Der Bananendoktor

Karl Steiner tauschte den Arztkittel gegen Gummistiefel. In der Dominikanischen Republik baut der Schweizer Bio-Bananen an und tüftelt an nachhaltigen Fisch- und Pilzprojekten. Ein Portrait.
Karl Steiner ist kein Mann für Routinen. Der 66-Jährige begann seine berufliche Laufbahn als Metzger. Doch dies wurde ihm schnell zu eintönig. Also entschloss er sich, die Matura nachzuholen und Medizin zu studieren.
Später eröffnete er seine eigene Arztpraxis. Doch auch danach suchte er nach neuen Aufgaben. Er kaufte einen Bauernhof, den er nebenbei in ein Weingut verwandelte.
«Schon mein Vater war Bauer mit acht Kühen. Dann wurde er Viehhändler und schliesslich Privatpilot für eine Metzgerei. Er hat mir gezeigt, dass alles möglich ist, wenn man es wirklich will», erzählt Steiner.
Mit diesem Selbstverständnis wagte er mit knapp 55 Jahren sein nächstes Abenteuer – die Auswanderung. Er zog in die Dominikanische Republik. Dort, in der Provinz Valverde, beteiligte er sich an einer Plantage, mit im Boot eine Gruppe von Agronomen.
Inzwischen baut er auf 96 Hektar seine eigenen Bio- und Demeter-Bananen an und hat sich in dieser Branche einen Namen gemacht. Seine Kollegen nennen ihn den «Bananendoktor».
Die perfekte Formel für Bananen
Doch was wie ein radikaler Berufswechsel aussieht, ist für ihn selbst nur Fortsetzung seiner bisherigen Arbeit. «Mensch und Natur stehen für mich immer im Mittelpunkt», sagt er. Die Bananenproduktion sieht Steiner als ebenso präzise Wissenschaft wie die Medizin. «Das Bodenbiom ist mindestens so komplex wie der menschliche Körper», erklärt er.
Der einstige Arzt simuliert Bodenstrukturen mittels Mathematik, er experimentiert mit Wasser- und Nährstoffverhältnissen und optimiert diese stetig. «Es ist eine Kunst, Wasser und Sauerstoff in den schweren Böden im perfekten Gleichgewicht zu halten.» In der Bananenproduktion gelte es genau so fest die Parameter zu überwachen, wie in der Medizin.
Steiner setzt auf biologischen Anbau und ist überzeugt, dass chemischer Dünger die Böden langfristig zerstört. Mit natürlichen Verfahren verbessert er die Bodenqualität, und er achtet auf eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft.
Steiner lässt sich nicht von vorgeschriebenen Methoden einschränken. Er sieht neben Zahlen und Messwerten auch den Wert qualitativer Ansätze. «Die westliche Wissenschaft ist oft zu fixiert auf Messbarkeit. Nicht alles lässt sich in Zahlen ausdrücken.»
Pflanzenphysiologie und Stoffwechselprozesse – diese Grundlagen hat er im Medizinstudium gelernt. Doch er vertraut auch auf praktische Beobachtung. «Ich habe viel von benachbarten Bauern gelernt und heute kannst du dir im Internet fast alles aneignen – vorausgesetzt, du hast ein solides Grundwissen.»
Das Schöne sei, dass es sich um Kommunikation mit der Pflanze handle – ein Prozess, der Aufmerksamkeit und Geduld erfordere. Wissen ist kein starres Konzept, sondern ein dynamischer Prozess, davon ist er überzeugt. «Man muss bereit sein, zu experimentieren und Fehler zu machen.»
Zwischen Erfolg und Naturgewalten
Der Alltag auf der Plantage verlangt einiges an Durchhaltewillen. Schon zwei Mal zerstörten Überschwemmungen nach Hurrikans seine gesamte Plantage. Trotzdem liess er sich nicht entmutigen.
Heute beschäftigt er rund 80 Mitarbeitende unter Fairtrade-Standards. Er produziert wöchentlich 40 Tonnen Bio-Bananen, 36 Tonnen oder 2000 Kisten à 18kg gehen in den Export. Zudem berät er auch andere Fincas beim Anbau und Verkauf unter dem Namen «Probanor».

Die Zukunft des Sektors sieht er allerdings skeptisch. «Der Bananensektor in der Dominikanischen Republik ist im Niedergang. Die Produzentinnen und Produzenten haben jahrelang von guten Bedingungen profitiert und nie optimiert.» Zudem setzten eine steigende Inflation und gleichbleibende Exportpreise den Bäuerinnen und Bauern zu.
Was seine eigene Arbeit betrifft, bleibt Steiner aber optimistisch. Um seine Plantage widerstandsfähiger zu machen, tüftelt er an zwei Projekten, die Nachhaltigkeit und Effizienz verbinden. Es geht um eine Fisch- und eine Pilzzucht, die Abfälle verwerten und gleichzeitig Nährstoffe für die Böden liefern. In Kombination mit Algen liefere die Fischzucht nährstoffreiches Wasser, das als natürlicher Dünger diene.
«Wenn du so intensiv Fisch hältst, musst du im Wasser sechs Parameter überwachen: Sauerstoff, pH, CO2, Pufferkapazität, Temperatur und Trübung.» Wieder vergleicht er es mit der Medizin, diesmal die Kontrolle der Wasserwerte mit der Überwachung von Vitalfunktionen bei einem Patienten – ein System, das präzise gesteuert werden muss.
Freiheit mit Einschränkungen
Auch die Pilzzucht verfolgt das Ziel, Ressourcen aus dem Stoffkreislauf besser zu nutzen. Steiner verarbeitet Biomasse – Blätter, Stängel und andere Rückstände – zu Substrat, das er mit Pilzsporen impft. So wachsen Austernpilze, die organisches Material abbauen, den Boden verbessern und dann erst noch als nahrhafte Speisepilze dienen.
«Pilze haben ein enormes Potenzial. Sie können Nährstoffe aufnehmen und abgeben.» Das von Pilzen gebrauchte Substrat wird kompostiert, auf die Felder ausgebracht und sorgt so für fruchtbare Böden.

Für Steiner ist das Leben in der Dominikanischen Republik ein Kompromiss. Er schätzt die Freiheiten, die ihm das Land bietet. «Hier kann ich meine Ideen und Projekte verwirklichen, ohne von Vorschriften ausgebremst zu werden.»
Nicht weit von der Plantage lebt er mit seiner Frau und ihrem 12-jährigen Sohn. Doch Freiheit hat auch ihren Preis. «Es gibt hier wenig Rechtssicherheit. Manchmal fühlt sich alles ein bisschen nach Wildwest an.»
Ob als Metzger, Arzt oder Bananenproduzent hat er Herausforderungen gesucht. Wildwest passt da ganz gut.
Editiert von Balz Rigendinger/me

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