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Suizidkapsel hofft in der Schweiz Fuss zu fassen

Sarco -Kapsel an einer Ausstellung
"Sarco" wurde an mehreren Kunst- und Designveranstaltungen in ganz Europa ausgestellt. Exit International

Eine im 3D-Verfahren gedruckte Kapsel soll die Suizidbeihilfe revolutionieren. Exit International, die Organisation, welche die "Sarco"-Maschine entwickelt hat, hofft, dass sie den Betrieb in der Schweiz bald aufnehmen kann.

Aufgrund unserer falschen Überschrift wurde die ursprüngliche Version dieses Artikels weithin fälschlicherweise Externer Linkso interpretiert, als hätte die Sarco-Kapsel eine offizielle rechtliche Zulassung für den Einsatz in der Schweiz erhalten. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Initiatoren der Maschine haben lediglich eine privat in Auftrag gegebene Rechtsberatung erhalten, die zum Schluss kam, dass es keine rechtlichen Hindernisse für ihren möglichen Einsatz in der Schweiz gibt. Wir bedauern, dass unsere ursprüngliche Überschrift die Leser in die Irre geführt und Verwirrung gestiftet hat.

Im Jahr 2020 starben in der Schweiz rund 1300 Menschen durch Sterbehilfe. Sie wurden von den beiden grössten Sterbehilfe-Organisationen des Landes betreut: Exit (keine Verbindung zu Exit International) und Dignitas. Die derzeit gängige Methode ist die Einnahme von flüssigem Natrium-Pentobarbital.

Nach der Einnahme des Medikaments schläft die Person innerhalb von zwei bis fünf Minuten ein, bevor sie in ein tiefes Koma fällt und bald darauf stirbt. Die Kapsel namens «Sarco» bietet einen anderen Ansatz für einen friedlichen Tod, ohne die Notwendigkeit rezeptpflichtiger Substanzen.

SWI swissinfo.ch sprach mit Philip Nitschke, dem Gründer des in Australien registrierten Unternehmens Exit International, über die sargähnliche «Sarco»-Kapsel und darüber, welchen Platz er ihr im Schweizer Sterbehilfe-Sektor einräumt.

Sarco -Kapsel
«Sarco» wird mit einem 3D-Drucker hergestellt. Exit International

swissinfo.ch: Herr Nitschke, was ist «Sarco», und wie funktioniert sie?

Philip Nitschke: Es handelt sich um eine im 3D-Verfahren gedruckte Kapsel, die von der Person, die sterben will, von innen aktiviert werden kann. Die Maschine kann zum Sterben an jeden beliebigen Ort gebracht werden. Das kann in einer idyllischen Umgebung im Freien sein oder zum Beispiel in den Räumen einer Sterbehilfe-Organisation.

Die Person steigt in die Kapsel und legt sich hin. Das ist sehr bequem. Der Person wird eine Reihe von Fragen gestellt, und wenn sie diese beantwortet hat, kann sie den Knopf im Inneren der Kapsel drücken. Dadurch wird erst der Mechanismus aktiviert. Die Person kann sich also alle Zeit der Welt dafür nehmen.

In der Schweiz ist der assistierte Suizid unter bestimmten Bedingungen erlaubt.

SwissMedic, die für die Regulierung von Medizinprodukten zuständige Regierungsbehörde, bestätigte gegenüber der AP, dass sie die Sarco-Kapsel nicht zugelassen hat.

Nitschke erklärte gegenüber der AP, dass seine gemeinnützige Organisation Exit International nie eine Zulassung angestrebt habe, da sie ein externes Rechtsgutachten von einem Berater – einem ehemaligen Lehrstuhlinhaber für Infrastrukturrecht und neue Technologien an der deutschen Bergbau- und Technologieuniversität Freiberg – eingeholt habe, der festgestellt habe, dass sie für die Verwendung des Geräts keine formale Genehmigung oder Lizenz benötige.

EXIT, eine etablierte Organisation, die derzeit Sterbehilfe in der Schweiz anbietet, sagt, dass sie Fragen zu Sarco und dem Rechtsgutachten hat, das von Exit International eingeholt wurde, einer Organisation, die nicht mit EXIT  verbunden ist.

