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Das stärkste Ja zum Autobahnausbau kommt aus dem Ausland

Autobahnausbau
Keystone / Gaetan Bally

Die Schweizerinnen und Schweizer im Ausland befürworten einen Autobahnausbau viel deutlicher als Befragte im Inland. Das zeigt die erste SRG-Umfrage zur Abstimmung vom 24. November.

Es ist ein kleines Freak-Ereignis. Auslandschweizer:innen zeigen im Regelfall ein deutlich ökologischer geprägtes Abstimmungsverhalten als die Stimmbevölkerung im Inland. Aber diesmal scheint alles anders. Jetzt wollen sie für einen Autobahnausbau stimmen – und das um fast 10% deutlicher als die Befragten im Inland.

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Wie kommt das? Auch Politologin Martina Mousson von gfs.bern kennt die Antwort nicht. «Das steht im Widerspruch zum Muster», staunt sie.

Es gibt einen Erklärungsansatz, der aber nicht genügt. Normalerweise folgt die Schweizer Diaspora bei Abstimmungen eher der Empfehlung der Regierung als das Inland. Das kann laut Mousson einen Teil dieser Diskrepanz erklären, nicht aber die ganze. Auch dass die Auslandschweizer:innen, da sie anderswo Steuern zahlen, den geplanten Ausbau nicht bezahlen, reicht als Erklärung nicht.

«Stärkerer Eindruck von Dichte»

Möglicherweise liegt der Grund im individuellen Empfinden. Die Schweiz ist dichter geworden. Das merkt, wer von Autobahnen im Ausland kommt und ins Schweizer Autobahnnetz einspurt.

Genau diese Wahrnehmung schilderte uns Auslandschweizer Peter Segessenmann in «Let’s Talk» zum Autobahn-Ausbau. «Sobald ich in der Schweiz bin und das Auto benutzen muss, stehe ich im Stau.» Dies im Gegensatz zu Portugal, wo der Schweizer Pensionär lebt.

Hier das Video dazu:

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Autobahnausbau: Unsere Debatte zur Abstimmung

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Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Autobahnausbau: Was spricht dafür, was dagegen? In Let’s Talk kreuzen ein Befürworter und eine Gegnerin die Klingen.

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Politologin Martina Mousson sagt: «Vielleicht ist bei Auslandschweizer:innen der Eindruck von Dichte stärker vorhanden.»

Sollte sich das bestätigen, wäre es ein frappanter Schwenk in der politischen Ausrichtung der Schweizer Diaspora. Die Bevölkerungsdichte in der Schweiz war bisher keine lesbare Sorge dieses gewichtigen Elektorats. Ob es eine geworden ist, bleibt nun zu beobachten.

Es ist jedenfalls der markanteste Befund aus den Resultaten der ersten Befragungswelle von gfs.bern zu den vier Vorlagen, über welche die Schweizer Bevölkerung am 24. November abstimmt. Es geht dabei um Autobahnen, zweimal um eine Anpassung im Mietrecht, und einmal ums Gesundheitswesen.

«Die Meinungsbildung setzt erst ein»

Die Befragung erfolgte sieben Wochen vor dem Urnengang. «Der Abstimmungskampf und die Meinungsbildung setzen erst ein, Effekte aus der Mobilisierung durch die Kampagnen sind noch unbekannt», sagen die Meinungsforscher:innen von gfs.bern zu den Resultaten.

In der gesamten Stimmbevölkerung sind die Meinungen bei der Vorlage zum Autobahnausbau am besten entwickelt, weniger bei den beiden Mietrechtsvorlagen. Auffällig dort: Die beiden themennahen Vorlagen wurden bei den Befragten noch nicht als jenes Gesamtpaket wahrgenommen, zu dem es die Gegner:innen in ihrer Kampagne nun geschnürt haben.

Wenig fortgeschritten präsentiert sich der Stand der Meinungsbildung insbesondere bei der komplexen Vorlage zur einheitlichen Finanzierung im Gesundheitswesen EFAS.

Der Autobahnausbau polarisiert

Politologin Martina Mousson fällt beim Autobahnausbau auf, dass die Meinungsbildung stark zwischen links und rechts polarisiert ist. Und: Frauen sind gegen den Ausbau, Männer in der Mehrheit dafür.

