Schweizer Züge, aber «Made in USA»
Das Thurgauer Unternehmen Stadler Rail baut im US-Bundesstaat Utah eine eigene Fabrik auf. Dereinst könnten dort bis zu 1000 Mitarbeitende tätig sein. Stadler Rail sieht im US-Markt ein grosses Potenzial für seine Schienenfahrzeuge. Ein eigener US-Produktionsstandort ist nötig geworden, weil bei der Vergabe von Aufträgen im Personennahverkehr häufig amerikanische Bundesgelder fliessen. Nur Produkte "Made in USA" werden berücksichtigt.
Bisher ist nur ausgedörrtes Brachland zu sehen. Der heisse Sommer hat seine Spuren hinterlassen. Doch schon bald werden hier Baumaschinen auffahren, um mit der Konstruktion der Fabrikhallen zu beginnen. 50 Millionen US-Dollar will Stadler investieren. «Ein sehr guter Standort», sagt Martin Ritter, Chef von Stadler Rail in den USA, als er uns das Gelände bei einer Besichtigungstour zeigt.
In der Tat: Der Standort befindet sich nur wenige Minuten entfernt vom internationalen Flughafen von Salt Lake City und in direkter Nähe zur Autobahn «Interstate 80». Zudem verfügt er über einen eigenen Gleisanschluss an die Hauptlinie Denver – San Francisco, dem Westkorridor von Union Pacific. Für einen Bahn-Fahrzeughersteller ist das wichtig.
Vor kurzem – am 13. Oktober 2017 – fand hier der offizielle Spatenstich für das neue Werk statt. Und die lokale Polit-Prominenz unterstrich mit ihrer Anwesenheit, welche grosse Bedeutung dieses Werk für die Behörden im US-Bundesstaat Utah besitzt. Senator Orrin Hatch war vor Ort, genauso wie Gouverneur Gary Herbert und Jackie Biskupski, Bürgermeisterin von Salt Lake City. Und natürlich durfte auch Peter Spuhler, der Eigentümer von Stadler Rail, nicht fehlen.
Steuererleichterungen
Das Gelände gehörte im Übrigen der Immobilienabteilung der mormonischen Kirche, die in Utah eine wichtige Stellung einnimmt. Wie begehrt die Lage ist, zeigt die Tatsache, dass Amazon und Fed-Ex in unmittelbarer Nähe neue Lager bauen.
Stadler Rail prüfte neben Utah auch andere Standorte in den USA. In der Endauswahl befanden sich mögliche Produktionsstätten in Texas und Atlanta. Verschiedene Faktoren gaben den Ausschlag für Utah, darunter ein verlockender Steueranreiz. Stadler Rail wird 25 Prozent der zusätzlich erwarteten Steuereinnahmen von 40 Millionen Dollar über die kommenden 15 Jahre zurück erstattet bekommen.
«Generell ist Utah ein sehr business-freundlicher Standort», meint Martin Ritter. Und erwähnt dabei auch eine geringe Gewerkschaftsaktivität. Tatsächlich ist Utah konservativ, gleicht ein wenig der Schweiz, und dies nicht nur wegen der hohen Berge in unmittelbarer Nähe zu Salt Lake City.
Amerikanisches Recht
Stadler Rail ist bereits seit 2002 in den USA aktiv (siehe Kasten). Dass nun dort eine eigene Fertigung aufgebaut wird, hängt mit einem Auftrag über acht Flirt-Züge zusammen, den Stadler 2015 von der Fort Worth Transportation Authority (Texas) erhielt. Da bei diesem Auftrag Bundesgelder flossen, musste Stadler erstmals unter den Buy-America-Vorschriften einen Standort in den USA suchen. Eine eigene Produktionsstätte ist zwingend nötig.
Im ehemaligen Werk von Union Pacific in Salt Lake City fand man einen provisorischen Standort, an dem seit Anfang 2017 nun Schienenfahrzeuge gefertigt werden. Allerdings sind die Platzverhältnisse dort sehr beschränkt, wie ein Augenschein zeigt. Momentan sind dort 120 Angestellte tätig, darunter eine Reihe von Kollegen aus der Schweiz sowie aus dem polnischen Schwesterwerk.
Mit dem neuen Werk, das schon im Laufe des Jahres 2018 bezugsbereit sein soll, wird sich dies ändern. Zunächst sollen dort 350 Beschäftige tätig sein, ein Ausbau auf 1000 Arbeitsplätze ist möglich. Dies hängt natürlich auch davon ab, wie sich die Auftragslage entwickelt.
