. Eigentlich mochte er Sprachen nicht besonders, Englisch aber liebte er. «Im Deutsch war ich am schlechtesten», erinnert er sich. Später, als junger Austauschstudent in Grossbritannien, erhielt er einen Preis für gute Noten, die Hit-Single der Rolling Stones, “Brown Sugar”. Und ist seither anglophil.

Während seines französischen Militärdienstes kam Lehner im Rahmen eines Austauschprogramms in die Schweiz; seit 1982 lebt er hier.

Wie viele Übersetzer in der Schweiz ist Lehner freiberuflich tätig und arbeitet mit Wirtschaftsfirmen, Anwaltskanzleien, Buchhaltern, Banken, Regierungen oder internationalen Übersetzungs-Agenturen zusammen. Er übersetzt aus dem Deutschen oder Englischen ins Französische. Wie fast all seine Berufskollegen übersetzt er meist in seine Muttersprache, um subtile Nuancen im Endprodukt am besten wiederzugeben.

Lehner besitzt ein Zertifikat als «vereidigter Übersetzer». Das bedeutet, dass seine Übersetzungen von den meisten Gerichten in der Schweiz und in Europa anerkannt werden. Für die Genfer Polizei ist er auch als Dolmetscher tätig.

Er räumt ein, er ziehe das Übersetzen dem Dolmetschen vor, zum Teil weil man «in Shorts arbeiten kann und nicht rasieren muss».

«Aber ich mag die Herausforderung beim Dolmetschen», sagt er. «Der Stress ist aufregend.»

Dank seinem Zertifikat kann Lehner höhere Tarife verlangen, aber gewisse potentielle Kunden finden, sein Service sei von «zu hoher Qualität und zu teuer». Und dieser Trend nehme zu, wegen der «Googlisierung von Übersetzungen», sagt Lehner unter Verweis auf Online-Übersetzungsdienste oder Übersetzungs-Applikationen. «Wir Übersetzer sind eine Ware, wir werden nicht respektiert.»

Der Marketing-Mann

Nigel Cave
Nigel Cave Bill Harby

Nigel Cave hat kein offizielles Zertifikat als Übersetzer, dafür drei Pässe – einen britischen, einen Schweizer und einen neuseeländischen. Er wurde in Grossbritannien geboren, als Sohn eines Briten und einer Neuseeländerin, und machte an der Universität Oxford Bachelor- und Master-Abschlüsse in modernen Sprachen. «Ich hatte ein Ohr dafür, und wirklich gute, inspirierende Französisch- und Deutschlehrer», erklärt er.

Cave beherrscht nicht nur fliessend Französisch und Deutsch, er hat zudem ausreichende Spanisch-Kenntnisse. Dank einer ehemaligen Freundin versteht er auch Schweizerdeutsch. Sie habe im geholfen, die Dialektsprache zu verstehen, die wie eine «nette Halskrankheit» töne.

Nach seiner langen Karriere mit Stellen in Marketing, Unterrichten und Übersetzen, die sich teilweise überlappten, habe er keine Probleme, Übersetzungsaufträge zu finden, sagt Cave. Manchmal vergibt er Arbeit im Unterauftrag weiter an andere Übersetzer – wenn er zu viel zu tun hat – oder wegen seiner «Besessenheit» mit Tennis.

«Manchmal will ein Kunde wissen, ob ich ein Zertifikat habe», aber die meisten machten sich darüber nicht gross Gedanken. «Wenn du gute Arbeit leistest, kommen die Leute zu dir zurück.»

Zu seinen regelmässigen Kunden gehört Pro Helvetia, die Kulturförderinstitution der Eidgenossenschaft, für die er aus dem Deutschen und Französischen ins Englische übersetzt. Er erinnert sich auch an einen Job für einen denkwürdigen Kunden, der ihn bat, das Drehbuch eines Pornofilms zu übersetzen.

Was Cave nie übersetzt hat, ist Poesie. Er wurde auch schon angefragt, sagte aber immer Nein. Wieso? Er wechselt abrupt ins Französische und sagt: «Parce que ça ne marche pas facilement» (weil das nicht so einfach funktioniert). Was ihn nicht davon abhält, zu sagen, Shakespeare sei auf «Deutsch besser».

Cave befürwortet die Ausbreitung des Englischen im Schweizer Alltag. «Ich denke, das ist eine gute Sache». Es öffne die Köpfe der Menschen und mache ihre Gedankenwelt internationaler.

Er liebt aber auch Traditionen, wie er sagt, und macht sich Sorgen um den möglichen Untergang des Rätoromanischen, das nur noch von weniger als 1% der Schweizer Bevölkerung gesprochen wird.

Der Radio-Mann

Richard Cole
Richard Cole Bill Harby

Richard Cole hat eine etwas andere Sicht, was die zunehmende Verwendung des Englischen zwischen Schweizern angeht. «Es mag zwar ein nützlicher Kompromiss sein, aber für das Land ist es eine kulturelle und politische Verarmung.» Die Leute müssten sich nicht mehr darum kümmern, die Sprache der anderen zu lernen, und brauchten so auch nicht mehr zu versuchen, die Mentalität und den Hintergrund der anderen zu verstehen.

Cole kam in Chicago als Sohn einer Deutschschweizer Mutter und eines amerikanischen Vaters zur Welt. Am Anfang sprach seine Mutter zu Hause Schweizerdeutsch, doch dann fand sein Vater, sie sollten nur noch Englisch reden. Seine Schweizer Grossmutter las ihm weiter aus einem Buch in Schweizerdeutsch vor.

