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Viel Lärm um nichts: Die Schweiz diskutiert über Elternzeit

Ein Vater gibt seinem Säugling die Milchflasche.
Elternzeit ermöglicht es Vätern und Müttern, Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Keystone

Geht es um Elternzeit, macht die Schweiz seit Jahren viel Lärm – mit mageren Resultaten: Mit Ach und Krach wurde 2005 ein Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen eingeführt. Nun liegen mehrere Vorschläge für einen Vaterschaftsurlaub auf dem Tisch.

Bis 2005 befanden Mütter sich in der Schweiz in einer absurden Situation: Sie durften während acht Wochen nach der Geburt nicht arbeiten, es gab aber keinerlei finanzielle Absicherung. Frauen waren auf einen Ehemann angewiesen oder mussten im Voraus privat sparen. Obwohl bereits 1945 ein Verfassungsauftrag an den Bund zur Einführung einer Mutterschaftsversicherung bestand, fehlte der politische Wille zur Umsetzung.

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«Soviele Dinge, die man nie mehr nachholen kann»

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht In der Schweiz gibt es bis anhin keinen gesetzlichen Vaterschaftsurlaub. Das könnte sich ändern – dank einer Volksinitiative.

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Erst 2005 wurde schliesslich ein 14-wöchiger Mutterschaftsurlaub eingeführt. Noch immer ist die Rollenverteilung bei den meisten Familien in der Schweiz sehr traditionell: Der Vater arbeitet Vollzeit, die Mutter bleibt beim Baby und arbeitet später höchstens Teilzeit.

Unter anderem deshalb wird regelmässig der Ruf nach einem Vaterschaftsurlaub laut. Es liegen derzeit mehrere Vorschläge auf dem Tisch, über welche die Sozialkommission des Ständerats diese Woche berät: Eine Volksinitiative für 20 Tage VaterschaftsurlaubFür einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub – zum Nutzen der ganzen FamilieExterner Link«), ein Vorschlag der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) für 2 Wochen VaterschaftsurlaubExterner Link sowie von der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen) ein Gegenvorschlag für einen ElternurlaubExterner Link von 16 Wochen.

Der extremste Vorschlag aber kommt von der Eidgenössischen Koordinationskommission für Familienfragen (EKFF) – just einige Tage vor der Debatte im Parlament: Gestützt auf eine in Auftrag gegebene StudieExterner Link empfiehlt sie eine Elternzeit von 38 Wochen mit einem Erwerbsersatz von 80 Prozent. Die EKFFExterner Link ist eine ausserparlamentarische Kommission und beratendes Organ des Bundesrates.

Märchenstunde in der Verwaltung

Was die staatliche Fachkommission schreibt, tönt nach einem Märchen, das zu schön ist, um wahr zu sein: Eine mehrmonatige Elternzeit würde zu mehr Arbeitskräften und mehr Steuereinnahmen führen und schon die Erhöhung der Erwerbsquote der Frauen um nur 1 Prozent würde die Kosten der Elternzeit bereits wieder decken.

Fakt ist: Auch wenn die Kinder grösser sind, gehen die meisten Mütter in der SchweizExterner Link entweder keiner Erwerbsarbeit nach oder höchstens in Teilzeit. Warum sollte ein grosszügiger Urlaub in der Kleinkindphase daran etwas ändern? «Studien zeigen, dass 18% der teilzeiterwerbenden Frauen gerne mehr arbeiten würden», erklärt Anja Wyden Guelpa, Präsidentin der EKFF. 

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Ein Elternurlaub erhöht laut Wyden Guelpa die Erwerbsbeteiligung der Frauen. «Je mehr Wochen, umso höher die Anzahl Frauen, die nicht aus dem Erwerbsleben aussteigen – sofern dies nicht 64 Wochen übersteigt.» Gemäss den ausgewerteten Studien sinkt die spätere Erwerbsquote der Frauen bei einer zu grosszügigen Elternzeit nämlich wieder.

Wie immer: Die Schweiz ist peinliches Schlusslicht

Die Schweiz ist es gewohnt, in Sachen Geschlechtergleichstellung ein Kuriosum zu sein: Während Frauen in Neuseeland beispielsweise seit 1893 wählen können, gibt es das Frauenstimmrecht in der Schweiz erst seit 1971 – im Kanton Appenzell-Innerrhoden sogar erst seit 1990.

Bei Familienfragen sind Schweizer und Schweizerinnen besonders traditionell. «Die Schweiz ist heute in Sachen Elternurlaub peinliches Schlusslicht in Europa und den OECD-Ländern, so wie wir es lange beim Mutterschaftsurlaub waren», so Wyden Guelpa. Nur die USA und Mexiko stehen noch schlechter da als die Schweiz. «Die meisten Länder kennen grosszügigere Modelle als die von der EKFF vorgeschlagene», so Wyden Guelpa. Der Mittelwert der OECD-Länder betrage 54.4 Wochen und der Median 43 Wochen. «Der Vorschlag der Kommission mit 38 Wochen ist somit sehr schweizerisch: vorsichtig, bescheiden und besonnen!»

Elternzeit bleibt in der Schweiz eine Utopie

Der Realitätscheck aber zeigt, dass der Vorschlag der EKFF wohl ein schönes Märchen bleiben wird. Das Modell ist in der Schweiz kaum mehrheitsfähig, was auch die Kommission gegenüber swissinfo.ch einräumt: «Es ist uns klar, dass unser Modell nicht unmittelbar umgesetzt werden wird», sagt Wyden Guelpa.

In der Schweiz wurde und wird Kinderhaben als Privatsache angesehen. Wyden Guelpa bestätigt: «Jeder macht in der Schweiz, wie er kann, ohne dass man hier eine wichtige kollektive Funktion des Staates sieht.» Die Familienpolitik werde in der Schweiz traditionell stiefmütterlich behandelt – ganz im Gegensatz zu den umliegenden Ländern, die seit dem Zweiten Weltkrieg eine Geburts- und Familienpolitik entwickelt hätten.

Warum aber macht die EKFF trotz fehlenden Erfolgsaussichten einen derart provokativen Vorschlag? «Die EKFF will keineswegs provozieren!», widerspricht Wyden Guelpa. «Die Rolle der EKFF als Expertenkommission ist es, fachliches Wissen bereitzustellen, prospektiv zu denken und die Bundesbehörden in Familienfragen zu beraten.» Die Kommission habe gestützt auf 150 wissenschaftliche Studien und die langjährige Erfahrung verschiedener OECD-Länder ein Modell erarbeitet, das evidenzbasiert am meisten langfristigen, sozialen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Nutzen bringen werde. Wie in Märchen üblich, müssen bis dahin allerdings noch einige Hürden überwunden werden.

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