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Suppe und Brot hat es immer genug

Eine der vielgeachteten "Spysi-Damen". swissinfo.ch

In Bern gibt es seit 127 Jahren die "Speiseanstalt der Unteren Stadt". Eine soziale Einrichtung, die fest in der Bundesstadt verankert ist.

Wenn die Tage kürzer werden und die Stimmung kälter, spenden die Frauen, welche die «Spysi» führen, etwas Wärme und Geborgenheit.

Der Berner, die Bernerin hat die Angewohnheit, lange oder komplizierte Wörter so zu kürzen, dass sie leicht vom Mund rollen. Oft entsteht gar ein neuer Ausdruck.

So wird «Bremgartenwald» zu «Bremer», «Gerechtigkeitsgasse» zu «Grächtere» und die «Speiseanstalt der Unteren Stadt Bern» demzufolge zur «Spysi».

Hilfe in der Not

Obwohl in dieser Spysi einfache, gutbürgerliche und sehr günstige Küche angeboten wird, führt BernTourismus das «Restaurant» nicht auf im Internet. Dabei könnte der Bernbesucher gerade da in der Junkerngasse, die, siehe oben, «Junkere» heisst, an historischer Stätte, echtes Bern erleben.

Die Rede ist also von einer ganz speziellen Berner Gaststätte. Sie wurde am 8. Oktober 1877 gegründet. In einer Zeit, in der die wirtschaftliche Lage in Bern und der Schweiz als «kritisch» bezeichnet wird: Immer mehr Einwohner und immer weniger Arbeitsplätze.

Die soziale Not in der unteren Altstadt ist besonders gross. Massnahmen sie zu lindern, drängen sich auf. So gründen bereits am 6. September 1877 neun Männer aus dieser Stadtgegend eine «Suppenanstalt für die unteren Stadtquartiere». Etwas Geld wurde gesammelt, und ein einjähriger Versuchsbetrieb konnte gestartet werden.

175 Tage war die Speiseanstalt geöffnet und es wurden rund 18’000 Portionen Fleisch und über 52’000 Portionen Suppe abgegeben. Nicht gratis, aber sehr günstig. Suppe und Kartoffeln kosteten 10 Rappen, für Fleisch mussten 20 Rappen bezahlt werden.

Essen gegen Bons

Ausser den Preisen ist alles in etwa bis heute so geblieben. Die Spysi ist fast noch am selben Ort: in den ehemaligen Stallungen des Erlacherhofes, dem Sitz der Berner Stadtregierung.

Ein altes Schild «Spysi» weist den Weg. Wer die Türe zur Speiseanstalt an der Junkerngasse 30 – Eingang im Oberen Gerechtigkeitsgässchen – öffnet, steht im Vorraum zur Treppe nach oben. Dort befindet sich die Kasse, wo Vreni Kähr Bons abgibt.

Heute kostet Suppe und Brot bis genug 3 Franken und das Menu mit Fleisch 9 Franken. Dann die Treppe hoch zum Saal: «Eingang zu Speiseabgabe» steht an der Türe.

Innen im Speisesaal finden sich die gedeckten langen Tische. Auf den Tischen stehen wie in Frankreich Brunnenwasser à discrétion und viele Körbchen mit Brot. Es wird serviert. Kein Anstehen, keine «Essensausgabe».

Geachtete «Spysi-Damen»

Damit sind wir bei den Hauptdarstellerinnen, den in Bern schon fast legendären «Spysi-Damen».

«Was hat diese Frauen eigentlich seit weit über hundert Jahren immer wieder dazu bewogen, ohne Aussicht auf materiellen oder gesellschaftlichen Erfolg einer gemeinnützigen Institution zu dienen, die kaum je ins Rampenlicht der Öffentlichkeit tritt?» fragt sich der Autor der Jubiläumsschrift «125 Jahre Spysi».

Die Damen selber schätzen diese Fragerei nicht besonders. Dass die meisten von ihnen älter sind, lässt den Schluss zu, dass die Kinder gross sind, dass sie noch weiterhin mithelfen wollen, eine nützliche und sinnvolle Aufgabe zu erfüllen.

Da nicken die Spysi-Damen und finden: «Etwa so können Sie es sagen.» Gerade weil dem so ist, strahlen die Frauen eine natürliche Autorität aus, welche sich auf die Gäste überträgt.

Kein Lärm, rauchfrei

Es ist eine ruhige, beschauliche Stimmung im kargen Saal, der mit einigen Bildern und Diplomen (die Damen haben diverse Ehrungen für ihr Schaffen erhalten) schmücken.

Auf einem Hinweis an der Wand steht geschrieben: «Unser Angebot richtet sich an Arbeitslose, Lehrlinge, Studenten, Alleinstehende und Pensionierte.»

Sie alle sind von 11.30 bis 13.00 in der «Spysi» anzutreffen. Auch von den benachbarten städtischen Verwaltungen essen Angestellte «zMittag». Einen «Armenausweis» braucht es nicht, um hier zu essen.

Die rund 80 Leute essen ruhig und wenn überhaupt, wird praktisch nur Berndeutsch gesprochen. An diesem Tag unterscheidet sich die Gästeschar nicht wesentlich von einem Quartierrestaurant. Eher Bohème denn Junkie oder Randständiger.

Trotz vorwiegend ehrenamtlicher Mitarbeit und Einnahmen braucht es weitere Zustüpfe, um die tiefen Preise zu sichern. So braucht die Spysi freiwillige Geldspenden, etwas Subvention von der Stadt und Beiträge der Trägerleiste.

So wird die «Spysi» wohl auch weiterhin, wenn es kälter und ganz kalt wird in Bern, die Türe öffnen. Obwohl man nie weiss, was uns unsere schnelllebige Zeit bringt.

Doch ist zu hoffen, dass es weiterhin Suppe und Brot bis genug hat in der untern Altstadt von Bern.

swissinfo, Urs Maurer

Die «Spysi» wurde 1877 gegründet.
Suppe kostet 3, ein Essen mit Fleisch 9 Franken.
Die Speiseanstalt wird von Frauen in gemeinnütziger Arbeit geführt.
Der Rekord steht bei 65 «Dienstjahren».

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