Ein Jahr in der Antarktis: Was einen Schweizer Ingenieur erwartet

Der kurze Sommer ist vorbei, nun kommt der lange antarktische Winter – und Thomas Schenk ist dafür zuständig, dass auf der Polarstation Neumayer III die Überwinterung gelingt.
Ein Jahr am einsamsten Ort der Welt verbringen, eine schier ewige Polarnacht überstehen, ohne Möglichkeit zu gehen, falls es zu viel wird. Dazu hat sich der Schweizer Thomas Schenk entschieden.
Seit Ende 2024 ist er auf der Forschungsstation Neumayer III in der Antarktis stationiert. Er verantwortet die technische Leitung der Polarstation während der Überwinterung und muss sicherstellen, dass Mensch und Material den Winter in der Eiswüste bestehen.
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Wir erreichen Schenk via Videotelefonie – in einem Lagerraum. «Es ist gerade viel los, die Station ist bis auf den letzten Platz voll, es ist gar nicht so einfach eine ruhige Ecke zu finden.» Im Sommer, der in der Antarktis ungefähr von Ende November bis Anfang März dauert, leben mehr als 50 Leute in der Neumayer III. Danach wird es, zumindest was die Platzverhältnisse angeht, gemütlicher: Schenk und weitere acht Personen bleiben in der Station, für acht Monate, bis sie abgelöst werden.

