Der Ruf leidet – für die Auslandschweizer-Organisation heisst das: Arbeit
Die Auslandschweizer-Organisation ist auf dem Weg der Erneuerung. Das ist notwendig, denn die Schweizer Diaspora kämpft um ihr Image. Protokoll der ersten Sitzung des Auslandschweizerrats 2024.
Filippo Lombardi hat in den tausenden Sitzungen, die der 67-Jährige auf dem Buckel hat, wohl eines gelernt: Es braucht den richtigen Tonfall zum richtigen Zeitpunkt. Also nimmt Lombardi Anlauf. «Unser Image in Politik und Medien hat sich in den letzten Jahren stets verbessert», berichtet er nüchtern, fast monoton in den verdunkelten Konferenzsaal im Kursaal Bern.
Dann setzt er an: «Jetzt stellen wir fest, dass sich diese Tendenz geändert hat.» Und schliesslich donnert er in den Raum: «Wir sind oft zur Zielscheibe geworden.»
Die ganztägige Sitzung des Auslandschweizerrats läuft zu diesem Zeitpunkt gerade mal 30 Minuten, wer noch nicht wach war, ist jetzt geweckt. «Wir mussten Dinge erleben, die es noch nie gegeben hat.»
Aus der ganzen Welt angereist
Wir: Lombardi spricht von den über 800’000 Schweizerinnen und Schweizern, die im Ausland leben. Der Auslandschweizerrat ist das Gremium, das sie in der Schweiz vertritt, 129 Mitglieder aus vielen Ländern der Welt. Knapp 60 von ihnen sind für diese Tagung teils von weither nach Bern gereist: aus Australien, Südafrika oder Peru. Ein Dutzend weitere sind online zugeschaltet.
Filippo Lombardi, der Präsident der Auslandschweizer-Organisation (ASO), redet vom Abstimmungskampf um die 13. AHV-Rente. Anfang März hat die Schweiz darüber entschieden. Die Rentner:innen im Ausland gerieten zuvor ins Visier der Schweizerischen Volkspartei (SVP), die rechtskonservative Partei brandmarkte Rentenempfänger:innen im Ausland in ihrer Kampagne als Profiteure. Darin ortet Lombardi eine neue Qualität.
Der Ruf der Auslandschweizer:innen komme unter die Räder, analysiert er, man müsse dringend wieder am Image schaffen. Denn: «Wir wollen nicht als Profiteure wahrgenommen werden.» Und vielleicht müsse man auch als Lobby-Organisation der Auslandschweizer:innen, aufpassen, dass man nicht zu forsch auftrete, nicht zu fordernd. Zu aggressives Lobbying könnte dem Image schaden.
Das EDA muss weitere 40 Millionen sparen
Nach einem Applaus und Diskussion tritt David Grichting ans Mikrofon. Der Schweizer Spitzendiplomat hätte heute eigentlich ins Ausland fliegen sollen. Doch der Direktor der Konsularischen Direktion des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hat seine Abreise verschoben, damit er an der Sitzung des Auslandschweizerrats sprechen kann.
Er informiert die Anwesenden über Sparpläne des Bundes. Sie sehen vor, dass das EDA 2025 40 Millionen Franken sparen muss, 60 Millionen hat das Departement bereits im Vorjahr eingespart.
Alle diplomatischen Vertretungen bleiben
Die gute Nachricht für die Auslandschweizer:innen ist: Nicht betroffen von diesen Sparplänen ist das Auslandnetzwerk des EDA. «Die Anzahl der Vertretungen im Ausland wird nicht angetastet», sagt Grichting. Letztes Jahr sei die Vertretung in La Paz zur Diskussion gestanden. «Der Departementsvorsteher Ignazio Cassis ist aber klar dagegen gewesen.» Innerhalb der Vertretungen könne es jedoch durchaus zu Veränderungen kommen, es werde an Personalzahlen und an Pflichtenheften geschraubt.
Auch die Pflichtenhefte der Honorarkonsul:innen werden überprüft. Grichting betont auf eine Frage von ASO-Präsident Filipo Lombardi die Wichtigkeit dieser Vertreter:innen der Schweiz. Viele Honorarkonsul:innen leisten jetzt schon mehr, als das Pflichtenheft erfordert, sagt Grichting.
