Streit um «veganes Hühnerfleisch» könnte europäischen Präzedenzfall schaffen
Das höchste Schweizer Gericht muss entscheiden, ob in der Schweiz hergestellte Fleischalternativen weiterhin als veganes "Huhn" oder "Schweinefleisch" bezeichnet werden dürfen. Das Urteil dürfte über die Schweiz hinaus einen Präzedenzfall schaffen.
Planted Foods, das grösste Startup-Unternehmen der Schweiz im Bereich der Fleischersatzprodukte, könnte dazu verurteilt werden, die Bezeichnungen «Huhn» und «Schwein» von den Etiketten seiner auf Erbsen basierenden Produkte zu entfernen.
Dies trotz eines Urteils des Zürcher Verwaltungsgerichts, das die Verwendung von Tierfleischnamen für pflanzliche Lebensmitteln als nicht irreführend für die Konsumentinnen und Konsumenten ansieht – solange die Produkte sichtbar als «vegan» gekennzeichnet sind.
Planted Foods, 2019 in Kemptthal bei Zürich gegründet, vertreibt seine Produkte in mehreren europäischen Ländern, darunter Deutschland, Österreich und Frankreich – zu Beginn ungestört.
Bis das Kantonale Labor in Zürich, das für die Lebensmittel- und Wassersicherheit zuständig ist, die Produktbezeichnungen beanstandete und das Unternehmen aufforderte, auf Namen wie «Planted Chicken» oder «Güggeli» (ein schweizerdeutscher Begriff für Huhn) zu verzichten.
Planted lehnte das Begehren ab. Im November 2022 entschied das Zürcher Verwaltungsgericht zugunsten des Startups. Das Urteil blieb aber nicht so stehen.
Das Kantonale Labor hatte sich mit seinem Einwand auf ein Informationsschreiben des Bundes berufen, wonach Kennzeichnungen wie «Kalbswurst auf Sojabasis» oder «veganes Rindsfilet» nicht erlaubt seien. Der Bund, genauer das Eidgenössische Departement des Innern (EDI), das sich auch mit Gesundheitsfragen befasst, legte schliesslich Berufung gegen das Urteil aus Zürich ein.
Nun muss das Bundesgericht als höchste juristische Instanz der Schweiz enscheiden. Ein Urteil wird bis Ende Jahr erwartet. Sollte das Urteil gegen das Startup ausgehen, könnte die Schweiz das erste Land in Europa werden, das die Verwendung von Tierfleischnamen im Zusammenhang mit pflanzlichen Produkten verbietet.
Rechtlicher Graubereich
Die aktuelle Gesetzgebung in der Schweiz schafft keine Klarheit über die korrekte Benennung von pflanzlichen Lebensmitteln. «Das Gesetz ist sehr abstrakt und allgemein gehalten», sagt Fabio Versolatto, Anwalt für geistiges Eigentum bei Rentsch Partner in Zürich.
Tatsächlich heisst es im Bundesgesetz über LebensmittelExterner Link: «Surrogate und Imitationsprodukte müssen so gekennzeichnet und beworben werden, dass es den Konsumentinnen und Konsumenten möglich ist, die tatsächliche Art des Lebensmittels zu erkennen und es von Erzeugnissen, mit denen es verwechselt werden könnte, zu unterscheiden.»
Dies führt zu unterschiedlichen Rechtsauslegungen. Die Richterinnen und Richter des Zürcher Verwaltungsgerichts prüften, ob die Kennzeichnung «wie Huhn» oder «wie Schwein» auf dem Produkt von Planted irreführend war. Sie entschieden aber zugunsten des Unternehmens, weil auch die pflanzliche Herkunft klar gekennzeichnet wurde.
Solche Bezeichnungen dienen dazu, ausreichend und klar über die Verwendung der Produkte zu informieren, wie es das Lebensmittelrecht vorschreibt, heisst es im Urteil von 2022Externer Link. Eine andere Bezeichnung wie «pflanzliches Lebensmittel aus Erbsenprotein» würde es dem Publikum erschweren, zu verstehen, dass es sich um einen Fleischersatz handelt, so das Kantonsgericht.
