Wie Schweizer Hotels auf die Pandemie reagieren
Die Tourismusbranche muss sich anpassen: Die Pandemie der letzten zwei Jahre verändert das Reiseverhalten. Andreas Züllig, Präsident des Schweizer Hotelverbandes HotellerieSuisse, erklärt, wie die Hotels der Krise trotzen.
«Wie habt ihr das in der Schweiz geschafft?» Diese Frage stellte mir eine Journalistin des Deutschen Fernsehens Anfang Jahr. Die Frage bezog sich auf die in der Schweiz weiterhin geöffneten Skigebiete.
Im November ging noch ein Aufschrei durch unsere Nachbarländer, die beschlossen hatten, im Winter das gesamte Angebot für Wintertouristen massiv einzuschränken oder ganz zu verbieten.
Andreas Züllig ist seit 2015 Präsident des Schweizer Hotelverbands HotellerieSuisse. Er ist Inhaber und Geschäftsführer des Hotels Schweizerhof im Bergdorf Lenzerheide.
Konzertiert warnten die Staatsführer aus Deutschland, Italien, Frankreich und Österreich vor einem neuen Corona-Hotspot in Europa. Der Druck auf unsere Regierung war hoch. Diese blieb standhaft – zum Glück für den in der Schweiz wichtigen Wintertourismus.
Das Vertrauen in die Schutzkonzepte der Bergbahnen, Hotels und Gastronomiebetriebe in der Schweiz hat sich ausgezahlt. Es hat funktioniert. Mitten in der Wintersaison interessierten sich plötzlich ausländische Medien für das «Modell Schweiz». Wie kann man neben den Menschen auch die Wirtschaft und damit die Arbeitsplätze und Unternehmen schützen?
Die Schweizer Bevölkerung verfügt über eine ausgeprägte Selbstverantwortung auf allen Stufen. Dies hat in dieser ausserordentlichen Krise geholfen, einen pragmatischen – sprich «Schweizer Weg» – zu gehen. Für dieses Vertrauen sind wir den Verantwortlichen in der Politik und den Ämtern dankbar.
Diese ausserordentlichen Herausforderungen der letzten eineinhalb Jahre haben uns aber auch aufgeweckt und dazu gebracht, uns in verschiedenen Bereichen weiterzuentwickeln. Kooperieren und sich vernetzen, die Mittel und Kräfte bündeln, um sich auf die zukünftigen Herausforderungen vorzubereiten.
Schwerpunktthemen wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit bekamen über Nacht noch mehr Gewicht. Die Dringlichkeit zu handeln wurde akzeptiert. In der Politik, im Verband und in den einzelnen Unternehmen.
Über Nacht haben wir lernen müssen, mit Teams, Skype & Co. zu kommunizieren. Die Digitalisierung hatte auch in der Hotellerie schon längst Einzug gehalten. Trotzdem gab es eine enorme Veränderung innert kürzester Zeit. Gästedaten mussten erfasst werden und vieles, das eher auf die Zukunft verschoben worden war, wurde sozusagen über Nacht notwendig und sofort umgesetzt.
In unserem eigenen Hotel hat die Pandemie mit allen ihren Schutzkonzepten und Regeln dazu geführt, dass wir es seit diesem Frühling endlich geschafft haben, unsere Réception (fast) papierlos zu organisieren. Auch in Zukunft wird uns das Thema im Tourismus noch beschäftigen.
Die Digitalisierung wird uns helfen, dem Gast auf seine Bedürfnisse massgeschneiderte Angebote zusammenzustellen. Die Angebote werden vernetzter sein. Von der Ankunft am Flughafen bis ins Hotelzimmer oder beim Erkunden der Umgebung. Als digitaler Concierge, der dem Gast noch mehr Erlebnisse schafft und ihm hilft, Neues zu entdecken.
Nachhaltigkeit ist nicht einfach ein neues und viel gebrauchtes Modewort, sondern sie ist die Grundlage jedes erfolgreichen Unternehmens. Ohne ein nachhaltiges Wirtschaften, bei dem man sorgsam mit den Ressourcen umgeht, sich für gut ausgebildete und motivierte Mitarbeiter engagiert sowie die finanziellen Grundlagen schafft, um langfristig das Unternehmen und die Arbeitsplätze zu sichern, kann in Zukunft kein Unternehmen mehr erfolgreich sein.
Die Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen hat sechs Aktionslinien für einen verantwortungsvollen Aufschwung im Tourismus festgelegt, die sich auf die Bereiche öffentliche Gesundheit, soziale Eingliederung, biologische Vielfalt, Klima, Kreislaufwirtschaft sowie Governance und Finanzen konzentrieren.
Der Schweizer Tourismussektor hat Anfang dieses Jahres mit der Kampagne «Swisstainable» nachgezogen, die sich an den Zielen für nachhaltige Entwicklung der UNO orientiert.
