Der Auslandschweizer-Rat sagt Ja zu demokratischen Wahlen
Die Delegierten genehmigen ein Projekt für direktere Wahlen. Neue Wahlkreise sorgen jedoch für Diskussionen, wie auch der Entscheid des Vorstands, den Kongress nur noch alle vier Jahre durchzuführen.
«Es ist der Elefant im Raum», sagt Arbeitsgruppenmitglied Andreas Feller-Ryf über das Projekt das er vor den Delegierten des Auslandschweizer-Rats vertritt. Er und eine Gruppe von jüngeren Mitgliedern wollen eine demokratischere, eine direkte Wahl des Auslandschweizer-Rats.
Es ist ein ambitiöses Projekt. Bisher wird das Parlament indirekt besetzt, Vereinsdelegierte wählen Länderdelegierte in den Rat. Es gibt niemanden, der dieses Verfahren ernsthaft verteidigt.
Feller-Ryf spricht das Thema der Schweizer Clubs und Vereine direkt an, es ist der zweite Elefant im Raum. Diese sind am Schwinden und innerhalb der Vereine werden mit einer demokratischen Wahl Machtverluste befürchtet. Doch Feller-Ryf sieht auch Chancen: «Sie sind Bestandteil der direkten Wahl.»
«Wir repräsentieren die Schweiz im Ausland, sind jedoch kein Abbild vom demokratischen System, auf das wir doch in der Schweiz so stolz sind.»
Die Arbeitsgruppe, welche ein neues Wahlsystems etablieren will, «hat grosse Fortschritte gemacht», sagt Filippo Lombardi, der Präsident der Auslandschweizer-Organisation anerkennend. Tatsächlich liegen auf einigen Ebenen Resultate vor. Es gibt ein Wahltool, entwickelt an der Berner Fachhochschule. Damit fällt bei den Vereinen im Ausland weniger Arbeit an. Doch sie übernehmen eine wichtige Rolle bei den Wahlen. «Wir brauchen sie, um Kandidaten zu suchen.» Oder um die Wahl zu koordinieren, damit die Kandidat:innen in einem Land nicht alle aus der gleichen Gegend stammen, was auch keine demokratische Wahl wäre.
Die Kandidat:innen für den ASR werden in Zukunft weiterhin lokal ausgewählt, doch jede:r registrierte Schweizer:in soll dereinst zum Abstimmen eingeladen werden.
Schauen Sie hier unsere Folge «Let’s Talk» zum Auslandschweizer-Rat:
Es gibt auch einen Zeitplan: Bereits für die nächste Legislatur, ab 2025, wird das System in über zwölf Ländern eingeführt, dazu gehören Kanada, die USA, Peru, Deutschland, Spanien und Portugal sowie Australien.
Und das ist die echte Revolution: Angedacht und bewilligt war ein Pilotprojekt. Doch dann hat die Arbeitsgruppe Fakten geschaffen und eine kritische Grösse erreicht: Durch die zahlreichen Länder, die sie zum Mitmachen bewegt hatte, kommt es zu voraussichtlich 44 Sitzen, die neu über Direktwahlen besetzt werden. Bei 120 Ausland-Delegierten im Rat wird das praktisch einem Systemwechsel gleichkommen.
Damit die Verteilung Länder und Regionen repräsentativ ist, wurden die Wahlkreise neu definiert. Auch das ist eine kleine Revolution, sie führte an der Sitzung zu Diskussionen. Denn die Wahlkreise richten sich nach der Anzahl Schweizer Auslandbürger in den Regionen. Es gibt keine garantierte Ländersitze mehr.
So wird etwa Venezuela keine:n eigene:n Delegierte mehr haben, was dieser erstmal begreifen musste. Das Baltikum bildet neu einen Wahlkreis mit Russland, was bei mehreren Delegierten angesichts der aktuellen politischen Lage für Unverständnis sorgte. Doch Filippo Lombardi wurde hörbar emotional und beendete die Diskussion so: «Auslandschweizer sind nicht die Feinde anderer Auslandschweizer.»
Der Auslandschweizer-Rat hat die neue Sitzverteilung mit 75% Ja-Stimmen genehmigt. Damit geht das Projekt zügig weiter, bis Ende August werden die Wahlorganisationen in den Ländern bestimmt, welche die Kandidat:innen suchen und ernennen.
Das also war die Revolution von unten.
