Das Geheimnis der 100-Jährigen in der Schweiz
Noch nie in der Geschichte der Menschheit hat die Langlebigkeit so stark zugenommen. In der Schweiz steigt die Altersgruppe der 100-Jährigen am stärksten. In der ersten nationalen Studie erforscht Altersforscherin Daniela Jopp, wie Hundertjährige in der Schweiz leben und was wir von ihnen über gutes Altern lernen können.
Daniela Jopp ist Psychologin und Gerontologin. Sie leitet die Studie «SWISS100». Das ist die erste landesweite Studie über 100-Jährige in der ganzen Schweiz. Sie ist Professorin an der Universität von Lausanne und Mitglied des Kompetenzzentrums «LIVES».
SRF: Wie sieht die Gruppe der 100-Jährigen in der Schweiz aus?
Daniela Jopp: In der Schweiz gibt es 2086 100-Jährige. Davon sind 80 Prozent Frauen. Knapp die Hälfte lebt in Pflegeeinrichtungen, die andere Hälfte lebt in Privathaushalten. Das ist schon erstaunlich, denn vor 80 Jahren gab es nur eine Handvoll 100-Jährige.
Wie geht es den 100-Jährigen in der Schweiz?
Ein Blick auf das Wohlbefinden liefert einen erstaunlichen Befund: In der Schweiz geben 92 Prozent der 100-Jährigen an, mit ihrem Leben zufrieden zu sein. Das ist ein bemerkenswertes Ergebnis, das auch in früheren Studien in anderen Länder beobachtet wurde, allerdings nie in so hoher Ausprägung. Es scheint, dass die Schweizer 100-Jährigen in besonderer Weise mit ihrem Leben zufrieden sind.
Welche Faktoren führen zu dieser Zufriedenheit?
Die objektive Gesundheit spielt keine zentrale Rolle. Obwohl 100-Jährige im Durchschnitt sechs körperliche Einschränkungen und oft auch kognitive Beeinträchtigungen haben, beeinflussen diese Faktoren die Zufriedenheit kaum. Viel wichtiger sind psychologische Aspekte wie das Gefühl, nicht einsam zu sein. Besonders entscheidend sind sogenannte psychologische Stärken: der Glaube an die eigene Kontrolle über das Leben, Optimismus, ein positiver Blick in die Zukunft, das Empfinden von Sinn im Leben und ein starker Lebenswille. Diese Elemente sind die wichtigsten Treiber für das Wohlbefinden im hohen Alter.
Was sind das für Persönlichkeiten, die 100-Jährigen in der Schweiz?
Wir wissen, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, wie Extraversion, also ob man gerne auf Leute zugeht, oder eine positive Grundeinstellung eine Rolle spielen und teils genetisch bedingt sind. Bei den Schweizer 100-Jährigen sehen wir auch, dass viele kein leichtes Leben hatten. Ein Drittel hat mindestens ein Kind verloren – eines der schwierigsten Lebensereignisse. Es ist eine Kombination aus genetischer Veranlagung für Optimismus und der Auseinandersetzung mit Krisen, die ihnen hilft, aussergewöhnlich resilient zu bleiben und so wohl auch länger zu leben.
Wie wichtig ist die Genetik?
Zahlreiche Studien haben dies untersucht und zeigen, dass nicht in erster Linie die Gene, sondern unsere Lebensführung für die Lebensspanne entscheidend sind. Genetik spielt nur etwa zu 25 Prozent eine Rolle. Der grössere Anteil von 70 bis 80 Prozent hängt von gesunder Ernährung, Bewegung, geistiger Fitness und sozialen Beziehungen ab sowie von einer positiven Lebenseinstellung und Lebenssinn.
Welche Rolle spielen persönliche Interessen und Hobbys?
Eine spannende Beobachtung aus meinen Studien mit 100-Jährigen ist, dass viele von ihnen einer tiefen Leidenschaft nachgehen. Sei es die enge Bindung an die Familie, etwa durch die aktive Unterstützung ihrer Enkelkinder, oder ein starkes Interesse an Politik, Kunst oder anderen Lebensbereichen – diese Hingabe scheint sie zu beflügeln. Ich glaube, wir können von den 100-Jährigen lernen, wie bedeutsam es ist, sich schon in jüngeren Jahren bewusst zu machen, was uns wirklich begeistert und antreibt. Genau diese Leidenschaften geben nicht nur Sinn und Energie, sondern tragen uns oft bis ins hohe Alter.
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