Wie Schweizer Expats in Indien durch die Pandemie kommen
Die Corona-Krise hat unter den rund 650 Schweizer Expats in Indien keinen Exodus ausgelöst. Die für die Einheimischen dramatische zweite Pandemie-Welle ist für die privilegierte Diaspora aus dem Westen nach eigenen Aussagen weniger schlimm.
«Goa hat zwar sehr schlechte Zahlen, aber es ist ein kleiner und reicher Staat. Die Spitalinfrastruktur hat die notwendige Kapazität, die steigende Zahl von Covid-Patienten aufnehmen zu können», sagt Karin Krucker, eine 71 Jahre alte Auslandschweizerin, die in der ehemaligen portugiesischen Kolonie lebt, die in den 1970er-Jahren eine beliebte Destination der Hippies war.
Auf Schweizer Touristen stösst man in Indien heute kaum. Nur ein paar Unbeugsame sind geblieben, besonders in Goa. So wie die meisten der 650 in Indien lebenden Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer.
«Viele Spitäler sind in privater Hand und von guter Qualität. Die Situation kann nicht mit dem verglichen werden, was man in Städten wie Delhi sieht. Ich habe bereits meine zwei Dosen Impfstoff bekommen und es hat mich nichts gekostet» sagt Karin Krucker, die seit fast 40 Jahren in dem Bundesstaat im Südwesten Indiens lebt.
Ex-Diplomat packt seine Koffer
In Mumbai, der mit mehr als 12 Millionen Einwohnern und Einwohnerinnen bevölkerungsreichsten Stadt Indiens, ist auch das Leben von Chris Franzen nicht gross durch die Pandemie gestört worden.
«Ich wohne so oder so im Hotel. Hier habe ich Zugang zu allen Einrichtungen in einer sicheren Umgebung, ausser zu jenen, die aus gesundheitlichen Gründen geschlossen sind», sagt der 50 Jahre alte Schweizer, der in der indischen Handelsmetropole das Luxushotel Grand Hyatt Mumbai betreibt.
Einige Schweizer Expats haben sich jedoch für die Rückkehr in die Heimat entschieden. So packen Bernard Imhasly, ein ehemaliger Diplomat und späterer Südasien-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, und seine Frau gerade ihre Koffer in Mumbai.
«Wir haben die Entscheidung gemeinsam mit unserer Familie in der Schweiz getroffen. Sie machen sich Sorgen um uns und glauben, dass sich die Gesundheitssituation in Indien in den kommenden Monaten weiter verschlechtern wird», sagt er.
Für Bernard Imhasly birgt Indien gewisse Risiken: Es herrsche eine starke Arbeitsteilung, was bedeute, dass jede Person mit vielen anderen in Kontakt komme. Zudem lebten Inder und Inderinnen oft in einer Umgebung, in der soziale Distanzierung kaum möglich sei.
«Man geht ein Risiko ein, wenn man sich nicht völlig isolieren kann. Das ist der Grund für unseren Entscheid, in die Schweiz zurückzukehren. Wir sind zwar geimpft, und entspannter als früher, aber es gibt noch viele Unbekannte mit Covid-19. Es gibt Leute, die davon betroffen sind, auch nachdem sie geimpft wurden», sagt der ehemalige Diplomat.
Bürokratische Komplikationen
Die Aussagen, welche die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer gegenüber SWI swissinfo.ch machten, deuten darauf hin, dass die aktuelle Krise für die Expats einfacher ist als jene im Frühjahr 2020. Damals verfügten die indischen Behörden ohne Vorwarnung einen strikten Lockdown, um die Pandemie einzudämmen.
«Die zweite Welle ist weniger schwierig als die erste, weil der Lockdown nicht über Nacht kam. Letztes Jahr mussten wir alle Bars im Hotel schliessen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind erheblich: Unsere Umsätze sind im Vergleich zur Situation vor Covid um 75% gesunken. Aber das Geschäft läuft besser als während der ersten Welle», sagt Chris Franzen.
Zwei etwas komplizierte Wochen hatte im Frühjahr 2020 auch Karin Krucker erlebt, als die Regierung von Goa beschloss, von heute auf morgen alles zu schliessen. Doch die Obwaldnerin sagt, sie habe keinen Grund zur Klage.
«Ich habe das Glück, eine Inderin zu beschäftigen, die meine Einkäufe für mich erledigt. Ich hatte also keine Probleme. Es war sogar ein bisschen aufregend, weil ich nicht wusste, was wir in den Supermärkten alles zum Essen finden würden. Ich fühle mich hier sicherer als in der Schweiz. Denn dort hätte ich den Eindruck, eine Fremde zu sein», sagt sie.
Karin Kruckers Schwierigkeiten drehten sich vor allem um administrative Hürden. So musste sie letzten September in die Schweiz zurückkehren, um ihr Visum zu verlängern. Sie hatte gedacht, dass sie ein paar Wochen dort bleiben würde. Doch dann musste sie ihren Aufenthalt bis im Februar verlängern.
«Als ich schliesslich nach Goa zurückkehrte, war alles normal. Doch seit rund zwei Wochen sind die Geschäfte, mit Ausnahme der Lebensmittelläden, nun wieder geschlossen. Und es besteht eine Ausgangssperre zwischen 19 Uhr und 6 Uhr morgens. Dies hat aber keine Auswirkungen auf mich. Ich bleibe zu Hause mit meinen vier Katzen und meinem Hund. In meinem Alter muss ich nicht mehr auf Partys gehen», sagt sie mit einem Lächeln.
Leben in einem «Vakuum»
Im luxuriösen Hotelpalast von Chris Franzen wurde eine abgeschottete «Blase» eingerichtet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können vorerst nicht mehr nach Hause gehen, sondern müssen vor Ort logieren. Denn die Ansteckungsgefahr ist in den überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln der Stadt zu gross.
Die Pandemie habe auch zu einer Reihe von Innovationen geführt, unterstreicht Chris Franzen. «Wir haben QR-Codes für Speisekarten und Zeitungen eingeführt. Zudem waren Take-away und Lieferungen nach Hause vor dem Coronavirus für uns kein Geschäft. Mittlerweile nehmen sie einen wichtigen Platz ein», sagt der ausgebildete Koch und Sommelier aus Zermatt.
Auch wenn Bernard Imhasly sich wohl oder übel damit abfindet, in die Schweiz zurückzukehren, möchte er darauf hinweisen, dass die Situation in Indien nicht immer dem entspreche, was man in Zeitungen oder sozialen Netzwerken lesen könne.
«Die tragischen Ereignisse in Delhi gelten nicht für ganz Indien, aber sie beeinflussen, wie die Realität Indiens in der Schweiz wahrgenommen wird. Es gibt auch Dinge, die in Indien gut funktionieren, über diese wird jedoch weniger gesprochen als über das Chaos. Es ist nicht alles schwarz oder weiss, es gibt auch Farbvarianten», sagt er.
(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)
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