Christoph Meier, der «funky» Grafiker im Land der Hochwasser

Christoph Meier ist ausgebildeter Grafiker und Schaufenstergestalter. Er wohnt schon länger als sein halbes Leben in Sommières im Süden Frankreichs. In einer Region, die vor Hochwassern nie sicher ist.
Bei Christoph Meier in Sommières, in der Nähe von Nîmes im Département Gard, klebt in drei Metern Höhe ein kleines blaues Schild an einer Wand. «Vidourle 2002».
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Bis zu dieser beängstigenden Höhe drangen die Wassermassen des Flusses Anfang September 2002 in seine Büroräume.
Auf seinem Balkon im ersten Stock beobachtete Meier damals den Anstieg des Wassers. «Ich sah schwimmende Autos, Wohnwagen und Motorradhelme vorbeiziehen. Später, als das Wasser wieder zurückging, sah ich Pariser Müllfahrzeuge durch die Strassen fahren. Die Solidarität war überwältigend», erzählt der Mann aus St. Gallen, der in einem Café mit Blick auf den Vidourle sitzt.
Wenn man den zusammengeschrumpften, trügerisch friedlichen Fluss betrachtet, fällt es schwer, sich solche Überschwemmungen vorzustellen – «Vidourlades», wie sie in Sommières genannt werden.
An einem einzigen Tag verlor Meier einen Teil seiner Archive, seine Sammlung von Grafikdesignbüchern und vieles mehr. «Ich wurde nicht besonders vor dem Risiko gewarnt, ein Büro 30 Meter vom Vidourle entfernt zu haben», sagt Meier, der sich nicht an irgendwelche Lautsprecherdurchsagen erinnern kann.
Diese Erkenntnis kam später. «Heute können Sie den Wasserstand des Flusses live im Internet verfolgen. Und jeder Immobilienkaufvertrag muss den Hochwasserstand bei grossen Überschwemmungen angegeben.»

Von der Stickerei zur Schaufenstergestaltung
Als Grafikdesigner beteiligt sich Meier selbst an diesen Präventionsbemühungen. Er gestaltet das Editorial DesignExterner Link für mehrere Informationsbroschüren über Hochwassergefahren, die Regeln festlegen und folgenden Rat geben: Alle Einwohner:innen von Sommières sollten einen Koffer griffbereit haben, der eine Trillerpfeife, eine Taschenlampe, ein helles SOS-Schild, energiereiche Lebensmittel, eine medizinischen Ausrüstung und sogar ein Schweizer Taschenmesser enthält.
Und jetzt, wo alle bereit sind, weigert sich der Vidourle, sein friedliches Bett zu verlassen. Zuversichtlich hat Meier daher seine Möbel und sein Bett dort aufgestellt, wo früher sein Büro war.
Meier hat immer noch einen schweizerdeutschen Akzent – mit einem Hauch Provence. Nichts hätte ihn prädestiniert, einmal Grafiker in Sommières zu werden. Er, der in eine bescheidene Familie in St. Gallen hineingeboren wurde.
Sein Vater arbeitete in der Stickerei, die im Kanton berühmt war, während seine Mutter sich um den Haushalt kümmerte. Er absolvierte eine Lehre als Schaufensterdekorateur und studierte anschliessend Kunst in St. Gallen.
Schaufensterdekorateur? «Ein ziemlich schweizerischer Beruf, der heute etwas aus der Mode gekommen ist. Er besteht darin, die Schaufenster von Geschäften zu gestalten», sagt Meier. «Hier in Frankreich bin ich von den Schaufenstern nicht wirklich beeindruckt, ausser vielleicht in Paris.»
Tatsächlich bietet sich ihm bald die Gelegenheit, zu seinem ursprünglichen Beruf zurückzukehren. Nachdem er seine zukünftige Frau in Sommières kennengelernt hat, erfährt Meier, dass der expandierende Privatsender M6 an der Beschilderung seines Pariser Hauptsitzes interessiert war. Er gewinnt den Auftrag und zieht für einige Zeit in die Hauptstadt.
M6 schätzt die Arbeit von Christoph Meier und hätte gerne mehr. Es geht darum, sein 70 Meter langes Schaufenster in der Nähe der Champs-Élysées zu gestalten.
Meier ist der richtige Mann für diese Aufgabe, er kennt sich mit dem Gestalten von Schaufenstern aus und kümmert sich mit schweizerischem Fingerspitzengefühl darum.
Es ist die Zeit der ersten Reality-TV-Sendungen, und das Schaufenster des Senders wird die vorübergehende Begeisterung für «Loft Story» und ähnliche Programme widerspiegeln.
Der Meier-Stil: ein funky Mix
Doch der St. Galler bevorzugt Sommières, seine Wärme, mit seinem reizenden mittelalterlichen Zentrum und seinen Beruf als Grafikdesigner.
Wenn man durch die gepflasterten Strassen der Stadt im Departement Gard schlendert, fällt es schwer, Geschäfte zu finden, deren Logos und Schilder nicht von Meier entworfen wurden. Die Bar Le Joseph, der Chocolatier Courtin, die Stadt selbst, ihre mittelalterliche Burg – all diese «visuellen Identitäten» tragen Meiers Handschrift.
Wie ist diese Handschrift? «Ich mag es, Wörter in Silben zu zerlegen, wie zum Beispiel ‘Pié-mont-céve-nol’. Und scheinbar widersprüchliche Verfahren zu kombinieren, wie handgezeichnete Illustrationen und eine strenge, typisch schweizerische Typografie.» Ein Grafikdesigner mit einem Hauch von Jazz? «Funky», bevorzugt Christoph Meier.

