Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Der Auslandschweizer-Kongress sinniert über neue Formen

Blick auf Luzern
Die Stadt Luzern, eine der wichtigsten Tourismusdestinationen des Landes, wird vom 11. bis 13. Juli Gastgeberin des 100. Auslandschweizer-Kongresses sein. Keystone / Urs Flüeler


Zum 100. Mal treffen sich diesen Sommer die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer zu ihrem jährlichen Kongress. Die Grundidee ist gleich geblieben: die Diaspora zu vereinen sowie die Existenz und besonderen Bedürfnisse der Fünften Schweiz bekannt zu machen.

Der diesjährige Auslandschweizer-Kongress findet vom 11. bis 13. Juli in Luzern statt. Es wird das 100. Mal sein, dass die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer auf diese Weise in der Schweiz zusammenkommen.

Die Idee, die Beziehungen zwischen den Schweizerinnen und Schweizern im Ausland und der Schweiz zu intensivieren, entstand im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg auf Anregung der Neuen Helvetischen GesellschaftExterner Link.

Der erste Auslandschweizertag fand im April 1918 am Rand der Mustermesse in Basel statt. Er war der Beginn des jährlichen Kongresses, wie es ihn bis heute gibt.

Dass die Jubiläumsveranstaltung nicht 2018, sondern erst 2024 stattfindet, liegt daran, dass sechs Veranstaltungen wegen des Zweiten Weltkriegs und letzthin wegen der Coronavirus-Pandemie (2020 und 2021) ausgefallen sind.

Ein gesellschaftliches und politisches Treffen

Das Jahrestreffen der Fünften Schweiz hat eine doppelte Funktion. Erstens eine soziale, also die Möglichkeit für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, während ihres Aufenthalts in der Schweiz Erfahrungen auszutauschen und Kontakte zu knüpfen.

Der Kongress hatte aber immer auch eine politische Funktion, nämlich die Existenz der Fünften Schweiz gegenüber der offiziellen Schweiz zu bekräftigen und die spezifischen Interessen der Diaspora zu vertreten und bekannt zu machen.

Diesem politischen Aspekt widmet sich der Auslandschweizerrat, der traditionell eine seiner beiden Jahrestagungen im Rahmen des Kongresses abhält.

Mehr

In den hundert Jahren seines Bestehens fand der Rat nicht immer parallel zum Kongress statt. Die politische Dimension war jedoch immer präsent.

“Die Form mag sich manchmal geändert haben, aber diese doppelte Dimension – sozial und politisch – hat es immer gegeben”, sagt Ariane Rustichelli, Direktorin der Auslandschweizer-Organisation (ASO).

Ein neues politisches Gewicht

Die offizielle Schweiz hat den Treffen der Fünften Schweiz immer eine gewisse, manchmal sogar besondere Aufmerksamkeit geschenkt. So reisten in den 1940er-Jahren bis zu vier Bundesräte an einen Kongress.

Auf politischer Ebene haben die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer vor allem seit der Einführung der brieflichen Stimmabgabe (1992) an eidgenössischen Abstimmungen an Präsenz gewonnen.

“Die Fünfte Schweiz stellt ein nicht zu unterschätzendes Stimmenpotenzial dar, weshalb sich verschiedene Parteien an sie wenden. Das politische Gewicht der Diaspora ist vielleicht nicht entscheidend, kann aber für gewisse Parteien wichtig sein”, sagt der Politologe Claude Longchamp.

Dieses neue politische Gewicht lässt sich an konkreten Beispielen festmachen. So verfügen seit einigen Jahren alle grossen politischen Parteien über eine internationale Sektion, die sich speziell an die Wählerinnen und Wähler im Ausland wendet.

Mehr
Grafik Wahlen 2023
pancartes élections fédérales 2023

Mehr

Der Blick der grossen Parteien auf die Fünfte Schweiz

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Wenige Monate vor den eidgenössischen Wahlen schielen die grössten Parteien auf das wachsende politische Gewicht der Fünften Schweiz.

Mehr Der Blick der grossen Parteien auf die Fünfte Schweiz

Dieses Interesse zeigt sich auch an den Kongressen selbst, wo die Zahl der Stände der verschiedenen Parteien im Lauf der Jahre zugenommen hat.

Ein weiteres Zeichen dieses Interesses ist das “Abendessen der politischen Parteien”Externer Link, das dieses Jahr in Luzern zum zweiten Mal stattfindet.

Vielleicht nicht mehr jedes Jahr

Die 100. Ausgabe ist auch ein Anlass, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Denn in etwas mehr als einem Jahrhundert hat sich das Gesicht der Diaspora stark verändert.

“Zur Zeit des ersten Kongresses galten die Ausgewanderten als Menschen, die nie mehr in die Schweiz zurückkehren würden”, sagt Longchamp.

“Aber heute ist ein Grossteil von ihnen viel mobiler. Sie gehen manchmal aus beruflichen Gründen ins Ausland und pendeln regelmässig zwischen der Schweiz und ihrem Wohnland. Es handelt sich nicht mehr um Personen, welche die Schweiz definitiv verlassen haben, sondern um Personen, die zurückkehren können.”

Auch die modernen Kommunikationsmittel haben die Situation verändert. Selbst wenn man am anderen Ende der Welt lebt, kann man sofort mit Verwandten in der Schweiz Kontakt aufnehmen oder sich über das Geschehen in der Heimat auf dem Laufenden halten.

Es stellt sich daher die Frage, ob ein grosses jährliches Treffen wie der Kongress noch sinnvoll ist.

Rustichelli ist überzeugt, dass der soziale Aspekt der Kongresse seine Bedeutung beibehält: “Der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen. Die Menschen, die an den Kongressen teilnehmen, freuen sich, einander wiederzusehen und sich auszutauschen”, sagt sie.

Die Pandemie habe gezeigt, dass die neuen Kommunikationsmittel die persönliche Begegnung nicht vollständig ersetzen könnten.

“Zudem kann die Teilnahme an Kongressen eine Gelegenheit sein, wieder in eine schweizerische Atmosphäre einzutauchen. Man kann aus der Ferne verfolgen, was in der Schweiz passiert, aber es wird immer einen kleinen Mehrwert haben, wenn man kommt, um diese Schweizer Realität in der Schweiz zu erleben.”

Dennoch ist die Beteiligung rückläufig. In diesem Jahr wurde der traditionell im August stattfindende Kongress sogar in den Juli verlegt, um ihn zugänglicher zu machen.

Angesichts dieser Entwicklungen ist es möglich, dass die Kongresse der Zukunft eine hybride Form annehmen, wie es bereits bei den Ratssitzungen der Fall ist, mit Ausgaben in der Schweiz und anderen Online-Ausgaben.

“Es ist denkbar, dass die Kongresse der Zukunft nicht mehr jedes Jahr, sondern alle zwei oder drei Jahre in der Schweiz stattfinden”, sagt Rustichelli.

Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub

Meistgelesen
Swiss Abroad

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft