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Trotz Krieg: Russinnen kommen weiterhin zum Gebären in die Schweiz

Vor- und nach der Niederkunft: Russin für Schwangerschaftstourismus in Genf
In einer Genfer Privatklinik kostet eine natürliche Geburt mit fünftägigem Aufenthalt im Einzelzimmer mindestens 24'000 Franken. Inna Shchibrik

Die Schweiz ist seit Langem ein beliebtes Ziel für russische Frauen, die im Ausland ein Kind zur Welt bringen wollen. Seit Ausbruch des Ukraine-Krieges bleiben viele von ihnen weg – aber nicht alle. Für eine Behandlung in der Schweiz nehmen sie Erschwernisse und Devisenbeschränkungen in Kauf.

Zahlreiche gescheiterte Versuche, in ihrem Heimatland schwanger zu werden, veranlassten die 36-jährige Inna Schtschibrik und ihren Mann aus dem zentralrussischen Jekaterinburg, in der Schweiz Hilfe zu suchen.

Nach einer ersten ärztlichen Konsultation in Genf im Jahr 2014 reiste sie zwölf Monate später erneut in die Schweiz, um eine medizinisch unterstützte Schwangerschaft und Geburt durchzuführen.

«Ich konsultierte zahlreiche Ärztinnen in Jekaterinburg, und in Moskau besuchte ich renommierte Experten in staatlichen Kliniken. Aber es wollte einfach nicht klappen. Ich konnte nicht verstehen, warum ich scheiterte. In der Schweiz entdeckte man schliesslich die Ursache meiner Unfruchtbarkeit», sagt Schtschibrik.

Auch für ihre zweite Schwangerschaft drei Jahre später wählte sie Genf. Schtschibrik ist inzwischen Mutter von drei Kindern, darunter ein Zwillingspaar.

Eine Frau in einem Park mit ihren beiden Kindern
Inna Schtschibrik und ihre Kinder gehen in einem Park in Genf spazieren. Inna Shchibrik

«In Genf wurde mir das Wichtigste klar: Während der Schwangerschaft sehnt man sich nach innerer Ruhe. Und diese fand ich dank der Unterstützung von kompetenten und einfühlsamen Fachleuten.»

Topdestination Argentinien

Der sogenannte «Schwangerschaftstourismus» ist bei russischen Frauen durchaus verbreitet.

Während es gewissen Frauen darum geht, dass ihre Schwangerschaft unter der Aufsicht westlicher Fachleute reibungslos über die Bühne geht, möchten andere die Möglichkeit nutzen, ihrem Kind bei der Geburt eine ausländische Staatsbürgerschaft zu sichern.

Die beliebtesten Länder für das Gebären im Ausland sind die Vereinigten Staaten und Argentinien. Besonders das südamerikanische Land hat sich seit Kriegsbeginn zu einer bevorzugten Destination für schwangere Russinnen entwickelt. Denn das Gesetz sieht vor, dass auch die Eltern eines in Argentinien geborenen Kindes rasch eine Aufenthaltsgenehmigung erlangen können.

Frau mit ihrem Baby.
Die Gesamtkosten für eine Geburt in der Schweiz liegen für ausländische Frauen zwischen 31’750 und 43’600 Franken. Inna Shchibrik

Offizielle Zahlen zeigen, dass im letzten Jahr etwa 22’200 Personen aus Russland in das Land eingereist sind – darunter 10’777 Frauen, viele von ihnen hochschwanger. Im Januar dieses Jahres reisten 4523 russische Bürger:innen in Argentinien ein – und damit mehr als viermal so viel wie ein Jahr zuvor, als es noch 1037 waren.

Tiefe Kindersterblichkeit

Die Schweiz bietet neugeborenen Kindern zwar nicht automatisch die Staatsbürgerschaft an, dafür aber eine hervorragende medizinische Versorgung, die viele Russinnen der Mittelschicht in ihrem Heimatland vermissen.

Während die UNO die Kindersterblichkeitsrate in Russland für das Jahr 2023 auf 4,8 Todesfälle pro 1000 Lebendgeburten schätzt, liegt die Zahl in der Schweiz bei 2,9. Offizielle Zahlen über die Anzahl russischer Frauen, die zur Entbindung in die Schweiz kommen, gibt es nicht.

Durch den Krieg in der Ukraine hat sich ihre Anzahl zwar verringert, nach wie vor reisen aber Russinnen aus diesem Zweck ein. Gewöhnliche russische Staatsangehörige können trotz des Krieges nach wie vor frei reisen, sie unterliegen aber Beschränkungen bei internationalen Geldüberweisungen.