Als stärkstes aller Argumente erwies sich bei der Befragung ein Leitsatz der Gegnerschaft: «Wer Strassen sät, der erntet Verkehr.» Dieser Aussage stimmten 56% aller Befragten zu. Sehr gut punkteten aber auch zwei Argumente der Befürworter:innen: «Der Ausbau ist nötig.» Und: «Unser Autobahnnetz ist für 6 Millionen Menschen gebaut worden, heute benutzen es 9 Millionen.»

Alles offen beim Mietrecht

Bei den beiden Vorlagen zum Mietrecht ist in der Einschätzung der Meinungsforschenden von gfs.bern noch einiges an Bewegung möglich.

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Während die vorgeschlagene Gesetzesanpassung zu den Untermieten (Grafik oben) im Moment noch ein tendenzielles Ja verzeichnet, sieht Martina Mousson die Situation bei der Anpassung des Eigenbedarfs auf Messers Schneide (Grafik unten). «Wenn Stichprobenfehler mitgerechnet werden, ist es aktuell ein Patt», sagt sie.

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Aber: Die Kampagne der Gegner:innen ist noch nicht einmal angerollt. Und es ist vor allem ein Argument, das laut Mousson seine Wirkung erst noch entfalten könnte. Dieses lautet: «Das ist ein Angriff auf den Mieterschutz».

Wenn sich diese Leseweise durchsetze, könne das hochwirksam für einen Stimmentscheid werden. «Individuelle Betroffenheit spielt immer eine Rolle», sagt Mousson, und die Schweiz ist ein Volk von Mieter:innen.

Untermiete Eigenbedarf
Die Schweiz ist ein Volk von Mieter:innen. Keystone / Christian Beutler

«Wenn es der Gegnerschaft gelingt, diese Sicht in der Bevölkerung zu verankern, könnte es für beide Mietrechtsvorlagen noch eng werden», zieht Mousson Bilanz.

Die Stimmabsichten der Schweizer:innen und Schweizer im Ausland unterscheiden sich bei den Mietrechtsvorlagen unwesentlich von jenen im Inland.

EFAS: Der Bundesrat ist gefordert

Als offen sehen die Meinungsforschenden von gfs.Bern das Rennen auch bei der Vorlage zur einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen im Gesundheitswesen, kurz: EFAS. Zwar sieht es bei dieser ersten Befragung noch nach einem komfortablen Ja von 60% aus, aber diese Vorlage ist eine Wundertüte.

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«Viele werden aufgrund der eigenen Kosten-Nutzen-Erwägung entscheiden», sagt Lukas Golder von gfs.bern, aber dazu brauche es noch bessere Informationen. Den Schwachpunkt der Vorlage sieht Golder in deren Komplexität. «Es ist schwierig zu vermitteln, was es genau bringt, und es ist eine relativ abstrakte Idee, um das Problem der Fehlanreize im Gesundheitswesen anzugehen», analysiert er.

Das öffne den Gewerkschaften, die dagegen sind, die Tür für die Argumentation, dass bei einer Annahme Unsicherheit entstehe. «Nur wenn Bundesrat und Parlament ihre Argumente gut präsentieren, haben sie eine Chance, dagegen anzukämpfen», sagt Golder.

«Was die Linke schafft, ist historisch»

Das Polster des Regierungsvertrauen fehle im Moment generell, sagt Golder weiter, Gewerkschaften und die Linke hätten auch deshalb an den Urnen einen Lauf. «Es ist historisch, was die Linke im Moment schafft», sagt er. Es gelinge ihr in Serie, Bevölkerungsteile an sich zu reissen, die sonst nicht an sie gebunden sind.

Das Muster, das sich bei der 13. AHV-Rente und der BVG-Reform zeigte, könnte sich also bei EFAS und den Mietrechtsvorlagen fortsetzen: Was sie im Parlament nicht mehr erreicht, holt sich die Linke an der Urne.

Für die erste Umfrage im Hinblick auf die eidgenössischen Volksabstimmungen vom 24. November 2024 befragte das Institut gfs.bern zwischen dem 30. September und dem 14. Oktober 2024 11’183 Wählerinnen und Wähler. Die statistische Fehlermarge liegt  bei 2,8 Prozentpunkten.

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