Kongress findet nicht mehr jährlich statt
Die andere Revolution kam von oben, quasi vom Vorstand verordnet: Der Auslandschweizer-Kongress soll nicht mehr jedes Jahr stattfinden!
Der Vorstand hatte diesen Plan so detailliert ausgearbeitet, dass der Rat diesen nur noch abwinken konnte, und der Plan ist: Statt wie dieses Jahr im Juli, soll der Kongress wieder im August stattfinden, aber nur noch alle vier Jahre, das heisst einmal pro Legislaturperiode.
Man muss wissen: Der Kongress war noch vor kurzem der emblematische Anlass der Auslandschweizer:innen. Einmal im Jahr trafen sie sich zu Hunderten für ein Wochenende im August. Ein Bundesrat war dabei, die Sache hatte Gewicht.
Doch der Glanz ist geschwunden. «Welches war der letzte Kongress, an dem wir viel Enthusiasmus spürten?», fragt Lombardi und gibt gleich die Antwort: Es war der Kongress 2022 in Lugano, der nach zweijähriger Pandemiepause stattgefunden hat. Und damit ist auch klar, wo Lombardi hinwill: «Weniger Kongresse, dafür intensiver.»
Immer weniger Teilnehmende
Seit 2009 gehen die Anmeldungen zum Kongress zurück, wie Lombardi sagt. Dieses Jahr nehmen noch 130 Personen teil, grösstenteils die Delegierten und ihre Partner:innen.
Die Anmeldezahlen sinken zusammen mit den finanziellen Mitteln, die für die Durchführung des Kongresses zur Verfügung stehen. «Die finanzielle Unterstützung von Swisslos und Lotterie Romande ist von 60’000 auf 10’000 Franken zurückgegangen», sagt Lombardi. Die ASO könne das Risiko von einem Defizit von 50’000 Franken pro Jahr nicht tragen. Auch die Unterstützung von Sponsoren sei zurückgegangen.
Im ersten und dritten Jahr einer Periode kommt nur der Rat in der Schweiz zusammen, im zweiten Jahr gibt es einen dreitägigen Kongress mit Rahmenprogramm und im vierten Jahr tagt im August der erweiterte Rat mit den bisherigen und den neugewählten Delegierten.
Diese erweitert Ratssitzung wird schon 2025 zum ersten Mal stattfinden, 2027 ist der nächste Kongress.
Der Entscheid des Vorstands stösst nicht nur auf Verständnis. Für die Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter geht mit weniger Austragungen des Kongresses eine wichtige Plattform für die Auslandschweizer:innen verloren. «Die Auslandschweizer brauchen immer mehr Lobbying», sagt sie. «Wenn wir nur noch alle vier Jahre einen Kongress durchführen, fehlt ein wichtiges Tool, um ihre Anliegen bekannt zu machen.»
Anstatt den Kongress seltener durchzuführen, hätte zuerst überlegt werden sollen, was man denn ändern könnte. «Ich wünschte mir, der Kongress würde attraktiver gemacht werden, statt dass der Vorstand einfach undemokratisch entscheidet.»
Lombardi kontert, dass der Vorstand als Ausschuss des Rates auf die Finanzen achtet. Die ASO ist eine Stiftung, wenn es zu Verlusten kommt, würden alle haften. Diese durchaus drohende Aussage war in den Pausen noch Thema. Nicht wenige Delegierte fühlten sich übergangen.
Schweizer Revue reduziert Ausgaben
Gespart wird auch bei der Schweizer Revue. Sie wird in Zukunft nur noch fünf statt sechs Mal pro Jahr erscheinen, jeweils zu den Abstimmungsterminen und noch einmal dazwischen, wie Filippo Lombardi sagt.
Auch inhaltlich wird es Änderungen geben, die Schweizer Revue wird zukünftig die regionalen Seiten stärker ausbauen, alle Ausgaben werden regionale Teile beinhalten.
Obwohl es nicht dem Zeitgeist entspreche, motiviert Lombardi die Delegierten, Werbung für die gedruckte Ausgabe zu machen. Denn gemäss einer Studie wird jede gedruckte Ausgabe von zwei Personen gelesen, während die digitale nur jede zehnte Person liest. Momentan erhalten 200’000 Personen die Schweizer Revue auf Papier.