Dies würde auch nicht der Idee von Planted Foods entsprechen. «Es ist wichtig, dass die Konsumentinnen und Konsumenten genau wissen, wie sie neue Produkte wie unsere verwenden und wie sie diese einfach in ihr tägliches Leben integrieren können: Dazu dienen die Tierbezeichnungen», schreibt ein Unternehmenssprecher in einer E-Mail an SWI swissinfo.ch.
In der Zwischenzeit argumentiert das EDI, dass die Kennzeichnung von veganen Fleischersatzprodukten den Konsumentinnen und Konsumenten ermöglichen sollte, die Art des Lebensmittels zu identifizieren und es nicht mit anderen zu verwechseln. Das Departement erklärte gegenüber SWI swissinfo.ch, dass es die lebensmittelrechtlichen Bestimmungen zum Schutz vor Täuschung anders auslegt als das Kantonsgericht.
Laut Rechtsanwalt Versolatto ist das laufende Verfahren eine Möglichkeit für die Schweizer Gerichte, Rechtsklarheit in dem relativ neuen, aber schnell wachsenden Bereich der pflanzlichen Lebensmittel zu schaffen. «Die Entscheidung des Bundesgerichts wird einen Präzedenzfall schaffen und den Schweizer Unternehmen, die pflanzliche Alternativen herstellen, mehr Sicherheit geben», sagt er.
Schweiz gegen Europa
Sollte das Bundesgericht entscheiden, die Verwendung von Bezeichnungen für tierisches Fleisch auf den Etiketten von Planted zu verbieten, wäre das ein Verstoss gegen die europäische Gesetzgebung, die fleischbezogene Bezeichnungen auf Verpackungen erlaubt.
Frankreich und Belgien haben 2020 bereits versucht, sich gegen die europäischen Vorschriften zu wehren, als sie Bezeichnungen wie «Gemüsesteak» und «Gemüsestücke vom Huhn» verboten, aber beide Länder müssen die nationalen Vorschriften noch in Kraft setzen. Die Schweiz könnte ihren Nachbarn zuvorkommen und das erste Land in Europa werden, das die Verwendung solcher Bezeichnungen verbietet.
Das Thema bleibt umstritten. Diego Moretti, der an der Fernfachhochschule (FFHS) Ernährung im Bereich Ernährung forscht, ist der Meinung, dass es nicht ganz korrekt ist, etwas als Huhn zu bezeichnen, wenn es keins ist: «Gemüse-Huhn ist aus ernährungswissenschaftlicher Sicht nicht ganz gleichwertig mit echtem Huhn.» Moretti fügt jedoch hinzu, dass die Gefahr einer Verwechslung der beiden Produkte sehr gering sei.
Versolatto hingegen meint, dass es aus Sicht des Konsumierendenschutzes vernünftig sei, die Frage der Bezeichnung anzusprechen. «Die Befürchtung ist, dass manche Menschen, vor allem ältere, die der englischen Sprache nicht mächtig sind, nicht wissen, dass es sich um Fleischalternativen handelt», sagt er.
Seine Kollegin Janine Anderegg, Expertin für Lebensmittelwissenschaften bei der Zürcher Anwaltskanzlei, ist jedoch der Meinung, dass die Konsumentinnen und Konsumenten in der Lage seien, zwischen pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln zu unterscheiden, weil es inzwischen so viele Alternativen gibt.
«Es gibt heute Hunderte mehr pflanzliche Produkte in den Supermarktregalen als noch vor zehn Jahren», sagt Anderegg. Die Tatsache, dass pflanzliche Alternativen nun mit Fleischprodukten konkurrieren, wiege schwer in der Diskussion, fügt sie hinzu: «Es ist nicht auszuschliessen, dass die Fleischindustrie Druck ausübt, um ihren eigenen Namen zu schützen.»
Übertragung aus dem Italienischen: Marc Leutenegger
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