Wenn die Seelen unruhig werden
Weihnachten ist in unseren Breiten trotz Kommerz und Rummel noch immer eine Zeit der Einkehr geblieben. Liebe und Friede sollten herrschen und wollen sich oft aber nicht einstellen. Das wissen die Kirchtürme von Aeschi (SO) und Herzogenbuchsee (BE).
Der katholische Kirchturm der solothurnischen 1000-Seelen-Gemeinde Aeschi sieht aus wie ein Leuchtturm und das will er auch sein. Wenn auch die wasserumtobten Klippen und das sich drehende Leuchtfeuer fehlen, die winterliche und weihnächtliche Zeit lässt doch an die unruhige See denken. Es sind die Seelen, die gerade in dieser Zeit aufschäumen und um die sich der Kirchturm sorgen muss.
Das würde er zwar gerne tun, doch seit Jahren ist das stattliche Kirchengebäude samt Turm irgendwie verwaist. In Aeschi fehlt der Priester. Seit Jahren schon und wenn sie einen benötigen, muss er zugezogen werden. Aushilfspriester nennt sich das.
Und auch wenn der Kirchturm, schaut er gegen Westen, beinahe in den Amtssitz des Bischofs in Solothurn blicken kann – und das oft auch flehend tut – auch der kann keinen Priester herzaubern.
«Vielleicht müssten die…» aber das ist eine andere Geschichte.
Zuhören geht immer
Ob offizieller Priester oder nicht, die Seelen in Aeschi treibt es an Weihnachten genauso um, wie überall. Zum Glück lebt da im Pfarrhaus Alfons Frei.
Er bezeichnet sich als Mädchen für alles. Offiziell ist er Seelsorge-Mitarbeiter und als solcher die richtige Person zur richtigen Zeit. Frei schaut zur Kirche, zu den Menschen, er darf Beerdigungen und genau definierte Gottesdienste durchführen aber keine Taufen, Eheschliessungen und die Beichte darf er auch nicht abnehmen.
«Da muss dann schon der echte Priester kommen», sagt er gegenüber swissinfo.ch. Da der, der ab und zu kommt, aber schon alt ist und immer älter wird, kommen die Leute zu Alfons Frei.
«Ja an Weihnachten braucht es mich schon viel mehr als etwa im Sommer. Die Tage sind kurz und oft neblig. Die Alten Leute gehen gar nicht mehr nach draussen. Da kommt dann schon einiges hoch.»
An- und mithören könne er immer. Versuche sich Zeit zu nehmen für die Nöte der Menschen. «Oft bin ich schlicht Ansprechpartner – weniger die Kirche», sagt Frei.
Und wo bringt er denn die Kirche ins Spiel, denn er ist doch kirchlicher Seelsorge-Mitarbeiter. Frei lächelt. «Wenn ich zuhöre, dann frage ich mich immer, wie würde jetzt Jesus reagieren?» Schaut zum Fenster hinaus und zum Kirchturm, der ausschaut wie ein Leuchtturm.
Weihnachten weckt Erwartungen und Wünsche
Der wiederum blickt nach Osten und dort – nur einige Kilometer weg – sieht er seinen protestantischen Kollegen, den Kirchturm im viel grösseren Herzogenbuchsee. Streng und klassisch steht der da. Viel asketischer als der etwas verspielte Turm von Aeschi als würden Luther und Calvin um ihn herum streichen. Ordentlich gepflegt wirkt er der Buchsi-Turm.
Doch auch die Seelen rund um diesen Kirchturm geraten in der Weihnachtszeit oft in Unruhe. Ob sie nun protestantisch oder katholisch sind, ist da nebensächlich.
«Es mag damit zu tun haben, dass Weihnachten Erwartungen und Wünsche weckt und dass die Erinnerungen an die Kindheit hochkommen», sagt Sophie Matschat, Pfarrerin in Herzogenbuchsee.
«Es kommt bei denen hoch, welche die Erinnerung an schöne Weihnachten haben und es kommt bei denen als Wunsch hoch, die sie nicht kennen, diese schöne familiäre Weihnacht.»
Es sei die Zeit, in der die Engel singen und Friede auf Erden herrschen solle. Aber die Realität finde hier auf Erden statt. Da lasse sich der Friede eben nicht am 24. Dezember, nach Ladenschluss, per Knopfdruck herstellen. «Ja, Weihnachten ist eine schwierige Zeit», findet Sophie Matschat.
Die Seelen treffen und öffnen
Deshalb sind sie und ihre Kollegen in dieser Zeit sehr viel unterwegs. «Ein Pfarrer gehört zu den Menschen». Sophie Matschat nimmt an Seniorennachmittagen teil, die oft mit Vereinen organisiert werden. Sie nimmt an Weihnachtsnachmittagen teil, wo sie versucht mit Erzählungen, Geschichten aus dem Alltag «besinnlich an die Quelle zu gehen». In den geselligen Zusammentreffen öffne sich manch eine Seele. Dann bin ich da als Christin.
«Seele ist für mich der Kern der Lebenskraft. Seelenlos wäre dann ohne Lebenskraft», sagt die Pfarrerin und sieht ihre Aufgabe darin, diese «Leistung der Seele» im Sinne von lebensbejahend zu erhalten. Dabei sei sie keine Psychotherapeutin, sondern Therapeutin im Sinne der christlichen Botschaft.
«Weihnachten als Verkörperung der Liebe, wo Gott Mensch geworden ist. Sichtbar sollte jedoch sein, dass er immer, das ganze Jahr hindurch Mensch wird, nicht nur an Weihnachten.»
Dann kommt sie doch die lange Nacht, und der Nebel zieht über das Land, der dichte, der über Weihnachten in dieser Gegend äussert zäh sein kann. Er hüllt die beiden Kirchtürme ein. Für die unruhigen Seelen wäre also gesorgt, sie müssten sich nur öffnen.
Urs Maurer, swissinfo.ch
Der Ausdruck wird heute oft als eine Gesamtheit der Gefühlsregungen und geistigen Anstrengungen von uns Menschen angesehen.
Je nach mythischen, religiösen, philosophischen oder psychologischen Traditionen hat das Wort Seele unterschiedliche Bedeutungen.
Im Duden (2005) finden sich dazu Begriffe wie «Empfindungsleben», Gefühlsleben, Gemüt, Herz, Innenwelt, Inneres, Psyche, Brust, Seelenleben, Kernstück, Mitte, Nabel, Seele des Ganzen, Herzstück oder Fokus.»
Aristoteles definiert die Seele als Aktualität, Verwirklichung, Vollendung «eines natürlichen Körpers, der potentiell Leben hat».
Im Neuen Testament erscheint der Begriff Seele als traditionelle Vorstellung eines mit dem Atem verbundenen, in der Kehle lokalisierten «Lebensorgans”.
Daher der Ausdruck «die Kehle zuschnüren» bei Angst etwa.
Descartes unterscheidet streng zwischen einer ausgedehnten Materie (res extensa) und einer denkenden Seele (res cogitans).
Die neuere Philosophie versteht unter «Seele» auch eine eigene Substanz, von der das Denken und Fühlen und andere geistige Akte ausgehen.
Und schlussendlich: Das traditionelle Konzept einer unsterblichen Seele setzt voraus, dass sie nicht aus Teilen besteht, in die sie zerlegbar ist, da sie sonst vergänglich wäre.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch