Mehr Rechte für Ausländer in der Schweiz, weniger für Schweizer im Ausland
Ausländer in der Schweiz haben Pflichten, aber kein Stimmrecht. Für Auslandschweizer ist eswahlen auslandschweizer genau umgekehrt. Das ist unfair.
Ja, die Ausländer in der Schweiz haben zu wenig Rechte und die Auslandschweizer zu viele. Die einen können nicht mitreden in Sachen, die sie direkt betreffen, die andern dürfen mitreden, obschon sie gar nicht betroffen sind.
In einem guten Staat stehen Rechte und Pflichten der Bürger in einem ausgewogenen Verhältnis. Keine Rechte ohne Pflichten, keine Pflichten ohne Rechte. Wer die Folgen eines Beschlusses zu tragen hat, sollte sich am Zustandekommen beteiligen können.
Schweiz prädestiniert für Integration
Man mag einwenden: Richtig, aber das betrifft nur die Schweizer. Wirklich? Bei einer ausländischen Bevölkerung von über zwei Millionen sind wir auf die Integration von geeigneten Ausländern angewiesen. Und vergessen wir eines nicht: Die Schweiz ist vom Kern her geradezu auf die Integration von allen Gesellschaftsschichten angelegt.
Erstens sind wir eine Konsens- und nicht eine Mehrheitsdemokratie. Zweitens erlaubt der Föderalismus unterschiedliche Lösungen – ein grosser Vorteil gegenüber einem zentralistischen Modell, das keine Varianten zulässt. Drittens haben wir viele Ämter zu vergeben, besonders auf Gemeindestufe, wo die Integration beginnen muss.
Ich wüsste kein anderes Land, das so vorteilhaft aufgestellt ist für die Integration von Ausländern. Warum diesen Vorteil nicht stärker in Gemeinden und Schulen nutzen? Auf Bundesebene dagegen soll das Stimm- und Wahlrecht erst als Abschluss einer erfolgreichen Integration mit der Einbürgerung verliehen werden.
Vier statt zwei Jahre Angewöhnungszeit
In einigen Kantonen können die Ausländer schon lange abstimmen, im Kanton Neuenburg seit 1849 auf Gemeindeebene. Nun möchte Zürichs Stadtpräsidentin Corine Mauch, dass auch die Zürcher Gemeinden den Ausländern, die seit zwei Jahren hier wohnen, hier arbeiten und Steuern zahlen, das Stimmrecht erteilen können. Das ist vernünftig.
Fragwürdig ist dagegen die Karenzfrist von bloss zwei Jahren. Denn vorerst müssen sich die Zugezogenen mit den lokalen Verhältnissen vertraut machen. In der Diplomatie geht man davon aus, dass Diplomaten nach vier Jahren an einem neuen Ort Wurzeln schlagen. Deshalb werden sie dann versetzt. Nach diesem Massstab dürften sich viele Ausländer nach vier Jahren einigermassen eingelebt haben.
Stimm- und Wahlrecht ist nicht Heimattreue
Nun zur Kehrseite, zu den 750’000 Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern. Sie dürfen in der Schweiz wählen und abstimmen, müssen die Folgen davon aber nicht tragen. Im Jahr 2015 gaben sie in einer hauchdünnen Abstimmung sogar den Ausschlag. Sie brummten den Inländern, die die Vorlage mehrheitlich ablehnten, eine neue geräteunabhängige Radio- und Fernseh-Abgabe auf – eine Abgabe, die sie selbst nicht entrichten. Das widerspricht einem ausgewogenen Verhältnis von Rechten und Pflichten.
Viele Schweizer im Ausland zeigen eine grosse Anhänglichkeit zur Heimat. Die Schweiz hat allen Grund, diese Treue zu würdigen. Aber dazu gehört kein Stimm- und Wahlrecht. In der Schweiz selbst sind wir viel strikter. Als St. Galler in Bern interessiert mich das, was in meinem Heimatkanton vorgeht, nicht weniger als die Berner Kantonalpolitik.
Doch deswegen kann ich dort nicht abstimmen. Dieses Recht bekomme ich erst, wenn ich mich wieder in St. Gallen niederlasse und nebst den Rechten auch die damit verbundenen Pflichten übernehme.
Doppelbürgerschaft verstösst gegen Elementarrecht
Meine Kritik verschafft mir unter den Auslandschweizern keine Freunde. Ich weiss es. Dennoch will ich gewisse Missstände offen ansprechen. Dazu gehört auch die doppelte Staatsbürgerschaft. Sie schafft Unrecht, verstösst gegen elementares Recht. Doppelbürger haben mehr Rechte als Einfachbürger. So können sie in zwei Staaten die Regierung wählen.
Auch strapaziert die doppelte Staatsbürgerschaft nicht selten die internationalen Beziehungen. Diesen Sommer offerierte der russische Präsident Wladimir Putin den Ukrainern einen erleichterten Zugang zu russischen Pässen – nebst Ungarn und Rumänien, die ihre Pässe aus durchsichtigen Motiven schon vorher grosszügig in der West-Ukraine verteilten. Wie kann da ein Staat noch seine Souveränität verteidigen?
Drei Viertel der Auslandschweizer besitzen eine zweite Staatsangehörigkeit. Zu Recht stellt die Eidgenössische Migrationskommission die Frage, bis in welche Generation diese das Stimm- und Wahlrecht beanspruchen können. Eine Korrektur scheint angezeigt. Sie muss in folgende Richtung zielen: Etwas mehr Rechte für Ausländer in der Schweiz, etwas weniger für Schweizer im Ausland – damit Rechte und Pflichten wieder ins Lot kommen.
Der Artikel erschien erstmals am 13. Oktober 2019 in der Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag (NZZaS). Titel und Zwischentitel sind von swissinfo.ch gesetzt. Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten sind ausschliesslich jene des Autors und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.
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