Die Antarktis in Zahlen
Im Sommer leben rund 5000 Menschen in der Antarktis, im Winter sind es etwas mehr als 1000. Sie sind auf Dutzende von Stationen auf dem gesamten Kontinent verstreut, der mit 14 Millionen Quadratkilometern grösser als Europa oder Australien ist. Praktisch die ganze Fläche des Kontinents ist von Eis bedeckt. Durchschnittlich ist das Eis 2000 Meter dick. Schätzungen ergeben, dass der Meeresspiegel um knapp 60 Metern steigen würde, würde das gesamte Eis schmelzen.
Das Klima auf dem Kontinent ist das kälteste weltweit, jedoch mit grossen regionalen Unterschieden. Während im Sommer in der Region der Neumayer III die Temperaturen bis zum Gefrierpunkt steigen, herrschen im Winter Temperaturen von bis zu minus 50 Grad Celsius. Dazu kommen Stürme, die teilweise wochenlang anhalten können.
Dass es auf der Antarktis genügend starkes Internet gibt, um einen Videocall zu machen, ist erst seit knapp zwei Jahren so. Die Verbindung erfolgt mithilfe von Starlink. «Es gibt aber weiterhin Kontakt via andere Satelliten oder Funk, Kommunikation ist also kein Problem», sagt Schenk.
Dennoch: Die Station ist während drei Viertel des Jahres physisch unerreichbar. Legt das letzte Schiff ab und startet der letzte Flieger, ist die Crew ab Anfang März auf sich selbst gestellt. Im Winter gibt es kein Kommen und Gehen mehr, das Meerwasser friert ein und die Wetterbedingungen lassen kein Flugzeug mehr landen. Und die Fahrt zur nächsten Station dauert mit dem Pistenbully bis zu zwanzig Stunden – bei regelmässig minus 30 bis 40 Grad Celsius und stürmischen Winden ist diese Reise aber ohnehin keine Option.
«Das muss man sich immer wieder in Erinnerung rufen», sagt Schenk im Gespräch. Die teilweise hektische Betriebsamkeit in den Sommermonaten könne einen manchmal vergessen lassen, wo man sich befinde. Aber das ändert sich ab Anfang März, wenn der antarktische Winter einsetzt – «die lange Dunkelheit», wie Schenk sagt.
Acht Monate Winter – bei minus 50 Grad
Während dem sommerlichen Zeitfenster sammeln Forschende Daten und führen Experimente durch, vier Personen des Winterteams forschen auch im Winter weiter. Die Neumayer III ist Ausgangspunkt umfangreicher Polar- und Meereisforschung des Alfred-Wegener-Instituts, und auch für Expeditionen in die antarktische Eiswüste – die Region gilt als abgelegen, selbst für die Verhältnisse des Südkontinents.
Die Neumayer III steht auf dem sogenannten Ekström-Schelfeis, in der Nähe zur Küste im Weddell-Meer. Da sich das Schelfeis natürlich bewegt, geht man davon aus, dass der Untergrund der Station als Eisberg eines Tages abbrechen wird. Die Polarstation steht auf einer Plattform und wird von 16 hydraulischen Stützen getragen, so dass das Gebäude periodisch gehoben werden kann – die Neumayer III soll noch bis mindestens 2035 in Betrieb bleiben.
Thomas Schenk hat als Betriebsingenieur die technische Leitung während der Überwinterung – er ist zuständig, dass alles läuft, von den Pistenbullys zu den sanitären Anlagen hin zur Maschine, die Schnee und Eis zu trinkbarem Wasser für die Station aufbereitet. «Wir sind gut ausgerüstet. Aber wenn im tiefen Winter etwas kaputt geht, wofür wir keine Ersatzteile haben, muss ich mir etwas einfallen lassen.»
Aufgewachsen ist Thomas Schenk im bernischen Madiswil. Er hat eine Lehre als Baumaschinenmechaniker gemacht, wurde Offizier im Militär, hängte ein Maschinenbau-Studium und verschiedene Weiterbildungen an und verbrachte immer wieder längere Zeit im Ausland. Sei es für Reisen – er radelte etwa mit dem Velo von Marokko nach Gambia – oder für die Arbeit – in Norwegen im Tunnelbau.
«Extreme Kälte, tobende Stürme und eine scheinbar endlose Polarnacht.» So beschreibtExterner Link das deutsche Alfred-Wegener-Institut die Umgebung seiner Forschungsstation Neumayer III. Wieso wollte Schenk hier ein Jahr verbringen? «Abenteuerlust, ganz klar», sagt er. «Aber auch die Möglichkeit mein Wissen und meine Fähigkeiten zu testen. Beruflich ist diese Stelle eine spannende Herausforderung.»
Denn auch wenn ein Winter in der menschenfeindlichen Umgebung der Antarktis sicherlich Langeweile verspricht – er habe normale Arbeitszeiten, mit einem freien Tag, an dem er Sport machen, mit den übrigen Teammitgliedern etwas unternehmen oder auch mal ein Iglu bauen werde. Wobei: «Vorherige Überwinterungsteams haben uns gesagt, dass man sich viel vornehme, aber dann letztlich doch nur die Hälfte mache. Es gibt eben Arbeit.»
Die Antarktis: Ein rechtlich kompliziertes Terrain
Rechtlich gesehen befindet sich Schenk in einer Art Niemandsland, denn völkerrechtlich sind viele Fragen offen bezüglich des südlichsten Kontinentes. Der Antarktis-Vertrag von 1959 legt fest, dass die Antarktis weder militärisch noch industriell genutzt werden darf, sondern der Wissenschaft vorbehalten ist. Durch die Übereinkunft sind auch die geografischen Gebietsansprüche verschiedener Länder ausgesetzt worden – so beansprucht beispielsweise Norwegen das Gebiet, auf der sich die Neumayer III befindet.
Angestellt ist Schenk von der deutschen Reederei F. Laeisz, die für die Logistik und den Unterhalt der Polarstation zuständig ist. Ist er denn jetzt eigentlich Auslandschweizer? Thomas Schenk seufzt. Er habe sich an diverse Behörden gewandt, Auskunft habe ihm keine geben können. So bleibt er weiterhin in der Schweiz angemeldet, obwohl er von einem deutschen Unternehmen angestellt, in einer deutschen Forschungsstation auf dem Südkontinent beschäftigt wird, in einer Region, die von Norwegen beansprucht wird. Die Antarktis ist kompliziert.

Trotz aller Abgeschiedenheit: Sollte etwas wirklich Grosses passieren auf der Welt, Thomas Schenk wäre einer der Ersten, die es erfahren würden. Denn auf der Station sind auch Seismometer und eine Infraschallstation angesiedelt. Würde also irgendwo eine Atombombe gezündet oder ein grosses Erdbeben stattfinden, wären die neun Menschen auf der Neumayer III sofort informiert. Und unter Umständen auch am sichersten Ort der Welt.
Editiert von Benjamin von Wyl

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