Dennoch stelle sich die Frage, ob zum Beispiel in Lateinamerika, wo die Schweizer Präsenz weniger stark ist, Honorarkonsule auch zusätzliche Aufgaben übernehmen könnten. Alles mit dem Ziel, Kosten für den Bund zu sparen.
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Die Beziehung zu den Schweizer:innen vor Ort soll jedoch nicht darunter leiden. «Wir haben die Pflicht, die Verbindung der Auslandschweizer zur Schweiz zu stärken», sagt Grichting.
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Aussenmister Cassis wird dieses Jahr an 1. August-Feiern in Südamerika teilnehmen. Und Grichting reist morgen nach Kanada, wo er sich mit Schweizer:innen in der Gegend von Montreal trifft.
Was, wenn alle plötzlich rückwandern?
Ralph Steigrad ergreift nun das Mikrofon, er ist Delegierter der ASO in Israel. Steigrad stellt fest: «Der Begriff ‹Krieg› wird in den Medien immer häufiger verwendet.» Die vielbeschworene Bedrohung veranlasst ihn zur Frage, was passieren würde, wenn ein weltweiter Konflikt ausbräche – und alle 800’000 im Ausland lebenden Schweizerinnen und Schweizer zurückkehren würden. Und was wäre mit der Angehörigen? Die vielleicht nicht die Schweizer Staatsangehörigkeit besitzen?
Die Schweiz ist schliesslich ein neutrales Land, und dieser Status könnte dafür sorgen, dass sie verschont bleibe und zum sicheren Hafen werde, sagt Steigrad. Er fragt: «Ist die Schweiz bereit, ihre Bürgerinnen und Bürger aus dem Ausland aufzunehmen?»
Steigrad malt weiter an diesem Bild. Die Herausforderung stelle sich auf mehreren Ebenen: Logistisch in Bezug auf Unterkünfte oder Schulplätze, administrativ in Bezug auf Versicherungen oder Sozialleistungen für diese Schweiz-Flüchtlinge, und drittens auch gesellschaftlich. Man wisse nicht, wie die Inlandschweizer diese neue Schweizer Bevölkerung aufnehmen würden.
Die Sorgen des Delegierten aus Israel haben einen ernsten Hintergrund: «Als der Krieg zwischen Israel und der Hamas im Oktober 2023 begann, wollten Tausende von Schweizern zurückkehren, um sich in Sicherheit zu bringen», sagte Ralph Steigrad.
Dies zeige die Notwendigkeit, dass sich die Schweiz mit diesen Fragen befassen müsse. Steigrad fordert den Auslandschweizerrat auf, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die sich eingehend mit solchen Fragen befasst. Der Rat folgt dem Antrag mit 52 zu 17 Stimmen bei 7 Enthaltungen.
Ein weiterer Antrag Steigrads zielt aus demselben Grund auf eine Anpassung im Auslandschweizergesetz. Dort soll eine Liste von Verpflichtungen verankert werden, die sich im Fall einer schweren Krise für die Schweiz gegenüber den Schweizer:innen im Ausland ergebe.
Einsatz für E-Voting und mehr Demokratie
Einen Einblick in den Maschinenraum der Lobby-Organisation geben schliesslich die unterschiedlichen Arbeitsgruppen in ihren Zwischenberichten.
Da ist eine Arbeitsgruppe, die sich für eine breitere Einführung von E-Voting einsetzt. Sie schrieb systematisch Kantonsregierungen und Staatskanzleien an und fragte, ob und wann der jeweilige Kanton E-Voting anzubieten gedenke. «Wir brauchen Geduld, aber das Nachhaken war hilfreich», sagt Jeannette Seifert-Wittmer, Delegierte aus den USA.
Zwei weitere Arbeitsgruppen verfolgen das Ziel, die gewachsenen Strukturen und Abläufe der über 100-jährigen Organisation zu erneuern. Eine will Mittel und Wege finden, dass sich der Auslandschweizerrat selbst dereinst breiter und demokratisch zusammensetzt.
Noel Frei, Delegierter aus Äthiopien, berichtet von greifbaren Fortschritten: Die Finanzierung ist gesichert, eine Zusammenarbeit mit dem EDA etabliert und eine günstige, gut erprobte Schweizer Abstimmungsplattform gefunden. «Wir spüren viel Unterstützung und grosses Interesse», sagte Frei.
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