Russische Banken sind von Sanktionen betroffen, ebenso wie Oligarchen mit Verbindungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin oder dem Regime in Moskau.

Direktflüge von Russland in die Schweiz wurden ebenfalls eingestellt.

Vertreter der Medizinbranche bestätigen, dass sich die Zahl der «Schwangerschaftstouristinnen» aus Russland seit Beginn des Krieges deutlich verringert hat. «Die Zahl der Patientinnen ist um 60% zurückgegangen», sagt auch Elena Vinokurova-Sestito, die Inhaberin eines kleinen Unternehmens in Genf. Seit 2010 bietet sie in der Rhonestadt, in Lausanne und in Zürich exklusive Dienstleistungen für werdende Mütter aus Russland an.

«Einige meiner Kundinnen sind selbst von den Sanktionen betroffen und dürfen nicht reisen, andere haben Schwierigkeiten, Geld ins Ausland zu überweisen und Zahlungen zu tätigen», sagt sie. Zur Anzahl der Kundinnen, die sie pro Jahr betreut, machte sie keine Angaben.

Eine Frau mit ihren Kindern und ihrem Arzt in Genf
Inna Schtschibrik steht mit ihrem Arzt und ihren Zwillingstöchtern in einer Privatklinik in Genf. Inna Shchibrik

Schwangerschaftstourismus: Mehr als 31’000 Franken pro Geburt

Zwar ist es dank Anschlussflügen nach wie vor möglich, in die Schweiz zu reisen, schwieriger wird es jedoch dann, wenn es darum geht, die hohen Arztrechnungen in den örtlichen Krankenhäusern zu bezahlen.

Eine natürliche Geburt in einer Genfer Privatklinik, einschliesslich eines fünftägigen Aufenthalts in einem Einzelzimmer, kostet mindestens 24’000 Franken. Ist ein Kaiserschnitt erforderlich, steigen die Kosten auf 28’000 Franken. In diesen Preisen sind die Kosten für die Anästhesie (zwischen 1250 und 3100 Franken), die kinderärztliche Betreuung (1500 bis 2500 Franken) und den:die Gynäkolog:in (5000 bis 10’000 Franken) nicht enthalten.

Die Gesamtkosten für eine Entbindung in der Schweiz liegen für ausländische Frauen somit zwischen 31’750 und 43’600 Franken. Bei Frauen, die in der Schweiz wohnen und versichert sind, wird der Grundtarif für eine Geburt von der Krankenkasse übernommen.

In Jekaterinburg, wo Schtschibrik lebt, beträgt der Basistarif für eine Geburt zwischen 100’000 und 140’000 Rubel (1100 – 1500 Franken). Die Luxus-Variante – die nicht von der Krankenversicherung abgedeckt wird – schliesst die Betreuung der werdenden Mutter durch einen Schönheitssalon und die Dienste eines:r Fotograf:in mit ein und beläuft sich auf 320’000 Rubel (3600 Franken).

Für Mehrlingsschwangerschaften und Fälle mit medizinischen Komplikationen sowie für die freie Wahl der ärztlichen Fachperson oder des:der Hebamme müssen die Patientinnen extra bezahlen.

Kreative Zahlungsmethoden

Einige von Vinokurova-Sestitos Kundinnen besitzen ausländische Bankkonten oder verfügen über eine doppelte Staatsbürgerschaft, was ihnen alternative Zahlungswege öffnet. Andere bringen Bargeld mit; die Ausfuhr von Bargeld aus Russland ist allerdings auf 10’000 Franken pro Person limitiert.

Meistens versuchen russische Patientinnen deshalb, Kreditkarten aus Ländern wie Kasachstan, Kirgisistan, Georgien oder China zu erwerben, die in der Schweiz akzeptiert werden. Sofern sie im Ausland leben, können Russen und Russinnen auch Revolut nutzen, eine Online-Kreditkarte, die von einem ukrainischen Start-up-Unternehmen lanciert wurde.

«Die technikaffinsten Kundinnen nutzen Kryptowährungs-Guthaben, die mit virtuellen Kreditkarten verknüpft sind. Es gibt Lösungen für das Zahlungsproblem, aber sie erfordern zusätzliche Zeit, Ressourcen und Anstrengungen», schliesst Vinokurova-Sestito.

Strafverfahren wegen Behandlung in Genf

Im Oktober 2022 wurde Svetlana M.* aus Woronesch* am Moskauer Zoll angehalten, weil sie mehr als die erlaubten 10’000 Dollar mit sich führte. Die zusätzlichen 800 Franken wurden beschlagnahmt, aber sie durfte trotzdem zur medizinischen Behandlung in die Schweiz reisen.

