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Die Schweiz soll ihr Bürgerrecht grosszügiger vergeben: Das wollen gleich zwei Bewegungen

Zwei Kinder tragen die Schweizer Flagge
Ausgewanderte und Zugewanderte wollen die Hürden zum Schweizer Bürgerrecht abbauen. (C) Csklyarova | Dreamstime.com

Nachkommen von Ausgewanderten verlangen einen einfacheren Zugang zum roten Pass – mittels Petition. Auch die ausländische Wohnbevölkerung in der Schweiz verfolgt dieses Ziel, unterstützt von Demokratie-Aktivist:innen und einer Initiative. Eine Auslegeordnung um das Recht auf Bürgerrecht.

Alle wollen es, die Zugewanderten und die Ausgewanderten. Es ist kein Entweder-oder, aber dennoch stehen dahinter fundamental andere Vorstellungen von Bürgerrecht: Man erhält es durch Abstammung vererbt. Oder durch den eigenen Beitrag am Ort, an dem man lebt oder sogar geboren wurde.

Das Schweizer Bürgerrecht ist stark vom Prinzip des Ius sanguinis, vom Recht des Blutes, geprägt: Die Staatsangehörigkeit wird durch die väterliche oder mütterliche Abstammung erworben – ein Prinzip, das neben der Schweiz auch Deutschland und Österreich kennt.

Nach dem anderen Prinzip, dem Ius soli (Recht des Bodens), erwirbt man die Staatsangehörigkeit durch Geburt im jeweiligen Land. Dies ist in typischen Einwanderungsländern wie den USA, Südamerika, Kanada oder Australien der Fall.

Zum ersten Mal seit Jahrzehnten ist in der Schweiz nun eine Initiative zustande gekommen, die den Zugang zum Schweizer Bürgerrecht für Zugewanderte vereinfachen will. Ende November wurden 104’603 beglaubigte Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht. Mit der «Demokratie-Initiative» sollen die Rechte für Ausländer:innen in der Schweiz ausgeweitet werden.

Gleichzeitig fordern Nachkommen von ausgewanderten Schweizer:innen, dass die Anforderungen vereinfacht werden sollten, um das Schweizer Bürgerrecht im Ausland an die Nachkommen weitergeben zu können.

Eine Petition mit Unterschriften von rund 110 Schweizer:innen im Ausland sowie 11’500 Nachkommen von Schweizer Ausgewanderten haben diese im Juli 2024 zuhanden der Bundesversammlung eingereicht (wir haben darüber berichtet).

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Im gleichen Zeitraum prallen damit zwei Prinzipien aufeinander, die einander zwar nicht ausschliessen, aber dennoch deutlich in Anhänger:innen und Gegner:innen trennen.

Ein Viertel der Bevölkerung in der Schweiz

Die Demokratie-Initiative will die bestehenden Einbürgerungshürden für die ausländische Bevölkerung abbauen. «In der Schweiz ist mehr als ein Viertel der Bevölkerung von der Demokratie ausgeschlossen», schreibt das Initiativ-Komitee. Mit einer einfacheren Einbürgerung sollen die aktuell rund zwei Millionen Menschen mit ausländischen Wurzeln Zugang zur Mitbestimmung erhalten. Denn ohne Schweizer Pass, keine politische Teilhabe.

Unterschriftenkartons vor dem Bundeshaus
Am 21. November 2024 wurden 104’603 beglaubigte Unterschriften für die Demokratie-Initiative eingereicht. Keystone / Peter Klaunzer

Um als Ausländer:in in der Schweiz eingebürgert werden zu können, müssen bisher zahlreiche Voraussetzungen erfüllt werden: So steht die ordentliche Einbürgerung nur ausländischen Staatsbürger:innen offen, die mindestens zehn Jahre in der Schweiz gelebt haben, davon drei der letzten fünf Jahre vor Einreichung des Gesuchs. Die allfällig als Kind in der Schweiz verbrachte Zeit zählt doppelt.

Das schweizerische Bürgerrechtsgesetz sieht zudem vor, dass das Bürgerrecht nur Personen erteilt wird, die erfolgreich integriert und mit den schweizerischen Lebensverhältnissen vertraut sind. Auch dürfen Sie keine Gefährdung für die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz darstellen.

Im europäischen Vergleich unterhält die Schweiz eines der strengsten Einbürgerungsverfahren. Dies unterstreicht die Bürgerrechtsspezialistin Barbara von Rütte: «Die Anforderung für eine Einbürgerung der ausländischen Bevölkerung sind hoch.» Viele von ihnen seien in der Schweiz aufgewachsen und kulturell eng mit diesem Land verbunden. Dennoch müssten sie ein strenges Verfahren durchlaufen, in welchem sie beispielsweise nachzuweisen hätten, dass sie genügend Schweizer Freund:innen besässen.

