Ein Schritt in Richtung eines neuen globalen Migrationspakts
Der Umgang mit Migration ist eine der dringlichsten Herausforderungen für die internationale Zusammenarbeit in unserer Zeit. Das sagt António Guterres, seit Anfang letzten Jahres Generalsekretär der Vereinten Nationen (UNO).
Migration ist ein Motor für Wirtschaftswachstum, sie baut Ungleichheiten ab und verbindet unterschiedliche Gesellschaften miteinander. Sie ist aber auch eine Quelle politischer Spannungen und menschlicher Tragödien. Die Mehrheit der Migrantinnen und Migranten lebt und arbeitet in einem legalen Rahmen. Aber eine verzweifelte Minderheit riskiert ihr Leben, um in Länder zu gelangen, in denen sie oft mit Misstrauen und Missbrauch konfrontiert sind.
Demografischer Druck und Auswirkungen des Klimawandels auf verletzliche Gesellschaften dürften die Migration in den kommenden Jahren weiter vorantreiben. Als globale Gemeinschaft stehen wir vor einer Wahl. Wollen wir, dass Migration eine Quelle des Wohlstands und der internationalen Solidarität oder Inbegriff für Unmenschlichkeit und soziale Spannungen ist?
In diesem Jahr werden die Regierungen im Rahmen der Vereinten Nationen über einen Globalen MigrationspaktExterner Link verhandeln. Es wird die erste umfassende internationale Vereinbarung dieser Art sein. Dabei geht es nicht um einen formellen Vertrag. Die Vereinbarung wird den Staaten auch keine verbindlichen Regelungen auferlegen.
Stattdessen ist es eine beispiellose Gelegenheit für die politischen Führungskräfte, den verhängnisvollen Mythen entgegenzutreten, die Migrantinnen und Migranten umgeben, und eine gemeinsame Vision zu entwerfen, wie die Migration für all unsere Nationen funktionieren kann.
António GuterresExterner Link ist seit dem 1. Januar 2017 Generalsekretär der UNO. Sein Vorgänger in dem Amt war Ban Ki-moon.
Dies ist eine dringende Aufgabe. Wir haben gesehen, was geschieht, wenn es zu grossen Migrationsbewegungen kommt und es keine effizienten Mechanismen gibt, mit diesen umzugehen. Die Welt war jüngst schockiert von Videos, die zeigten, wie Migranten als Sklaven verkauft wurden.
So düster diese Bilder auch waren, der wahre Skandal ist, dass Tausende von Migrantinnen und Migranten jedes Jahr dasselbe Schicksal erleiden, ohne dass es Aufnahmen gibt. Und viele weitere sind gefangen in erniedrigenden, prekären Jobs, die ohnehin an Sklaverei grenzen. Es gibt heute fast sechs Millionen Migranten und Migrantinnen, die Zwangsarbeit leisten müssen, oft in entwickelten Volkswirtschaften.
Wie können wir diesen Ungerechtigkeiten ein Ende setzen und verhindern, dass sie sich in Zukunft wiederholen? Meiner Meinung nach sollten bei der Festlegung einer klaren politischen Richtung für die Migration drei grundlegende Überlegungen die Diskussionen für den Pakt leiten.
«Enorme Beiträge»
Erstens müssen die Vorteile der Migration, die in der öffentlichen Diskussion so oft verloren gehen, anerkannt und bestärkt werden.
Migrantinnen und Migranten leisten enorme Beiträge – sowohl an ihre Aufnahme- als auch an ihre Herkunftsländer. Sie treten Stellen an, die mit den lokalen Arbeitskräften allein nicht besetzt werden können, was die wirtschaftliche Aktivität ankurbelt. Viele sind Innovatoren oder Unternehmerinnen. Fast die Hälfte aller Migranten sind Frauen, die ein besseres Leben und bessere Arbeitsmöglichkeiten suchen.
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Einwanderungsland Schweiz
Migranten und Migrantinnen leisten auch einen wichtigen Beitrag an die internationale Entwicklung, indem sie einen Teil ihrer Einnahmen in ihre Heimatländer schicken. Diese Überweisungen beliefen sich im letzten Jahr auf insgesamt fast 600 Milliarden Dollar, drei Mal so viel wie die öffentliche internationale Entwicklungshilfe.
Die grundlegende Herausforderung besteht darin, die Vorteile dieser geordneten, produktiven Form der Migration zu maximieren und gleichzeitig Missbrauch und Vorurteile auszumerzen, die das Leben für eine Minderheit der Migrantinnen und Migranten heute zur Hölle machen.
Migration 2018
UNO-Generalsekretär António Guterres veröffentlichte am 11. Januar 2018 einen Bericht unter dem Titel Making Migration Work for AllExterner Link. Die politischen Führungskräfte werden nachdrücklich aufgefordert, ihre Verantwortung wahrzunehmen und der Stigmatisierung, welche die Migration umgibt, ein Ende zu setzen.
Der Bericht ist der Beitrag des UNO-Generalsekretärs zum Prozess für die Erarbeitung eines Globalen MigrationspaktsExterner Link, der später in diesem Jahr von der UNO-Generalversammlung verabschiedet werden soll.