Der Ruf des St. Gallers reicht über Sommières hinaus. Er hat einige grosse institutionelle Aufträge, von Nîmes bis Montpellier.
Der Generalrat des Départements Gard, das Pays de Sommières (der Gemeindeverband), die Metropole Montpellier und so weiter. Die Teile des berühmten französischen bürokratischen Millefeuilles sind allesamt Kunden!
Im Schloss wird gefeiert
Sommières, sein Fluss, Terre de Sommières – ein berühmtes Pulver, das auf wundersame Weise Fettflecken entfernt – und seine Burgruine.
In den 1930er-Jahren bauten die Behörden dieser unhygienischen Stadt, die fast kein fliessendes Wasser hatte, einen grossen Wassertank im verlassenen Burghof. Zur Einweihung wurde ein Fest organisiert.
«In den Archiven habe ich Beschreibungen dieses ziemlich verrückten Fests gefunden: mit Drag-Rennen und Schwimmwettbewerben im Vidourle.»
Als Sommières 2018 beschliesst, das riesige Wasserreservoir abzureissen, organisieren Christoph Meier und seine Freunde ein neues Fest, ein «vide-chât’eau».
Gross und Klein können die alten Tanks besprayen und sicher auf den Ruinen des Schlosses klettern. Der Hof wird endlich wieder zu einem Besucherort.
Und in diesem schönen Hof, umgeben von antiken Steinen und überragt von einem Turm, träumt Christoph Meier davon, das Fest fortzusetzen: Warum nicht Filme auf den Schlossturm projizieren?
So entsteht das Festival «Ciné-Jazz à la Tour», das er seither leitet. Natürlich hat er auch das Logo entworfen. Und wo, wie in Montreux, ebenso viel Funk wie Jazz gespielt wird.

Mit 63 Jahren, von denen er 35 in Sommières gelebt hat, arbeitet Meier nicht mehr elf Stunden am Tag wie früher. Aber er hat aus Treue einige Kundinnen und Kunden behalten.
«Leben, wie Gott in Frankreich», wie man in Deutschland sagt? «Ehrlich gesagt, bin ich kein grosser Fan von Boule und der Camargue-Stierkämpfe. Zum Glück gibt es noch Jazz und Funk.»
Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen: Claire Micallef

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