Diese Kriterien sollen mit der Demokratie-Initiative nicht verschwinden, aber abgeschwächt werden.

Nicht nur wegen der politischen Teilhabe habe die Einbürgerung für die ausländische Bevölkerung in der Schweiz an Bedeutung gewonnen, analysiert der ZHAW-Dozent für Völker- und Europarecht, Valerio Priuli. «Mit der Umsetzung der Ausschaffungsinitiative 2016 und der Verschärfung des Ausländergesetzes von 2019 hat die Aufenthaltssicherheit mit einer Niederlassungsbewilligung abgenommen.»

Während man früher beispielsweise nach 15 Jahren Aufenthalt keinen Entzug der C-Bewilligung wegen Sozialhilfebezugs mehr habe befürchten müssen, könne sie heute aus verschiedenen Gründen widerrufen oder in eine Aufenthaltsbewilligung umgewandelt werden.

Tausende von Nachkommen im Ausland

Während sich die Unterstützer:innen der Demokratie-Initiative für die ausländische Bevölkerung in der Schweiz stark macht, gibt es immer wieder Nachkommen von Schweizer Ausgewanderten, die teils überrascht feststellen, dass sie das Schweizer Bürgerrecht nie besassen oder unwissentlich verloren haben.

Die Wiedererlangung ist oft mit grossen bürokratischen Hürden verbunden oder wegen verpassten Fristen gar nicht mehr möglich. Regelmässig melden sich Betroffene bei SWI swissinfo.ch.

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Das Bürgerrecht ist in solchen Fällen ziemlich klar geregelt. Wenn eine Person bis zum 25. Lebensjahr (früher war es bis zum 22. Lebensjahr) weder der Schweizer Vertretung gemeldet noch im schweizerischen Personenstandsregister eingetragen wurde, verliert diese die Schweizer Staatsangehörigkeit.

Jüngst hat ein Verwaltungsgerichtsurteil im Fall einer adoptierten Schweizerin in Australien eben dieses Thema aufgenommen. Was eine rechtsgenügende Meldung bei einer Schweizer Vertretung genau ist, das sei im Gesetz nicht ausgeführt.

Das Verwaltungsgericht schreibt, dass «die Praxis weitherzig sein können solle in der Anerkennung von Zeichen der Verbundenheit mit der Schweiz». Im Zweifelsfall sei das Fortbestehen des Bürgerrechts anzunehmen. Anders sieht jedoch die Bundesgerichtspraxis aus: In Vergangenheit entschied es in solchen Belangen restriktiver.

Obwohl die Schweiz bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ein klassisches Auswanderungsland war, wurde Ausgewanderten lange die politische Mitbestimmung in der Schweiz verwehrt. Erst ab 1977 konnten Auslandschweizer:innen auf Schweizer Territorium abstimmen und wählen.

Die Stimmrechtsunterlagen mussten jedoch auf Stimmregisterbüro der Stimm- oder der Anwesenheitsgemeinde abgeholt werden. Und nochmals später, ab 1992, konnten Schweizer Bürger:innen, die sich im Ausland ins Stimm- und Wahlregister eingetragen hatten, auch brieflich abstimmen und wählen.

Immer wieder flammt die Debatte auf, ob Schweizer:innen im Ausland in der Schweiz überhaupt noch mitbestimmen sollten. Und auch, ob die Weitergabe des Schweizer Bürgerrechts im Ausland nach einer gewissen Frist oder nach einer gewissen Anzahl an Generationen eingeschränkt werden sollte.

Wie geht es weiter?

Die im Sommer eingereichte Petition wurde noch nicht behandelt. Die staatspolitische Kommission des Nationalrats hat die Petition Ende Januar auf ihrer Traktandenliste. Auch die staatspolitische Kommission des Ständerats wird die Petition im Laufe des kommenden Jahres behandeln. Die Schweizer Behörden sind bei Petitionen nicht verpflichtet, diese zu behandeln oder zu beantworten. Allerdings geschieht das in der Praxis fast immer.

Über die Demokratie-Initiative werden die Schweizer Stimmbürger:innen abstimmen, dies wird jedoch noch nicht im Jahr 2025 der Fall sein. Doch fest steht: Die Diskussion um das Recht auf Bürgerrecht wird die Schweiz noch beschäftigen.

Editiert von Balz Rigendinger

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Melanie Eichenberger

Welche Faktoren sollten bei der Vererbung des Schweizer Bürgerrechts im Ausland berücksichtigt werden?

Sollte es eine Grenze für die Weitergabe des Schweizer Bürgerrechts geben? Oder ist die heutige Praxis zu streng und die Meldung sollte auch nach dem 25 noch möglich sein?

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