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Wegen Coronavirus mehr Patientenverfügungen

Eine Person unterschreibt ein Dokument.
Wer auch im Falle einer Urteilsunfähigkeit über die Behandlung bestimmen will, muss eine Patientenverfügung verfassen. Westend61 / Rainer Berg

Die Covid-19-Pandemie veranlasste viele Menschen zu einem Nachdenken, wie sie sterben wollen - und wie nicht. Während des Lockdowns stieg in der italienischen und französischen Schweiz die Nachfrage nach Formularen für Patientenverfügungen exponentiell an.

«Ich möchte am Ende nicht dahinvegetieren. Ich will das nicht erleben, ich will nicht das Gefühl haben, keine Luft mehr zu haben, nicht mehr atmen zu können», sagte Susanne Degives, eine 87-Jährige aus Genf, im Juni dem Westschweizer Fernsehen (RTS). «Ich finde, dass sie Menschen ab einem bestimmten Alter in Frieden gehen lassen sollten», sagte sie.

Diese Überlegungen sind bei der älteren Frau auf schmerzhafte Weise gereift, als Bekannte von ihr am Coronavirus erkrankten. Diese mussten sich einer intensiven Therapie unterziehen und leiden noch immer. «Sie konnten nicht mehr sprechen, konnten nicht mehr atmen, und jetzt, zwei Monate später, sind sie immer noch krank», sagte Degives.

Diese Erfahrung veranlasste sie dazu, ihre eigene Patientenverfügung zu verfassen. Und sie ist kein Einzelfall. Das Drama der Pandemie hat vielen Menschen bewusst gemacht, wie wichtig es ist, eine Patientenverfügung aufzusetzen, welche die Selbstbestimmung garantiert.

In der Patientenverfügung bestimmt eine Person, wie sie medizinisch behandelt werden soll, falls sie urteilsunfähig wird. Sie hält fest, welchen lebenserhaltenden und begleitenden Behandlungen sie zustimmt und welche sie ablehnt. Patientenverfügungen kommen nur zur Anwendung, wenn eine Person sich nicht mehr ausdrücken kann oder urteilsunfähig ist. In allen anderen Fällen trifft die Person weiterhin frei ihre eigenen Entscheidungen.

Quelle: Pro SenectuteExterner Link

«In der Deutschschweiz verfügten vor der Coronavirus-Krise 50% der Personen ab 65 Jahren über Formulare einer Patientenverfügung, hatten diese aber nicht ausgefüllt. Wir sind überzeugt, dass der Anteil der ausgefüllten Dokumente deutlich zugenommen hat», sagt Pro-Senectute-Sprecherin Tatjana Kistler gegenüber swissinfo.ch.

In den französischsprachigen Kantonen und im Tessin, wo die Nachfrage nach solchen Formularen seit jeher geringer ist, sei während des Lockdowns ein Anstieg von mehr als 50% verzeichnet worden, so die Sprecherin.

Gemäss einer von Pro Senectute 2017 in Auftrag gegebenen Umfrage, für die 1200 Telefoninterviews mit Personen zwischen 18 und 99 Jahren durchgeführt wurden, haben nur 22% der Bevölkerung eine Patientenverfügung erstellt. Die Mehrheit (47%) gehörte der Altersgruppe der 60- bis 70-Jährigen an. Der Anteil derjenigen mit Patientenverfügung lag in der deutschsprachigen Region (27%) über dem nationalen Durchschnitt, während er in der französischsprachigen Region (10%) und in der italienischsprachigen Region (5%) deutlich niedriger war.

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Laut Kistler hat die Angst vor dem Tod oder vor Schmerzen und Beeinträchtigungen das Interesse an Patientenverfügungen erhöht.

«In dieser Krisenzeit waren die Bilder im Fernsehen erschreckend. Wir haben viele Kommentare von älteren Menschen erhalten, die uns sagten: Ich habe gut gelebt, ich bin 90 Jahre alt, ich will nicht so sterben», sagte Alain Huber, Sekretär von Pro Senectute, gegenüber RTS. «Dies hat viele Menschen dazu veranlasst, eine Patientenverfügung auszufüllen, um selbst zu entscheiden, wie sie ihr Leben beenden möchten».

Andere wichtige Vorkehrungen

Die Patientenverfügungen sind Teil des von Pro Senectute erstellten Vorsorgedossiers DOCUPASSExterner Link. Darin können alle persönlichen Anliegen, Bedürfnisse und Wünsche für den Ernstfall festgelegt werden.

Das Dossier umfasst neben der Patientenverfügung auch einen Vorsorgeauftrag (dieser bestimmt, wer im Falle einer Urteilsunfähigkeit die Rechnungen zahlt, die Person rechtlich vertritt und sich um sie kümmert), Anordnung für den Todesfall (Wünsche für die Bestattung; Organspende), Testament und Vorsorgeausweis (nennt Kontaktperson für Notfälle).

Mit der Coronavirus-Krise habe Pro Senectute ein moderat gestiegenes Interesse an diesen Dokumenten beobachtet, sagt Kistler. Aber «schon vor der Pandemie haben wir festgestellt, dass sich immer mehr junge Menschen für die Frage der persönlichen Vorkehrungen interessieren. Sowohl weil ihre Eltern sie ihnen geben wollten als auch wegen der Einsicht, dass so früh wie möglich persönliche Vorkehrungen getroffen werden sollten».

Kistler betont, dass die Patientenverfügungen nur ein Teil des Dossiers sind. Es sei ebenfalls wichtig, einen Vorsorgeauftrag für den Fall einer Urteilsunfähigkeit zu haben. Dieser ist weniger bekannt und wird deshalb seltener angewendet als die Patientenverfügung, wie aus der Umfrage von 2017 hervorgeht. Hier die Ergebnisse der Umfrage in einer Grafik:

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Sibilla Bondolfi

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