Ein Buch und 46 Kämpfe um die Freiheit
Sie müssen gegen Vorurteile und Normen ankämpfen, um mit ihrem Körper in Frieden leben zu können. Das Buch "TRANS*" gibt solchen Menschen ein Gesicht. Weltweit sind Transmenschen immer noch Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt.
«Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters.» Wer durch die 46 Porträts blättert, die im Fotobuch «TRANS*» präsentiert werden, kann die Bedeutung dieses Sprichworts verstehen.
Das Buch erzählt die oft schmerzhaften Lebenswege von Männern und Frauen, die in einem Körper geboren wurden, der nicht ihrer Identität entspricht, und die den langen Weg der Transformation von einem Geschlecht zum anderen gegangen sind. Herausgegeben wurde es von der Schweizer Vereinigung Épicène, die sich für Transgender-Menschen* einsetzt.
Der 20. November ist weltweit der Trans*-Gedenktag für die Opfer von Transphobie aufgrund ihres geschlechtsspezifischen Ausdrucks und/oder ihrer Identität.
Erstmals begangen wurde er 1998 nach der Ermordung von Rita Hester, einer afroamerikanischen Transfrau, im US-Bundesstaat Massachusetts.
«Dieses Gefühl der Dysphorie [traurig-gereizte Stimmungslage] kann man nur verstehen, wenn man es tatsächlich erlebt hat. Das geht viel tiefer als blaue Augen zu haben, sich aber braune zu wünschen», sagt Ryan, ein Betroffener, im Buch.
Das Projekt von Épicène ermöglicht der Leserschaft, eine Realität besser zu erfassen, von der einer von 200 Menschen betroffenExterner Link ist. Neue Zahlen erinnern jedes Jahr am 20. November, dem Gedenktag für die Opfer von Transphobie, daran: Angriffe gegen Transmenschen* fordern weiterhin ihren Tribut.
Laut dem Bericht «Transgender Murder Monitoring»Externer Link wurden im vergangenen Jahr weltweit 350 Transmenschen* ermordet, nur weil sie trans* sind. Zu den gefährlichsten Ländern gehören Brasilien, Mexiko und die USA. Die Zahl ist seit 2008 stetig gestiegen. Und das, obwohl sie nur die Spitze des Eisbergs darstellt.
Der Schmerz
«Ich war an einem Punkt angelangt, an dem es für mich keine andere Möglichkeit mehr gab. Entweder wollte ich meine Transformation beginnen oder mein Leben beenden, weil ich mich einfach zu schlecht fühlte», erzählt Ryan.
Seine Geschichte zeigt einerseits das Leid, das sich hinter der Transidentität verbirgt. Andererseits zeugt sie aber auch vom Mut jener Menschen, die es schaffen, sich selber zu sein und sich vom Blick der Gesellschaft zu befreien – einer Gesellschaft, die rücksichtslos mit allen umgeht, die nicht der Norm entsprechen.
«Ein grosser Teil des Leidens ist der gesellschaftlichen Sichtweise auf Andersartigkeit zuzuschreiben», sagt Lynn Bertholet, Präsidentin von Épicène. Während es bereits schwierig sein könne, eine harmonische Beziehung zum eigenen Spiegelbild zu haben, sei diese Diskrepanz für Transgender-Menschen* noch grösser.
«Wann kann ich sagen, dass die Transformation vorbei ist? Einerseits niemals, denn es gibt immer Raum für Verbesserungen», sagt Aiden im Buch. «Man muss wissen, wann man aufhört und akzeptiert, wer man ist», sagt andererseits Christina.
Alle 46 Porträtierte erzählen auch von Diskriminierung und Stigmatisierung, die leider immer noch Teil ihres Alltagslebens sind. «Im Lauf der Zeit hat sich die Gesellschaft in Richtung grösserer Toleranz entwickelt, aber es fehlt noch immer an Akzeptanz», sagt Bertholet.
Besonders der Arbeitsmarkt bekunde weiterhin Schwierigkeiten bei der Integration von Transgender-Personen*. «Viele der Frauen in unserer Vereinigung haben wegen ihrer Transformation ihre Arbeit verloren», sagt sie. Und das Gesundheitssystem stehe der Transidentität oft ratlos gegenüber, bedauert Bertholet: «Kein Gynäkologe weiss, wie man eine Untersuchung bei einer Transfrau* durchführt.»
Die Befreiung
Das Buchprojekt entstand aus der Begegnung zwischen Bertholet und der Fotografin Noura Gauper. «Ich machte ein Fotoshooting mit ihr, bei dem sie mich als vollwertige Frau betrachtete. Ihr Blick und ihre Fotos halfen mir, mich selbstbewusst zu fühlen. Ich wollte anderen Transgender-Menschen* die Möglichkeit bieten, diese Erfahrung ebenfalls zu machen», sagt Bertholet.
Durch das Fokussieren auf die Protagonisten unterstreicht die Fotografin deren Weiblichkeit oder Männlichkeit und hebt deren Schönheit in einer persönlichen Umgebung hervor.
«Früher trug ich den Hass in mir, so wie das Testosteron schlecht in mir wirkte. Jetzt fühle ich mich in Frieden», sagt Lea. Eine Wiedergeburt, eine Erleichterung, ein zweites Leben. Nachdem die Leserschaft das Leid der Protagonisten erfahren hat, entdeckt sie auch das intensive Gefühl der Freiheit, das ihnen die Transformation gibt. «Zum ersten Mal habe ich Dich glücklich strahlen sehen», sagt etwa Irene, die Partnerin von Lars, die ihn bei seiner Transformation unterstützte und begleitete.
Die Gefühle
Auch das Umfeld erlebt eine Transformation. So manche Beziehung scheitert daran. Lars und Irene sind die Ausnahme: Sie haben das Abenteuer gemeinsam erlebt und sind von einer lesbischen zu einer heterosexuellen Beziehung übergegangen. «Es war mir wichtig, dass Irene mit mir diesen Weg gehen kann. Ich glaube, sie hatte es schon immer gespürt», sagt Lars.
«Nur wenige Transmenschen* stehen in einer Beziehung mit einer cis-geschlechtlichen Person [Person, deren Geschlechtsidentität dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht entspricht]», sagt Bertholet. Für sie ist es ein Zeichen dafür, dass Vorurteile langlebig sind und die Gesellschaft die Transidentität noch nicht vollständig akzeptiert.
«Am hässlichsten ist der Gesichtsausdruck eines Mannes, der sich in mich verliebt hat und der plötzlich herausfindet, dass ich eine Transperson* bin», sagt Christina.
Bertholet träumt von einer Welt, in der Transmenschen* einfach als gewöhnliche Menschen angesehen werden. Sie wird weiter dafür kämpfen. Ihre Email-Signatur begleiten immer ein Zitat des mexikanischen Schriftstellers Don Miguel Ruiz:
«Wirkliche Freiheit ist die Freiheit, so zu sein, wie wir wirklich sind.»
*Das Sternchen bezieht alle Formen der Transidentität mit ein.
(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
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