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Ein Schweizer greift den Menschen in der Ukraine unter die Arme

Ein Mann und mehrere Evakuierte mit Koffern
Bänz Margot nimmt Evakuierte in Empfang, die von der Front weggebracht wurden. Human Front Aid

Der Musiker Bänz Margot lebt seit zehn Jahren mehr oder weniger in der Ukraine. Ursprünglich wegen der Maidan-Proteste ins Land gereist, hat er seit dem Anfang der russischen Vollinvasion eine Hilfsorganisation im Land aufgezogen.

Mehrmals wird unser Telefongespräch zwischen Bern und Odessa unterbrochen. In der Millionenstadt am Schwarzen Meer lebt der 47-jährige Schweizer Bänz Margot. Mitte November griff Russland wieder vermehrt die Stromversorgung der Ukraine an.

«Wir sind momentan auf Generatorstrom», sagt der Musiker, der seine Berufung mit einem eigenen Hilfswerk für die Ukraine gefunden hat.

«Seit zwei, drei Tagen, seit dem Knall, konnten sie die Infrastruktur noch nicht reparieren», erzählt er. «Eine invalide Frau schläft momentan in einem Korridor. Ich sage immer: Geht in die Schweiz! Aber sie wollen bleiben.»

Die Schweizer und Schweizerinnen im Ausland sind so vielfältig wie die Länder, in denen sie leben. Diese Vielfalt möchte SWI swissinfo.ch zeigen und publiziert deshalb jeden Monat eine spannende persönliche Lebensgeschichte aus der Fünften Schweiz.

Die Musik als Wegweiser

Doch warum hat es den Berner die Ukraine gezogen? Begonnen hat alles 2013 am Strassenmusikfestival Buskers in Bern. Margot sah dort eine Volksmusikgruppe aus der Ukraine.

Solche Musik hatte der Schlagzeuglehrer noch nie gehört. «Ich war so begeistert, dass ich Kontakt mit der Gruppe aufnahm. Diese Musik und dieser Gesang, die haben mich extrem berührt.»

Wie es der Zufall wollte, kannten seine Eltern die Sängerin dieser Gruppe. Sie waren Jahre zuvor mit ihr zusammen an einem Konzert aufgetreten. Schliesslich luden die Sängerin und ihr Ehemann ihn ein, sie in Kiew zu besuchen. Margot dachte: «Wenn ich die Möglichkeit habe, gehe ich vielleicht mal.»

Doch den Osten kannte er überhaupt nicht. Er sei eher der Italienfan gewesen, Strand und Pizza. Die Bilder, die er vom Osten im Kopf gehabt habe, seien geprägt gewesen von Armut, Kriegen, Stalin, Chaos und Korruption.

«Und dann ging es los mit dem Maidan», erzählt Margot. Er sei völlig gefesselt gewesen von den Protesten gegen Präsident Viktor Janukowitsch auf dem grossen Platz in Kiew.

Eine Woche nach der Absetzung des Präsidenten Ende Februar 2014 buchte ein Freund für ihn spontan einen Flug, «am nächsten Morgen um 10 Uhr nach Kiew».

Doch kaum war er in der Ukraine angekommen, besetzte die russische Armee die Krim. Statt vier Tage blieb er einen Monat lang im Land.

Eine Band spielt in einem Keller
Ein seltener Moment der Freude: Auftritt mit einer Formation in einem Jazzkeller in Odessa. zVg

Politik und Musik

Aufgewachsen ist Margot als Sohn einer Musikerin und eines Musikers in Schlosswil und Bern. Ab fünfjährig lebte er im Berner Mattequartier. Noch heute kann er einige Muster MattenenglischExterner Link zum Besten geben, jener Geheimsprache, für die das Quartier bekannt ist.

Bereits mit drei Jahren fing Margot an, Klavier zu spielen und zu trommeln. Dabei sei in ihm die Leidenschaft für das Schlagzeug erwacht. Nach der Schulzeit zog es ihn deshalb an die Berufsschule im Konservatorium Bern.