Nach ihrer Rückkehr nach Russland sah sich Svetlana M. allerdings mit einem Straf- und Verwaltungsverfahren wegen «Geldschmuggels» konfrontiert. Die Nachweise, die belegten, dass sie das Geld zu medizinischen Zwecken in die Schweiz transportiert hatte, wurden vom russischen Gericht nicht beachtet.

Das Strafverfahren wurde später eingestellt, jedoch erst, nachdem Svetlana M. eine saftige Geldstrafe bezahlt hatte. Die Höhe der Strafe gibt sie nicht bekannt. Seitdem ist sie für weitere medizinische Untersuchungen in die Schweiz zurückgekehrt, wobei sie jedes Mal die 10’000-Franken-Limite einhielt.

Dies hatte zur Folge, dass sie während ihrer Aufenthalte bei den Verpflegungs- und Taxi-Kosten sparen musste. Ihre russischen Kreditkarten funktionieren im Ausland nach wie vor nicht, und mit ihren chinesischen Karten kann sie kein Geld an Schweizer Kliniken überweisen. Das hat sie aber nicht davon abgehalten, erneut in die Schweiz zu reisen. Zuletzt war sie im Mai hier.

Wurde Putins Baby in der Schweiz geboren?

2015 berichtete die Schweizer Presse, dass die russische Turnerin Alina Kabajewa, die angeblich Putins Lebensgefährtin ist, ihr Kind in einer Schweizer Klinik im Kanton Tessin zur Welt gebracht habe. Ein Präsidentensprecher und die Turnerin selbst dementierten diese Berichte.

Wladimir Putin und Alina Kabajewa gehen aneinander vorbei.
Im Jahr 2015 berichtete die Schweizer Presse, dass die russische Turnerin Alina Kabajewa, die angebliche Freundin von Putin, ihr Kind in einer Schweizer Klinik im Kanton Tessin zur Welt gebracht hat. Keystone / Presidential Press Service/itar-

Die Entbindung soll in der exklusiven Tessiner Sant’Anna-Klinik stattgefunden haben. Die russischsprachige Website Corswiss (die in Russland die Klinik vermittelt) weist darauf hin, dass die Klinik unter anderem die Kinder von Silvio Berlusconi und des italienischen Sängers Eros Ramazzotti entbunden hat, sowie «Kinder von führenden russischen Politiker:innen».

Die Website enthält einen Abschnitt darüber, warum Prominente ihre Dienste in Anspruch nehmen: «Die Klinik liegt abseits von bewohnten Gebieten, was besonders wichtig ist, wenn es sich bei der schwangeren Frau um eine Prominente handelt, die die Aufmerksamkeit der Presse oder der Fans während der Schwangerschaft vermeiden möchte», heisst es dort.

Die Pressestelle von Sant’Anna reagierte auf eine Anfrage von SWI swissinfo.ch unverbindlich: «Wir geben grundsätzlich keine patientenbezogenen Auskünfte und bitten Sie daher, unsere Kliniken nicht mehr zu kontaktieren. Diese werden nicht in der Lage sein, Ihre Fragen zu beantworten.»

Sergej Pugatschow blickt nach links.
Sergej Pugatschow, ein Investor und früherer enger Bekannter und Berater Putins, der heute in Nizza lebt. Carlo Pisani / swissinfo.ch

Im Gespräch mit SWI Swissinfo.ch betont Sergej Pugatschow, ein Investor und ehemaliger enger Bekannter und Berater Putins, der jetzt in Nizza lebt, dass die Beziehung zwischen Kabajewa und Putin im engeren Umfeld der beiden nie ein Geheimnis war. «Ich weiss nichts Genaueres über ihre Beziehung, aber jeder in Russland weiss, dass Alina Kabajewa sozusagen seine Frau ist. Ihre Beziehung ist, scheint mir, wie die von Ehemann und Ehefrau.»

Er bestätigte, dass nach seinem Wissen eines ihrer drei gemeinsamen Kinder in der Schweiz zur Welt gekommen ist. 

Im Juni 2022 schloss sich die Schweizer Regierung einem weiteren Paket von EU-Sanktionen gegen Russland an, in dem auch Kabajewas Name aufgelistet ist. Neben der EU und der Schweiz haben auch die Vereinigten Staaten, Kanada und das Vereinigte Königreich persönliche Sanktionen gegen die ehemalige Gymnastin und Olympiasiegerin verhängt.

*Beide Namen wurden auf Wunsch der Interviewpartnerin anonymisiert.

Editiert von Virginie Mangin. Übertragung aus dem Englischen: Larissa Tschudi

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