In der Highschool hatte Cole die Wahl zwischen Französisch und Spanisch. Er fühlte sich von der Schönheit des Französischen angezogen, das «etwas Elliptisches an sich» habe.

An der Northern Illinois University studierte er französische Literatur und kam später nach Genf, wo er einen Abschluss an der École de Traduction et d’Interpretation (Übersetzer- und Dolmetscherschule) machte.

Seit 30 Jahren arbeitet Cole als Übersetzer bei der Europäischen Rundfunkunion, wo er heute als Redaktor für die Website der Radio-Abteilung zuständig ist. Er übersetzt Manuskripte, Broschüren, Künstler-Biografien und andere Materialien aus dem Französischen, Deutschen, Italienischen und Spanischen ins Englische. Daneben ist er Musikwissenschaftler für das Orchestre de la Suisse Romande und professioneller Opernsänger.

Wieso ist es wichtig, aus einer anderen Sprache in die Muttersprache zu übersetzen und nicht umgekehrt? Weil der Übersetzer den Inhalt des Originaltextes mit idiomatischen Ausdrücken wiedergeben könne, was von Muttersprachlern als authentisch wahrgenommen werde und fundierte «Kenntnisse der Geschichte, der Populärkultur, Literatur und Künste einer bestimmten Sprache spiegelt», wie Cole erklärt.

Die Dolmetscherin

Diana Linder sitting at table with her computer
Diana Linder Bill Harby

Auch Diana Erlenmaier, die ursprünglich aus einem Dorf in der Nähe von Stuttgart in Deutschland kommt, findet, es sei am besten, in die Muttersprache zu übersetzen. Fügt aber hinzu, «Französisch ist für mich heute wie meine Muttersprache, wie Deutsch». Sie arbeitet vor allem als Dolmetscherin, das heisst meistens mündlich.

Erlenmaier lernte Englisch in der Schule in Deutschland, dann als Austauschstudentin in Grossbritannien und ein Jahr in den USA, in Denver, Colorado, wo sie auch Spanisch und Französisch studierte.

Sie hat einen Bachelor-Abschluss in Französisch und Deutsch von der University of East Anglia (Grossbritannien) mit Zertifikat als Übersetzerin und Dolmetscherin sowie ein Zertifikat in Konferenz-Dolmetschen von der Universität Genf.

Eine Art, ihre Kenntnisse zu praktizieren, war das Untertiteln von Filmen. Das habe Spass gemacht, sei aber nicht sehr gut bezahlt worden, sagt sie.

Heute arbeitet sie vor allem als Dolmetscherin bei internationalen Konferenzen, bei denen es um politische, medizinische, kommerzielle und weitere Themen geht.

Erlenmaier glaubt, dass Zertifikate eine Rolle spielten, weil sie auf Ausbildung und Fähigkeit hinweisen. Sie anerkennt aber, dass es in der Schweiz erfahrene und qualifizierte Übersetzerinnen und Dolmetscher ohne Zertifikate gebe, die günstigere Tarife anbieten. Es gebe aber auch nicht qualifizierte Übersetzer oder Dolmetscher, die keine guten Leistungen erbrächten. «Nicht qualifizierte Kollegen sind gefährlich für unseren Beruf», erklärt sie. «Sie haben die Tendenz, Preise zu drücken und können unserem Ruf schaden.»

Wie Richard Cole findet Erlenmaier, die Ausbreitung des Englischen in der Schweiz sei keine besonders gute Sache. Sie hat beobachtet, dass bei mehrsprachigen Treffen Verwirrung und Missverständnisse entstehen können, wenn alle versuchen, ohne Dolmetscher Englisch zu sprechen. Und aus ihrer eigenen Geschäftsperspektive betrachtet seien Konferenzen, in denen nur Englisch gesprochen werde, ohne Dolmetscher, natürlich «eine sehr schlechte Sache».

Wie viel verdienen Übersetzer?

Sie fänden im Land weiterhin Aufträge, und die «Tarife in der Schweiz sind höher als irgendwo anders», erklärt Patrick Lehner, ehemaliger Präsident des Schweizerischen Vereins der vereidigten Übersetzer, einer von mehreren solchen Berufsverbänden. Der typische Preis für Kunden in Europa liege bei etwa 1 Euro (1,15 Franken) pro Zeile oder weniger, je nach Land des Kunden, der typische Preis für Kunden in der Schweiz bei etwa 3,50 Franken.

Es gebe auch immer wieder potentielle Kunden, die sich gegen die Preise sträubten, sagt Lehner. «Die grösste Frustration kommt von Kunden, die mir sagen, ich sei zu teuer, und ihre Sekretärin werde den Job erledigen!»

Das Übersetzen von Dokumenten und offizieller Kommunikation, aber auch das Dolmetschen sind in der mehrsprachigen Schweiz mit ihren vier offiziellen Landessprachen Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch besonders wichtig.

Auf Bundesebene sind Deutsch, Französisch und Italienisch offizielle Amtssprachen. Vor allem im Verkehr des Bundes mit Personen, die Rumantsch sprechen, kommt Rätoromanisch als Teilamtssprache hinzu.

Alle amtlichen Texte des Bundes (Gesetztestexte, Berichte, Internetseiten, Broschüren, Gebäudebeschriftungen) müssen auf Deutsch, Französisch und Italienisch abgefasst sein. Auf Rätoromanisch übersetzt werden nur amtliche Texte von besonderer Tragweite.

Übersetzen ist auch für swissinfo.ch von grosser Bedeutung: Die Plattform publiziert in 10 Sprachen und übersetzt einen grossen Teil des Angebots auf ihren Seiten in Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch, Russisch, Chinesisch, Arabisch und Japanisch.

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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