Die Kampagne belohnt die Akteure der Branche mit dem Label «Swisstainable», wenn sie sich für das Programm engagieren, und ermutigt die Urlauber:innen, «bewusster zu reisen», indem sie zum Beispiel die lokale Kultur kennenlernen, regionale Produkte konsumieren und länger bleiben.
Neben den von Andreas Züllig geschilderten Bemühungen der Schweizer Hotellerie haben sich auch andere wichtige Akteure des Tourismussektors zur Nachhaltigkeit verpflichtet.
Die Schweizerischen Bundesbahnen haben sich das Jahr 2030 als Datum gesetzt, an dem sie klimaneutral werden wollen, was sie zu einem großen Teil ihrer Energie aus eigenen Wasserkraftwerken verdanken. Nach Angaben der Bahn decken erneuerbare Energien bereits heute 100% des Strombedarfs für Gebäude und Infrastruktur und 90% für den Betrieb des Rollmaterials.
Gerade deshalb ist es aber wichtig, sich diesem Thema verstärkt anzunehmen. HotellerieSuisse hat sich schon 2015 eine neue Strategie gegeben und Innovation und Nachhaltigkeit als Schwerpunkt für die Beherbergungsbranche definiert.
Eine Arbeitsgruppe unter dem Dach des Schweizerischen Tourismusverbandes ist derzeit dabei, eine Nachhaltigkeitsstrategie für den gesamten Tourismus der Schweiz zu erarbeiten und Massnahmen für die Umsetzung zu definieren. Das Reisen wird sich in Zukunft definitiv verändern.
In den Städten wird es durch die Digitalisierung weniger Geschäftsreisen geben. Der Austausch und Sitzungen werden, wie schon erwähnt, auch in Zukunft nicht mehr so oft physisch vor Ort, sondern digital durchgeführt werden.
Diese Entwicklung ist für die Umwelt sicherlich zu begrüssen. Für den Tourismus und die Fluggesellschaften bedeutet dies aber einen massiven Rückgang der bisherigen Einnahmen. Entsprechend werden Überkapazitäten abgebaut. Einige Airlines haben schon während der Krise entschieden, ihre Grossraumflugzeuge nach der Pandemie nicht mehr in Betrieb zu nehmen.
Aber was ändert sich durch diese nun fast zwei Jahre dauernde Krise im Tourismus? Grundsätzlich ist festzuhalten, dass gewisse Veränderungen sowieso stattgefunden hätten. Der demografische Wandel, die Digitalisierung und die verstärkte Sensibilisierung für den Klimawandel haben sich schon vor der Krise abgezeichnet. Entsprechend werden sich gewisse Entwicklungen verstärken und noch mehr beschleunigen.
Einen wichtigen Reisefaktor werden in Zukunft die Sicherheit und die Gesundheit darstellen. Die Reisenden werden mehr Wert auf Ernährung, Bewegung, Schlaf und Erholung legen. Die Entschleunigung wird im Tourismus ein Alleinstellungsmerkmal werden. In Zukunft wird man nicht einfach schnell an einen Ort reisen, um dann zu Hause ein Foto zu zeigen, wo man war, sondern das bewusste Erleben vor Ort wird ein wichtiger Faktor werden.
Eine Umfrage des Fraunhofer-Instituts hat gezeigt, dass 80 Prozent der Gäste einen wertschätzenden Umgang des Hotels mit seinen Mitarbeitenden als sehr wichtig empfinden. Fast 70 Prozent der Gäste legen Wert auf umweltbewusstes Handeln und über 40 Prozent der Gäste sind auch bereit, dafür einen höheren Preis zu bezahlen.
Der Tourismus der Zukunft geht also klar in Richtung mehr Qualität und weniger Quantität. Es müssen nicht mehr fünf Städtetrips pro Jahr sein. Bewussteres und nachhaltigeres Reisen wird die Zukunft sein. Die Entscheidungskriterien sind das kulturelle Angebot, die kulinarische Auswahl mit lokalen und saisonalen Produkten, der sorgsame Umgang mit den Ressourcen sowie motivierte und gute ausgebildete Mitarbeiter.
Die Schweiz hat alle Voraussetzungen dazu, um die aktuellen und zukünftigen Bedürfnisse der Gäste zu erfüllen und sogar zu übertreffen.
Ich bin überzeugt, dass die Schweiz im internationalen Wettbewerb weiterhin nachhaltig bestehen und mithalten kann. Ob in den Städten oder in den Bergen. Mit Innovationskraft und der Fähigkeit, sich auf die Bedürfnisse der Gäste einzulassen, werden wir unseren Gästen auch in Zukunft einen unvergesslichen Aufenthalt bieten können.
Schon in der Vergangenheit ist der Tourismus immer gestärkt aus Krisenjahren herausgekommen. Dies haben wir als Pioniere im Tourismus seit mehr als 150 Jahren bewiesen.
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