«Viren wie Ebola: Herausforderung des 21. Jahrhunderts»
Sie sei zuversichtlich, dass sich die Verbreitung der Krankheit in den nächsten Monaten eindämmen lasse, sagt Sylvie Briand von der Weltgesundheits-Organisation (WHO). Laut der WHO-Verantwortlichen im globalen Kampf gegen Ebola ist diese Krise auch Ausdruck der Verletzlichkeit der Menschen gegenüber Viren.
Im Untergeschoss der Weltgesundheits-Organisation in Genf treffen sich täglich Dutzende Spezialisten, um zu versuchen, der schlimmsten Ebola-Epidemie aller Zeiten Herr zu werden. An ihrer Spitze steht Sylvie Briand, Direktorin der Abteilung zur Bekämpfung von Pandemien und Epidemien. Sie widerspricht Kritiken, die der UNO-Gesundheitsorganisation Reaktionsträgheit vorwerfen.
swissinfo.ch: In Westafrika sind bereits mehr als 4000 Menschen dem Virus zum Opfer gefallen. Steht das Schlimmste noch bevor?
Sylvie Briand: Es ist schwierig Prognosen zu machen. In einigen Regionen hat die Ansteckung abgenommen, und die epidemiologische Kurve senkt sich. Aber in den Städten, wo sie am schwierigsten zu bekämpfen ist, breitet sich die Epidemie aus.
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Wie Insider mit Epidemien umgehen
swissinfo.ch: Sie haben kürzlich von einem «Krieg» gesprochen, den Sie gegen das Virus führen. Entspricht dieser martialische Ausdruck der Situation in den betroffenen Gebieten?
S.B.: Absolut. Ebola ist kein harmloses Virus. Es ist überhaupt nicht vergleichbar mit gewöhnlichen übertragbaren Krankheiten. Dieser unsichtbare, schleichende Feind provoziert eine allgemeine Panik. Aber obwohl die Aufgabe sehr kompliziert ist, wollen wir diesen Krieg gewinnen. Wenn uns die Mittel zur Verfügung stehen, können wir Ebola in einigen Monaten in den Griff bekommen oder zumindest verhindern, dass die Krankheit endemisch wird.
Die Forschungsresultate sind in diesem Sinn ermutigend. Ich bin überzeugt, dass wir bald ein antivirales Medikament oder einen Impfstoff finden werden, der eine Behandlung der Erkrankten nach der Ansteckung (Post-Exposition) ermöglicht. Mit Sicherheit lässt sich nicht ganz verhindern, dass die Krankheit weiterhin übertragen wird, aber wir können zumindest ihre Mortalität reduzieren.
Schweizer Hilfsmission in Westafrika
Die Schweizer Regierung plant eine Hilfsmission in den Ebola-Gebieten in Westafrika. Die Schweiz komme damit einem Ersuchen der UNO nach, sagte Bundesratssprecher André Simonazzi. Die Mission soll rund 90 Armeeangehörige und zwei bis drei Helikopter umfassen.
Eingesetzt werden die Fluggeräte gemäss den Plänen für den Transport von Menschen und Material. Es würden allerdings lediglich Gesunde geflogen, also Helferinnen und Helfer sowie Gesundheitspersonal.
swissinfo.ch: Ab wann könnten diese Behandlungen eingesetzt werden?
S.B.: Einige antivirale Behandlungen, die bereits gegen Grippe verwendet werden, dürften in einigen Monaten zur Verfügung stehen, um Ebola zu bekämpfen, wenn sie sich als wirksam erweisen. Andere spezifische Medikamente werden derzeit geprüft. Einige haben bei Tierversuchen sehr überzeugende Resultate erzielt. Nun müssen Versuche an gesunden Freiwilligen durchgeführt werden, um allfällige toxische Risiken bestimmen zu können.
Auch Impfstoffe werden geprüft. Dies beansprucht zwar ein bisschen mehr Zeit, aber es geht ebenfalls um einige Monate. Eine der Schwierigkeiten wird sein, für die betroffenen Länder ausreichende Mengen herstellen zu können.
swissinfo.ch: Ebola ist keine neue Krankheit. In den letzten 30 Jahren ist sie mehrmals aufgetaucht. Was ist diesmal anders?
S.B.: Die Krankheit ist zoonotisch, das heisst, sie kann sich vom Tier auf den Menschen übertragen. Aber diese Form der Ansteckung war bisher sehr selten und kam in rückständigen Regionen vor. Die Menschen kontaminierten sich beim Zerstückeln und Essen von Buschfleisch. Die Epidemie blieb auf diese kleinen äquatorialen Walddörfer beschränkt.
Jetzt hat die Epidemie zum ersten Mal die grossen Städte erreicht, mit einem weitaus grösseren Ansteckungspotenzial als in der Vergangenheit. Drei Länder waren auf Anhieb betroffen, was die Bekämpfung komplizierter macht.
Schweiz rüstet sich gegen Ebola
Die Schweiz hat zum ersten Mal eine nationale Koordinationsplattform zur Bekämpfung des Ebola-Virus errichtet, das vom UNO-Sicherheitsrat als «Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit» qualifiziert wurde.
Der vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) geschaffenen Task force gehören kantonale Ärzte und Vertreter aus einem Dutzend kantonaler Spitäler an. Die Rolle des Bundes beschränkt sich hauptsächlich auf die Koordination zwischen den verschiedenen Krankenhäusern, falls diese einen Ebola-Patienten in Obhut nehmen müssten.