Lob für die Schweizer Diplomat:innen
David Grichting, Direktor der konsularischen Direktion des Aussendepartements EDA erläuterte die aktuelle konsularische Strategie der Schweiz. Man will im Rahmen der Prävention die Eigenverantwortung von Schweizerinnen und Schweizern im Ausland fördern. Sollten diese dennoch Unterstützung brauchen, soll diese effizient sein.
Der Diplomat wies auch darauf hin, dass seine Direktion im Rahmen der konsularischen Strategie das Personal der Botschaften und Konsulate auffordert, sich aktiv am Leben der Auslandschweizer zu beteiligen.
Denn «je mehr Augen und Ohren wir in einem Land haben, desto besser können wir die Herausforderungen erfassen, denen sich die Schweizer Bürgerinnen und Bürger im Ausland gegenübersehen», sagte er.
Mehrere Delegierte meldeten sich zu Wort und lobten die Arbeit der Schweizer Diplomaten – beispielsweise in Israel, Südafrika, Italien oder Ungarn. Viel Anerkennung ging insbesondere an jene, die regelmässig an den Treffen der lokalen Schweizer Vereine teilnehmen.
Die Anwesenden nutzten die Anwesenheit von David Grichting, um auf die Schwierigkeiten hinzuweisen, die manchmal bei der Registrierung von Eheschliessungen und der Anerkennung von Geburten – und damit der Schweizer Staatsangehörigkeit – in den Schweizer Vertretungen auftreten. Grichting notierte fleissig mit. Für ihn war es der letzte Auftritt vor dem Rat. Er übernimmt ab Januar eine neue Position. Wer auf ihn folgt, ist noch offen.
Kommunikation mit Jungen verstärken
Innerhalb des Auslandschweizer-Rats haben sich nebst der Gruppe um Andreas Feller-Ryf weitere Arbeitsgruppen gebildet. Auch sie rapportierten über den Stand ihrer Tätigkeit. Die Arbeitsgruppe, die sich mit der Frage befasste, wie die politische Beteiligung der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer erhöht werden könnte, hat acht prioritäre Massnahmen identifiziert und diese in den letzten Monaten konkretisiert.
So hat sie beispielsweise Kooperationen mit dem Bundesamt für Statistik (BFS) und den kantonalen und eidgenössischen Behörden ins Leben gerufen, um das Abstimmungsverhalten der Auslandschweizer:innen besser zu verstehen und Lösungen zu finden.
Gerne würde man auch die Kommunikation über Webinare oder die Informationskanäle des EDA verstärken. Als eine wichtige Zielgruppe wurden Jugendliche erkannt. Ein Handlungsfeld bilden auch die Gemeinden, die die Bürgerinnen und Bürger bei der Ausreise aus der Schweiz über ihre politischen Rechte informieren könnten.
Eigener Wahlkreis für Fünfte Schweiz
Eine weitere Arbeitsgruppe beschäftigt sich schon viele Jahre mit der Frage nach einem Wahlkreis für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer. Das Resultat davon wäre eine garantierte Vertretung im nationalen Parlament.
«Ein Vorteil wäre, dass die Lobbying-Möglichkeiten verbessert würden», sagte Constantin Kokkinos, der das interne Projekt leitet. Das funktioniere in vielen Ländern gut, etwa in Frankreich, Italien und Portugal. Faktisch scheitert die Ambition aber an der Machbarkeit. Die Zeit sei noch nicht reif dafür, weder im Volk noch im Parlament.
Lobbying bei Kantonen
Eine weitere Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit dem direkten Lobbying bei den Kantonen. Es geht um E-Voting und um die Möglichkeit, dass die Fünfte Schweiz auch Ständerät:innen wählen können. Denn nur in einigen Kantonen können Auslandschweizer:innen die Ständerät:innen wählen, in anderen nicht. Diese sollen nun dafür sensibilisiert werden. Vorstösse auf nationaler EbeneExterner Link haben nicht weitergeführt, da Ständeratswahlen in den kantonalen Verfassungen geregelt sind.
Die Arbeitsgruppe kontaktierte die kantonalen Regierungsrät:innen und Staatsschreiber:innen, sowie die jeweiligen Ständeräte. Die Bilanz dieses direkten Kontakts fiel positiv aus. Es gezielte Sensibilisierung an entscheidender Stelle, und das stärke auch das Image des Auslandschweizer-Rats, wurde rapportiert.
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