Unfallursache: Glacier Express fuhr zu schnell
Überhöhtes Tempo respektive menschliches Versagen ist der Grund, weshalb im Oberwallis am 24. Juli beim Glacier Express-Zug drei Wagen entgleisten. Dabei kam eine japanische Touristin ums Leben, und 40 Personen wurden teils schwer verletzt.
Auf dem betreffenden Bahnstrecken-Abschnitt sei die Tempolimite von 35 Stundenkilometern vom Lokführer nicht eingehalten worden, teilte die Walliser Kantonspolizei am Freitagnachmittag mit.
Der Zug jedoch beschleunigte zu schnell und fuhr mit einer Geschwindigkeit von 55 km/h. Das Wetter, der Zug selber oder der Zustand des Trassees hätten als Unfallursache ausgeschlossen werden können.
Der Lokomotivführer habe bereits seit 8 Jahren für die Matterhorn Gotthard Bahn (MGB) gearbeitet. Der Untersuchungsrichter sei dabei, die Verantwortlichkeit des Lokführers zu bewerten.
Dabei betonte er, dass die strafrechtlichen Folgen erst festgelegt würden, wenn der Bericht der eidgenössischen Untersuchungsstelle vorliege. Dies könne noch einige Wochen dauern.
Hauptsächlich japanische Opfer
Der Glacier Express war vergangenen Freitag im Oberwallis verunfallt. Der Unglückszug war kurz vor Mittag mit ungefähr 210 Passagieren von Brig herkommend in Richtung Bündnerland unterwegs, als zwischen Lax und Fiesch drei Waggons entgleisten.
Die beiden hintersten Wagen des Panoramazuges kippten um, der dritte blieb stehen.
Beim Unfall kam eine 64-jährige Japanerin aus Osaka ums Leben. Insgesamt wurden 40 Menschen verletzt in Spitäler gebracht. Die meisten Verletzten stammen aus Japan.
Derzeit befinden sich noch acht Personen in Spitalpflege. Drei können voraussichtlich in den nächsten Tagen entlassen werden. Eine Person wird noch künstlich beatmet.
Der Walliser stellvertretende Regierungspräsident Jacques Melly sagte vor den Medien: «Die Walliser Regierung bedauert die Tragodie sehr. Das ganze Wallis teilt die Trauer. Alle unsere Gedanken sind mit den Opfern.»
Kritik in japanischen Medien
Der Unfall dominierte seit einer Woche die Schlagzeilen auch in Japan. Viele japanische Journalisten sind in die Schweiz gereist, um über diese Tragödie zu berichten.
So war das Interesse an den beiden Söhnen der tödlich Verunfallten gross, die in die Schweiz gekommen waren, um sie zu identifizieren.
Ihr Ehemann befindet sich noch im Spital. Laut seinen Söhnen möchte er nicht, dass der Ruf der Schweiz nun Schaden nehme.
Viel Kritik gab es in japanischen Medien, weil der Glacier Express bereits zwei Tage nach dem Unglück seine Fahrten wieder aufgenommen hat. Auf der Unfallstrecke ist jedoch das Tempo inzwischen auf 10 km pro Stunde reduziert worden.
Die Betriebsaufnahme noch während der Untersuchung hat auch in der Schweiz wohnende Japaner erstaunt, zum Beispiel den Sprecher von All Nippon Airways (ANA): «Es ist inakzeptabel, die Fahrten wieder aufzunehmen, bevor Klarheit über die Unfallursache herrscht», betonte er. «In Japan würde so etwas nicht möglich sein.»
Sichere Destination Schweiz
Die verunglückte Reisegruppe bestand hauptsächlich aus japanischen Rentnern, die ihr Geld für dieses Ereignis gespart hatten. «Sie hatten alle grosse Erwartungen, und wurden dann Opfer dieser Unfalltragödie. Das ist für die Japaner und für mich äusserst schmerzhaft. Wir können nachvollziehen, durch welche Schmerzen sie gingen. Sie fielen praktisch vom Himmel in die Hölle», so Aoto.
Für Japaner gelte die Schweiz als sichere Destination. «Deshalb ist es so wichtig gewesen, dass die Behörden die Unfallursache so schnell wie möglich herausfinden und dass das Bahnunternehmen so schnell wie möglich die richtigen Konsequenzen daraus ziehen.»
Dass sich die schweizerische Aussenministerin Micheline Calmy-Rey bei ihrem japanischen Amtskollegen für den Unfall entschuldigt hatte, wie das die Führung der Matterhorn Gotthard Bahn ebenfalls getan habe, sei laut Aoto in den japanischen Medien nicht gross vermeldet worden.
Dennoch sei dieser Schritt sehr wichtig gewesen. Aoto erinnert an einen Unglücksfall in Japan, bei dem der Schweizer Aufzugsproduzent Schindler involviert gewesen sei, sich aber nicht entschuldigt habe. Das hätte damals zu einem Aufschrei in Japan geführt.
Kulturunterschiede
Was den Umgang mit Japan und der japanischen Öffentlichkeit betrifft, wird die Matterhorn Gotthard Bahn vom Asienspezialisten von Schweiz Tourismus, Roger Zbinden, beraten. Zbinden lebte sieben Jahre in Japan.
Laut ihm müssen starke Kulturunterschiede bei der Kommunikation rund um diesen Unfall berücksichtigt werden. Das gehe sogar bis zur Frage, wie man sich vor den japanischen Kameras für so einen Fall zu kleiden und wie man seine Emotionen auszudrücken habe.
«Als Westeuropäer beginnen wir üblicherweise mit den Fakten», sagt Zbinden gegenüber swissinfo.ch. «Wir stellen klar, welches die Gründe sind und dann entschuldigen wir uns.»
«Nicht so in Japan. Um überhaupt kommunizieren und die Inhalte überbringen zu können, muss man zuerst das Emotionale formulieren. Das heisst, in Japan kommt zuerst die Entschuldigung, das Bedauern, die Sympathiebekundung für die Familie der Verunfallten. Dann erst kann man die Fakten bringen», so Zbinden.
Diese Kulturunterschiede haben sich laut dem Asienspezialisten eben auch bei der Wiederaufnahme der Zugfahrten gezeigt: «Für die Schweizer war dies ein positives Zeichen, dass der Unfallort wieder sicher befahrbar ist. Für die Japaner hingegen war das Zeichen nur negativ.»
swissinfo.ch, Isobel Leybold-Johnson, Alexander Künzle und Agenturen
Die Rhätische Bahn (RhB) und die Matterhorn Gotthard Bahn (MGB) sind eigenständige Unternehmen.
Sie führen das Produkt «Glacier Express» als Kollektivmarke, wobei beide Bahnen je 50% an der Marke halten.
Jede Bahn stellt gleichviel Rollmaterial zur Verfügung.
2006 bis 2009 wurde das Rollmaterial komplett erneuert.
Die Glacier-Express-Züge werden durch Lokomotiven der RhB und der MGB geführt.
Die Geschichte des Glacier Express geht auf die 1920er-Jahre zurück: RhB und die damalige Furka-Oberalp-Bahn FOB nutzten das touristische Potenzial der 1926 eröffneten durchgehenden Strecke Wallis-Graubünden – aber die ersten 50 Jahre nur im Sommer.
1930 fuhr der Glacier Express erstmals von Zermatt nach St. Moritz.
1982 wurde der ganzjährige Betrieb durch den Furka-Basistunnel (Oberwald – Realp) aufgenommen.
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