Das BAG hat auch Massnahmen in Bezug auf die in der Schweiz lebende Diaspora ergriffen, die aus den betroffenen Ländern stammt. Mitte August hat die Behörde Tausend Briefe an Staatsangehörige von Guinea, Liberia und Sierra Leone verschickt, um ihnen die zu ergreifenden Vorkehrungen bekannt zu machen, die im Fall einer Reise in diese Regionen zu treffen sind. Das Schreiben enthält auch einige medizinische Ratschläge für Besuche bei Familienangehörigen oder Freunden in der Schweiz.
swissinfo.ch: Hat die WHO die Tragweite der Epidemie zu spät erkannt?
S.B.: Nein, wir wussten von Anfang an, dass diese Epidemie gravierend ist, und wir haben sie nicht auf die leichte Schulter genommen. Aber es ist richtig, dass das Ausmass der Epidemie unsere Kapazitäten rasant übertroffen hat, und wir mussten andere UNO-Unterorganisationen und Partner um Hilfe bitten.
swissinfo.ch: Wie kommt es, dass die NGO in der Zeit zwischen November 2013, als die erste Person erkrankte, und der internationalen Mobilisierung durch die WHO im März 2014 sich selbst überlassen waren?
S.B.: Die Epidemie war erst im März 2014 bestätigt worden, weil zuerst von einer Cholera-Epidemie ausgegangen worden war. Die verspätete Diagnose hat die Kontrolle der Ebola-Epidemie beeinträchtigt. Aber als diese festgestellt wurde, haben wir die notwendigen Vorkehrungen getroffen.
Die WHO ist normalerweise an der Behandlung der Patienten nicht beteiligt. Unsere wichtigste Aufgabe ist es, weltweit die sanitäre Sicherheit zu gewährleisten, und deshalb haben wir die Nachbarländer mobilisiert, um zu verhindern, dass das Virus importiert wird.
swissinfo.ch: Ist die Antwort der internationalen Gemeinschaft heute ausreichend?
S.B.: Wenn man die Epidemie schneller bekämpfen will, braucht es eine stärkere Mobilisierung. Diese Epidemie macht die Mängel der sanitären Versorgung vor Ort deutlich. Die Krankheit ist in extrem armen Ländern ausgebrochen, in denen es pro 100’000 Bewohner einen Arzt gibt. Mehr als 400 medizinische Fachleute sind bereits gestorben, was die sanitäre Versorgung zusätzlich schwächt.
swissinfo.ch: Ist die sanitäre Krise in Liberia, Sierra Leone und Guinea beispiellos?
S.B.: Ja, ich glaube schon. Diese Länder sind regelmässig von verheerenden Epidemien betroffen, aber diesmal zieht die sanitäre Krise auch eine soziale und ökonomische Krise nach sich. Ganze gesellschaftliche Schichten brechen wegen dieses unsichtbaren Feindes eine nach der anderen zusammen.
swissinfo.ch: Ebola sorgt mit ersten Ansteckungsfällen in Spanien und den USA seit einigen Wochen auch in den westlichen Ländern für Aufregung. Steigert man sich hier nicht in eine gewisse Psychose hinein?
S.B.: Länder mit einem fortschrittlichen Gesundheitssystem haben natürlich bessere Mittel zur Bekämpfung des Virus zur Verfügung. Sie können zum Beispiel jede Ansteckungskette kontrollieren. Sie sind deshalb nicht mit einer derart explosiven Situation konfrontiert. Aber die Angst ist verständlich, vor allem bei medizinischen Fachleuten, die mit Ebola konfrontiert werden könnten.
swissinfo.ch: Anderen Krankheiten wie Malaria, Tuberkulose oder Aids fallen jedes Jahr Millionen Menschen zum Opfer. Besteht nicht die Gefahr, dass sich die internationale Gemeinschaft in den nächsten Monaten zu sehr auf Ebola konzentriert?
S.B.: Nein. Natürlich darf man die Krankheiten, die Sie erwähnen, nicht vernachlässigen. Vor 30 Jahren sind die gleichen Ängste entstanden, als HIV/Aids auftauchte. Heute sind weltweit 30 Millionen Menschen von diesem Virus angesteckt.
Aber man kann nicht nur gestützt auf die Anzahl Todesfälle entscheiden, sondern muss die reellen Risiken beurteilen. Ebola ist eine extrem lebensbedrohliche Krankheit, und wir müssen alles unternehmen, um zu verhindern, dass sie sich ausbreitet.
swissinfo.ch: Welche Lehren lassen sich bereits aus dieser Ebola-Epidemie ziehen?
S.B.: Impfstoffe und die Erhöhung des Lebensstandards haben es ermöglicht, Krankheiten wie die Pest oder Cholera auszurotten, die in den letzten Jahrhunderten regelmässig zugeschlagen haben. Aber man darf auch nicht vergessen, mit den mikroskopischen Wesen zu leben, die uns umgeben. Die Viren sind die grosse sanitäre Herausforderung des 21. Jahrhunderts.
Im 20. Jahrhundert waren Bakterien die bedeutendste Bedrohung. Dank Antibiotika konnten viele Krankheiten behandelt werden. Deshalb ist es sehr wichtig, die Forschung zu intensivieren, um Medikamente oder taugliche Impfstoffe gegen diese auftauchenden Viren zu entwickeln.
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)
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