«Es ist unklar, was der genaue Inhalt des Rechtsgutachtens für die Legalisierung ist», schrieb EXIT-Vizepräsident Jürg Wiler in einer E-Mail und fügte hinzu: «Und wie sieht es mit dem Testen der Kapsel aus? EXIT sieht ‹Sarco› nicht als Alternative zu den ärztlich assistierten Suiziden, die EXIT in der Schweiz durchführt.»

Die Kapsel ist auf einem Gerät montiert, das den Innenraum mit Stickstoff flutet und den Sauerstoffgehalt von 21 sehr schnell auf ein Prozent reduziert. Die Person fühlt sich ein wenig desorientiert und kann sich auch leicht euphorisch fühlen, bevor sie das Bewusstsein verliert. Der ganze Vorgang dauert etwa 30 Sekunden. Der Tod tritt durch Hypoxie und Hypokapnie ein, also durch einen Mangel an Sauerstoff bzw. Kohlendioxid. Es gibt keine Panik, kein Erstickungsgefühl.

[In einer Umgebung, in welcher der Sauerstoffgehalt unter 1% liegt, würde laut Philip Nitschke nach dem Verlust des Bewusstseins der Tod nach etwa 5-10 Minuten eintreten].

In welchem Stadium befinden Sie sich bei der Entwicklung des Geräts und der Bereitstellung für den Einsatz?

Letztes Jahr haben wir uns über die Rechtmässigkeit des Einsatzes von «Sarco» in der Schweiz bei der Sterbehilfe beraten lassen. Diese Prüfung ist abgeschlossen. Wir sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis und dass wir nichts übersehen haben. Es gibt überhaupt keine rechtlichen Probleme.

Bisher gibt es zwei «Sarco»-Prototypen, und der dritte «Sarco» wird jetzt in den Niederlanden gedruckt. Wenn alles gut geht, sollte die dritte Maschine 2022 in der Schweiz einsatzbereit sein.

Der erste «Sarco» wird von September 2021 bis Februar 2022 im Museum für Sepulkralkultur im deutschen Kassel ausgestellt. Die zweite Maschine erwies sich als ästhetisch nicht ansprechend. Aus diesem und verschiedenen anderen Gründen ist sie nicht die beste für einen Einsatz.

Mehrere zusätzliche Projekte von «Sarco» haben sich aufgrund der Pandemie verzögert. Zum Beispiel die Entwicklung einer Kamera, mit der die Person mit den Menschen draussen kommunizieren kann. Es muss eine Aufzeichnung der informierten Zustimmung der Person gemacht werden. Das haben wir in Auftrag gegeben, der nächste Schritt ist jetzt die Herstellung dieser Kamera.

Ihr erklärtes Ziel ist es, den Sterbeprozess weg von der Nutzung von Medikamenten zu bringen. Was bedeutet das?

Zurzeit müssen ein oder mehrere Ärztinnen oder Ärzte involviert sein, um das Natrium-Pentobarbital zu verschreiben und die geistige Fähigkeit der Person zu bestätigen. Wir wollen jede Art von psychiatrischer Begutachtung aus dem Prozess herausnehmen und der Person die Möglichkeit geben, die Methode selbst zu steuern.

Unser Ziel ist es, ein Screening-System mit künstlicher Intelligenz zu entwickeln, um die geistige Leistungsfähigkeit der Person festzustellen. Natürlich gibt es eine Menge Skepsis, vor allem von Seiten der Psychiatrie. Aber unsere ursprüngliche konzeptionelle Idee ist, dass die Person einen Online-Test macht und danach einen Code erhält, um Zugang zu «Sarco» zu erhalten.

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Kaoru Uda

Inwieweit sollte die Beihilfe zum Suizid für Menschen, die ihr Leben beenden wollen, legal möglich sein?

Die Schweiz hat die Sterbehilfe in den 1940er-Jahren legalisiert. Über 1000 Schwerstkranke oder Behinderte beenden hier jedes Jahr ihr Leben.

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