Schliesslich erwarb er das eidgenössische Schlagzeuglehrerdiplom. Mehrere Jahre gab er Unterricht, doch die Arbeit an einer Musikschule war nichts für ihn: «Ich war eher ein Überlebenskünstler», sagt er.

Er habe sich dabei wie in einem Gefängnis gefühlt. Eigentlich wollte er immer nur Musik machen und Kulturprojekte mitgestalten. Daneben sei er auch politisch aktiv gewesen «für eine bessere Welt, arme Leute unterstützen und Tierschutz».

«Das war neu für mich»

Im Sommer 2014 reiste Margot erneut in die Ukraine. Diesmal für längere Zeit, es zog ihn nach Odessa. «Und dann hat es mich gepackt. Nicht nur diese Proteste, auch die Gastronomie, die Menschen, dieser Osten, das war neu für mich», sagt er. Zweieinhalb Flugstunden entfernt von der Schweiz fand er «eine völlig andere Welt».

Unterdessen ist Margot im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung. Er habe mindestens zwei der letzten drei Jahre in der Ukraine gelebt und auch mehrere Jahre eine ukrainische Freundin gehabt. Vor dem Krieg kam er noch ab und zu in die Schweiz, um etwas Geld zu verdienen.

Doch dann, Ende Februar 2022, kam der Krieg. Als Margot merkte, dass er von ausserhalb des Landes besser helfen kann als vor Ort, floh er nach Moldawien und begann dort sofort, bei Hilfsaktionen für die Ukraine mitzumachen.

Sein Engagement sei aufgefallen, und schon bald hätten die grösseren Hilfswerke bei ihm um Rat gefragt. Freunde aus der Schweiz hätten ihm schliesslich Geld geschickt. «Ich habe das eingesetzt und ihnen darüber rapportiert.»

Ein Mann vor einem Lieferwagen voller Zuckerpackungen
Damals bestand die Hilfe noch aus Nahrungsmitteln. Bänz Margot in der Ukraine im November 2023. Human Front Aid

Geldhilfe für Zehntausende

Mit dem Geld charterte er Busse, füllte sie mit Lebensmitteln und liess sie bis zur Front fahren, um bei der Rückfahrt Menschen von dort zu evakuieren.

«Da sind Kinder, Familien in Not, da werden Leute abgemetzelt, vergewaltigt.» So habe es angefangen mit seinem Hilfswerk «Human Front Aid»Externer Link.

Schliesslich ging Margot zurück nach Odessa und begann, von dort aus zu helfen. Nach einem spontanen Besuch von Hugo Fasel, Ex-Direktor der Caritas und ein Freund seiner Eltern, hat sich das Hilfswerk auf dessen Hinweis auf die direkte Geldhilfe spezialisiert.

«Es war, wie wenn Du den Stecker bei Matrix rausgezogen bekommst», erzählt Margot. «Warum muss man Nahrungsmittel hierherfahren, wenn es genug vor Ort hat? Und warum die Gelder im Ausland einsetzen?»

Am Anfang hätten sie etwa 6500 Menschen evakuiert. «Und jetzt unterstützen wir etwa 20’000 bis 30’000 Menschen mit finanzieller Nothilfe.»

Doch der Ukraine werde zu wenig geholfen, sagt Margot. 15 Millionen Menschen seien auf humanitäre Hilfe angewiesen.

«Sie führen hier seit über 1000 Tagen einen Krieg für die Demokratie, für die westliche Welt. Die Männer werden getötet, es ist einfach furchtbar. Ich kenne Leute, die gestorben sind.»

Immer mehr Gebäude und Infrastruktur würden durch russische Raketen beschädigt. «Es knallt die ganze Zeit.»

Drei Fragen, drei Antworten

Von der Ukraine habe ich diese typische Eigenschaft übernommen…:

An der Schweiz vermisse ich…:

In der Ukraine kostet der Kaffee…:

Editiert von Balz Rigendinger

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