Wird Fifa-Skandal zum Eigentor für die Schweiz?
Während der Weltfussballverband Fifa Korruptionsvorwürfe in den eigenen Reihen untersucht, ertönt im In- und Ausland Kritik am Schweizer Rechtssystem. Hier sind grosse Sportverbände vom Antikorruptionsgesetz ausgenommen.
Neben der Fifa haben auch der europäische Fussballverband (Uefa), das Internationale Olympische Komitee (IOC) sowie rund 50 weitere internationale Sportverbände ihre Sitze in der Schweiz.
Sie können so Steuern sparen, und sie geniessen besondere rechtliche Vorteile. Diese gewährt ihnen insbesondere die uneingeschränkte rechtliche Hoheit über ihre Geschäfte.
Umgekehrt profitiert Schweiz vom Prestige, bedeutende Organisationen zu ihren Gästen zählen zu können, denn deren Anwesenheit fördert den Nimbus der Schweiz als Hort von Neutralität und Toleranz.
Die Vorwürfe gegen die Fifa wegen Bestechlichkeit liessen die Frage nach dem genauen rechtlichen Status solch internationaler Sporthohheiten aufkommen. Immerhin kontrollieren diese Sportarten, die Einkünfte teils in Milliardenhöhe generieren, wie dies beim Fussball der Fall ist.
Im jüngsten Fall werden die Fifa resp. ranghohe Funktionäre von der britischen Zeitung Sunday Times beschuldigt, ihre Stimmen für eine bestimmte WM-Kandidatur in Aussicht gestellt zu haben, falls sie dafür Geld erhalten würden.
Erlaubt
Das erstaunliche daran: Solche Praktiken, ob von Fifa-Offiziellen oder von Vertretern anderer Verbände, sind in der Schweiz keineswegs strafbar. Denn solche Körperschaften unterliegen nicht dem Schweizer Antikorruptionsgesetz. Begründung: Sie sind nicht in erster Linie gewinnorientiert. Die spezialisierte Organisation Transparency International hatte diese Sonderregelung als eine der ganz wenigen Stimmen seit der Einführung 2006 kritisiert.
«Diese Regelung ist ein grosser Fehler», sagt Anne Schwöbel von Transparency International Schweiz gegenüber swissinfo.ch. «Die Schweizer Regierung bezeichnete die Sportverbände als nicht kommerzielle Körperschaften, dabei stehen teils riesige finanzielle Interessen hinter dem Sport.»
Sportverbände würden in der Schweiz einen grossen rechtlichen Freiraum geniessen, sagt auch Piermarco Zen-Ruffinen, Spezialist für Sportrecht an der Universität Neuenburg.
«Die Gründung einer Gesellschaft ist sehr einfach, das Schweizer Gesetz kennt nur ganz wenige zwingende Vorschriften», so der Jurist. Solche Gesellschaften hätten einen enormen Freiraum, sich selbst zu organisieren.
In der Schweiz ansässige Verbände seien in der komfortablen Lage, im Falle von Korruption keine externe Untersuchung fürchten zu müssen.
In den Augen des Schweizer Justizministeriums soll dies auch so bleiben, denn nach Auskunft ist in Bern von Behördenseite keine Änderung des Ausnahmestatus geplant.
Schwindendes Vertrauen
Einzige Konsequenz aus dem aktuellen Fifa-Fall besteht laut Zen-Ruffinen darin, dass sich ein nationaler Verband, der sich bei der Vergabe der WM-Endrunde übergangen fühlt, an ein Zivilgericht wenden würde.
Die Fifa war bereits in jüngster Vergangenheit in einen Rechtsfall verwickelt. Ausgangspunkt war der Bankrott der Sportvermarkterin ISMM-ISL, einer Agentur mit Sitz in Zug, die auch von der Fifa mandatiert war. Untersuchungen von Zuger Ermittlern förderten Schmiergeldzahlungen von 138 Mio. Franken zu Tage. In einigen Fällen gab es auch Verbindungen zu der in Zürich beheimateten Fifa.
Der Prozess, der von 2005 bis vergangenen Juni dauerte, ging mit der Vereinbarung einer Zahlung zur Wiedergutmachung zu Ende. Damit entkamen die Angeschuldigten einer Verurteilung.
Angesichts des zunehmend angekratzten Image gewisser Sportverbände rufen deshalb Beobachter nach einer unabhängigen internationalen Untersuchungsinstanz, analog zur Welt-Antidopingagentur (Wada).
30-Tage-Sunspendierung
Das sieht die Fifa anders. Sie ist gewillt, das Vertrauen mit einer eigenen Untersuchung der Bestechungsvorwürfe wieder herzustellen.
Die Fifa-Ethikkommission unter dem Vorsitz von Claudio Sulser, einem ehemaligen Schweizer Fussballspieler, gab am Mittwochabend nach langer Sitzung die provisorische Suspendierung zweier Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees bekannt. Es betrifft dies den Nigerianer Amos Adamu und Reynald Temarii aus Tahiti. Unter den Bann fielen zudem vier weitere Offizielle unterer Chargen. Die Massnahme gilt aber nur für 30 Tage.
Beim Entscheid sei es um den «Schutz der Integrität des Bewerbungsprozesse für die Weltmeisterschaften 2018 und 2022» gegangen, sagte Sulser.
Die Untersuchung der Sulser-Kommission, deren Ergebnisse für Mitte November angekündigt wurden, wurde auch auf verdächtige Handlungen einiger Bewerber ausgedehnt, die namentlich nicht genannt wurden. Die Vergabe der Endrunden 2018 und 2022 findet am 2. Dezember in Zürich statt.
«Vertraut uns!»
«Unsere Gesellschaft ist voller Teufel und diese Teufel findet man im Fussball», sagte Joseph Blatter, der Schweizer Fifa-Präsident am Mittwochabend zornig. Angesichts der von Journalisten vorgebrachten Frage, ob die Fifa korrupt sei, beharrte der Walliser wütend auf der Untersuchung durch die eigene Kommission.
«Vertrauen Sie uns und Sie werden sehen, dass das Vertrauen wieder hergestellt sein wird», sprach Blatter und verliess die Bühne.
Die signalisierte Bestechlichkeit von Fifa-Funktionären steht im Zusammenhang mit den Bewerbungen für die WM-Endrunden 2018 und 2022.
Laut der Sunday Timesvom 17. Oktober haben die beiden Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees, Amos Adamu und Reynald Temarii, die Bereitschaft durchblicken lassen, dass ihre Stimmen käuflich sind. Die Szenen wurden von zwei Journalisten der Zeitung gefilmt, die verdeckt agierten.
Die Fifa reagierte mit einer Untersuchung durch die eigene Ethikkommission. Diese weitete ihre Abklärungen auf weitere Mitglieder aus. Auch sie sollen sich im Zusammenhang mit der Vergabe der beiden WM-Endrunden unredlich abgesprochen haben.
Am 20. Oktober gab die Ethikkommission die Suspendierung von insgesamt sechs Offiziellen bekannt, darunter zwei Mitglieder des Exekutivkomitees.
Das Gremium will ihren vollständigen Bericht Mitte November vorlegen.
Die Massnahme gegen die sechs fehlbaren Funktionäre ist auf einen Monat befristet. Wird sie nicht verlängert, dürfen die zwei Mitglieder des Exekutivkomitees am 2. Dezember bei der Vergabe der Austragungsorte der Fussball-WM 2018 und 2022 abstimmen.
(Übertragen aus dem Englischen: Renat Künzi)
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