Sonnenspiegel erlöst Dorf aus Schattendasein
Das italienische Bergdorf Viganella liegt im Winter fast drei Monate im Schatten. Dank eines gigantischen Spiegels fällt seit kurzem etwas Sonnenlicht auf die Piazza.
Die Technologie erweckt weltweit Interesse, auch bei einigen Dörfern im Kanton Tessin.
Die Sonnenwende 2006 wird man im kleinen Viganella in der Nähe von Domodossola so schnell nicht vergessen. Denn in diesem Dezember hat die Berggemeinde einen kleinen Traum verwirklicht. Über einen Spiegel reflektierte Sonnenstrahlen fallen auf den Dorfplatz der 180-Seelen-Gemeinde, die nahe der Schweizer Grenze liegt.
Acht auf fünf Meter (40 Quadratmeter) misst der Spiegel, der 500 Höhenmeter über dem Dorf installiert wurde. Dank eines Motors und Computersteuerung kann der Spiegel dem Verlauf der Sonne folgen. Der Abstand vom Spiegel zum Dorfplatz beträgt knapp 900 Meter.
Der Spiegel, gebaut von der Firma «Soledoppio» aus Savona (I) wirft über sechs Stunden am Tag Sonnenstrahlen auf den Dorfplatz – vorausgesetzt die Sonne scheint. «Am Morgen ist der Effekt am grössten, weil die vollen acht Meter Länge reflektieren», sagt Architekt Giacomo Bonzani.
Internationales Aufsehen
Seit das Projekt vor einem Jahr an einer Pressekonferenz vorgestellt wurde, hat es bereits international für Schlagzeilen gesorgt. Insgesamt 74 Fernsehsender sollen im Tal unterwegs gewesen sein, heisst es auf der Gemeindekanzlei. Ddarunter befanden sich Al-Jazeera, aber auch die grossen deutschsprachigen Kanäle wie ARD, ZDF, ORF sowie das Schweizer Fernsehen SF.
«Insbesondere nachdem BBC auf seiner Internet-Seite darüber berichtet hatte, stand das Telefon nicht mehr still», sagt ein Mitarbeiter der Gemeinde. Die ersten Anfragen seien erstaunlicherweise aus Südamerika gekommen. «Die Leute wollten sogar Geld spenden.»
Der clevere Gemeindepräsident Gianfranco Midali (47), von Beruf Lokomotivführer, ist zu Recht stolz, dass eine kleine Gemeinde wie Viganella es geschafft hat, in nur einem Jahr das 100’000 Euro (160’000 Franken) teure Projekt in die Tat umzusetzen.
Effekt unter den Erwartungen
Nach soviel Medientrubel erstaunte es nicht, dass auch zur Einweihung des Sonnenspiegels Mitte Dezember viele Medienschaffende auftauchten. Allerdings erfüllte der tatsächliche Effekt des Spiegels nicht die im Vorfeld aufgebauten, grossen Erwartungen.
Wer meint, die gespiegelten Sonnenstrahlen würden das Dorf in gleissendes Licht tauchen, wurde enttäuscht. Der Spiegel vermag nur eine Fläche von 250 Quadratmetern (16 auf 16 Meter) etwas zu erhellen. 80% des Lichts konzentrieren sich auf den inneren 160 Quadratmetern (13 auf 13 Meter). Der Schattenwurf ist fast nicht sichtbar. Und Wärme geben die reflektierten Strahlen auch kaum ab.
Im Dorf mag der schwache Effekt die Freude nicht zu trüben. Und man sieht vor allem Entwicklungspotential. «Schauen Sie nur, was die ersten Computer leisteten und was sie heute können», heisst es.
Interesse in der Schweiz
Tatsächlich dürfte die mögliche Optimierung des Spiegelsystems das grosse Interesse an der Technologie erklären. Denn die winterliche Dunkelheit teilt Viganella mit vielen Dörfern auf der Welt.
Auch im angrenzenden Kanton Tessin gibt es solche Schattendörfer. Besonders bekannt sind die Orte im Gambarogno wie Magadino oder Vira, die im Winter ein Schattendasein fristen, während auf der anderen Seite des Lago Maggiore Orte wie Ascona und Locarno sich in der Sonne aalen.
Interesse an der Spiegeltechnik haben bereits die Dörfer Personico oder Cadenazzo angemeldet. Allerdings lässt sich die Technologie nicht einfach übernehmen. Denn die Morphologie des Geländes ist sehr verschieden. Allein wegen der Neigungswinkel und der Entfernung ist es kaum denkbar, Sonnenstrahlen von einer gegenüberliegenden Talseite auf ein Schattendorf zu spiegeln.
swissinfo, Gerhard Lob, Viganella (Italien)
Das italienische Dorf Viganella bei Domodossola (582 M.ü.M.) unweit der Schweizer Grenze liegt zwischen dem 11. November und 2. Februar jeweils im Schatten.
Im Süden erhebt sich ein Berg von 1600 Metern Höhe, der einen gewaltigen Schatten wirft.
Im Kanton Tessin gibt es rund ein Dutzend Dörfer, die im Winter lange Schattenperioden verzeichnen. Die Orte liegen vor allem am Gambarogno-Ufer des Lago Maggiore, in der Magadino-Ebene und im Leventina-Tal.
Auch das hoch gelegene Bosco Gurin, eine Walser-Gemeinde, leidet unter dreimonatiger Sonnenabwesenheit.
In der Schweiz existiert kein Kataster zu Sonneneinstrahlung. Als Faustregel gilt: Vom Schattendasein im Winter sind nordexponierte Gebiete in der Sohle tief eingeschnittener Täler betroffen.
Spiegelgrösse: 40 Quadratmeter
Beschienene Fläche: 250 Quadratmeter
Entfernung Piazza-Spiegel: 874 Meter
Kosten: 100’000 Euro (160’000 Franken)
Einweihung des Spiegels: 17.Dezember 2006
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