Im September 2016 hatten die 193 Mitgliedstaaten der UNO-Generalversammlung eine rechtlich nicht verbindliche politische Vereinbarung, die New Yorker ErklärungExterner Link, verabschiedet, in der sie die Wahrung der Menschenrechte von Flüchtlingen und Migranten zusicherten und die Notwendigkeit für einen umfassenden Ansatz im Umgang mit der internationalen Migration anerkannten.
Nach Konsultationen 2017 finden in diesem Jahr Verhandlungen statt, wie mit den Bedürfnissen der rund 258 Millionen internationalen Migrantinnen und MigrantenExterner Link umgegangen werden soll. Sie sollen mit der formellen Annahme einer globalen Strategie bei einer Konferenz in Marokko im Dezember abgeschlossen werden.
Die Schweiz und Mexiko sind die so genannten Co-Fazilitatoren für den Prozess zur Ausarbeitung des Globalen Pakts für sichere, geordnete und reguläre Migration. In dieser Rolle leiten sie die zwischenstaatlichen Konsultationen und Verhandlungen.
Bessere Gesetze
Zweitens müssen die Staaten die Rechtsnormen stärken, welche die Art und Weise untermauern, wie sie mit Migrantinnen und Migranten umgehen und diese schützen – zum Nutzen ihrer Volkswirtschaften, ihrer Gesellschaften und der Migranten selbst.
Behörden, die bedeutende Hindernisse gegen die Migration errichten – oder die Arbeitsmöglichkeiten für Migrantinnen und Migranten stark einschränken – schaden ihrer eigenen Wirtschaft unnötigerweise selbst, da sie Hindernisse errichten, die es schwieriger machen, den Bedarf nach Arbeitskräften geordnet und legal zu decken.
Schlimmer noch, sie begünstigen damit unbeabsichtigt die illegale Migration. Potenzielle Migranten, denen der legale Weg zum Reisen verwehrt wird, greifen unweigerlich auf irreguläre Methoden zurück. Das bringt sie nicht nur in bedrohliche Positionen, sondern untergräbt auch die Autorität der Regierungen.
Der beste Weg, dem Stigma von Illegalität und Missbrauch, das Migranten umgibt, ein Ende zu setzen, besteht in der Tat darin, dass Regierungen mehr legale Wege zur Migration ermöglichen und Anreize für Einzelpersonen beseitigen, die Regeln zu brechen; gleichzeitig würden die Regierungen damit den Bedürfnissen ihrer Arbeitsmärkte nach ausländischen Arbeitskräften besser gerecht werden.
Staaten müssen auch enger zusammenarbeiten, um die Vorteile der Migration zu nutzen, zum Beispiel durch Partnerschaften, um bedeutende Qualifikationslücken in einem Land zu identifizieren, die qualifizierte Migranten aus einem anderen Land füllen könnten.
Internationale Zusammenarbeit
Drittens und letztens brauchen wir eine stärkere internationale Zusammenarbeit, um verletzliche Migranten, aber auch Flüchtlinge zu schützen, und wir müssen die Integrität des Regimes zum Schutz von Flüchtlingen im Einklang mit dem Völkerrecht wiederherstellen.
Das Schicksal von Tausenden, die bei den zum Scheitern verurteilten Versuchen sterben, Meere und Wüsten zu durchqueren, ist nicht nur eine menschliche Tragödie. Es stellt auch das akuteste politische Scheitern dar: Unregulierte Massenbewegungen unter verzweifelten Bedingungen schüren das Gefühl, dass Grenzen bedroht sind und Regierungen keine Kontrolle haben.
Dies wiederum zieht drakonische Grenzkontrollen nach sich, die unsere kollektiven Werte untergraben und dazu beitragen, dass es weiterhin zu Tragödien kommt, wie wir sie in den letzten Jahren zu oft gesehen haben.
Wir müssen unseren grundlegenden Verpflichtungen nachkommen, Leben und Menschenrechte dieser Migrantinnen und Migranten zu schützen, was das bestehende System nicht tut.
Wir müssen dringend Massnahmen ergreifen, um den Menschen zu helfen, die heute in Transitlagern festsitzen, von Sklaverei bedroht oder mit Situationen akuter Gewalt konfrontiert sind, sei es in Nordafrika oder in Zentralamerika. Wir müssen ein ehrgeiziges internationales Vorgehen ins Auge fassen, um jene Menschen umzusiedeln, die nirgendwo hingehen können.
Wir sollten auch Schritte unternehmen – durch Entwicklungshilfe, mit Bemühungen zur Milderung von Auswirkungen des Klimawandels und durch Konfliktprävention –, um in Zukunft solch ungeregelte Massenbewegungen von Menschen zu verhindern. Migration sollte nicht Leid bedeuten.
Wir müssen eine Welt anstreben, in der wir die Beiträge der Migration zu Wohlstand, Entwicklung und internationaler Einheit feiern können. Es liegt in unserer kollektiven Macht, dieses Ziel zu erreichen. Der diesjährige globale Pakt kann ein Meilenstein sein auf dem Weg hin zu einer Migration, die für alle wirklich funktioniert.
Dieser Meinungsartikel wurde zuerst in der Tageszeitung The GuardianExterner Link veröffentlicht.
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