Stadler Rail seit 2002 in den USA aktiv
Den ersten Auftrag in den USA erhielt Stadler Rail im Jahr 2002 über 20 Gelenktriebwagen (GTW) für die New Jersey Transit River Line. Danach folgte eine Bestellung von Capital Metropolitan Transportation Authority (CMTA) aus Austin, Texas, für sechs Diesel-Gelenktriebzüge zum Einsatz zwischen dem Zentrum von Austin und Leander. Die Flotte wurde im Frühjahr 2008 ausgeliefert und 2015 um einen Zusatzauftrag über vier weitere Fahrzeuge erweitert. Von der Denton County Transportation Authority (DCTA) erhielt Stadler den Auftrag zur Konstruktion und Fertigung von elf Diesel-Gelenktriebzügen. Diese Niederflurzüge bedienen seit 2012 sechs Stationen in der Region von Denton County, Texas. Im April 2014 bestellte der San Francisco Bay Area Rapid Transit District (BART) bei Stadler acht Diesel-Gelenktriebzüge für die Verbindung zwischen der Endstation BART Pittsburgh/Bay Point und Antioch, die den Betrieb im Jahr 2017 aufnimmt.
Steigende Nachfrage
«Generell ist der Bedarf nach Schienennahverkehr in den USA hoch – denn die Expansion in den Agglomerationen mit Automobilen hat ihr Limit erreicht», sagt Michael A. Allegra, der in Utah als Berater für «Rail und Transit» tätig ist. Eine echte Trendwende sei im Gang.
Stadler Rail will an dieser Entwicklung teilhaben. Besonders wichtig ist dabei schon jetzt ein Auftrag, den das Schweizer Unternehmen aus Kalifornien erhalten hat. Für gewaltige 551 Millionen Dollar hat das kalifornische Bahnunternehmen Caltrain 16 Doppelstockzüge des Typs Kiss bei Stadler bestellt, die auf der Strecke zwischen San Francisco und San Jose zum Einsatz kommen werden und dabei durch das berühmte Silicon-Valley fahren, wo Firmen wie Facebook und Apple zu Hause sind.
Caltrain als Vorzeigeprojekt
«Es ist ein sehr wichtiges Projekt mit elektrifizierten Zügen, was in den USA schon allein für sehr viel Aufmerksamkeit sorgt», sagt Ritter. Kalifornien sei einer der wichtigsten Wirtschaftsstandorte. Dazu kommt: Neben den 16 bestellten Zügen besteht eine Option auf 96 weitere Kompositionen.
Der erste Doppelstockzug von Stadler in den USA, der in Utah gefertigt wird, soll im August 2019 übergeben werden und dann im Jahr 2020 nach Abnahme aller Tests in den kommerziellen Betrieb gehen.
Bei Stadler hofft man natürlich, dass die eigenen Fahrzeuge dann weiter Schule machen. «Wir sind zuversichtlich, den Bahnmarkt in den USA mit modernster Schienenfahrzeugtechnologie beliefern zu können», sagte Stadler-Chef Peter Spuhler anlässlich der Grundsteinlegung.
USA setzt auf einheimische Produktion
Das Buy America-Programm bezeichnet Vorgaben für Transportunternehmen in den USA, im Lande hergestellte Fahrzeuge zu kaufen. Im Zuge der Finanzkrise beschloss man, generell die Anteile amerikanischer Hersteller zu erhöhen. Für Fahrzeuge (insbesondere der Eisenbahn) müssen daher ab 2016 schon 60 Prozent der Wertschöpfung in den USA liegen, ab 2018 müssen es 65 Prozent sein und ab 2020 dann 70 Prozent.
Ausnahmen können etwa gewährt werden, wenn durch die Buy-America-Regelungen das Produkt um mehr als 25 Prozent teurer wird, oder eine Beschaffung einer gleichwertigen Qualität von Stahl, Eisen und Geräten von amerikanischen Herstellern gar nicht möglich ist. Ausländische Hersteller reagieren auf die Buy-America-Anforderungen meist so, dass sie die Montage mitsamt Herstellung der Aussenhaut in ein Werk in den USA verlegen und sich für andere technische Komponenten eine Ausnahmegenehmigung holen.
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