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Eine Schweizerin rettete mit ihrer Entbindungsstation in Frankreich Hunderte von Leben

Schweizer Entbindungsstation in Elne
In den Stockwerken der Entbindungsstation in Elne wurden vorübergehend Stahlträger eingebaut, um das Gebäude zu stabilisieren. SWI swissinfo.ch / Emilie Ridard

1939 eröffnete die Zürcher Lehrerin Elisabeth Eidenbenz in einem kleinen Dorf in den französischen Pyrenäen eine Entbindungsstation. Sie nahm dort Hunderte von Frauen auf. Heute ist die Entbindungsstation eine Gedenkstätte, doch sie ist vom Verschwinden bedroht.

Im kleinen Natursteinsaal des Kinos von Elne, einer 10’000-Seelen-Gemeinde südlich von Perpignan im Département Pyrénées-Orientales, hören rund 100 Mitglieder der Union der Schweizervereine in Frankreich (UASF) und ihre Begleitpersonen sowie Vertreterinnen und Vertreter des diplomatischen Korps der Schweiz gespannt zu, als Bürgermeister Nicolas Garcia die aussergewöhnliche Geschichte von Elisabeth Eidenbenz erzählt.

Nur wenige «Ohs» des Erstaunens oder des Mitleids begleiten die Anekdoten, aus denen seine Bewunderung und Zuneigung für diese Frau spricht.

Der Bürgermeister von Elne
Der Bürgermeister von Elne teilt viele Anekdoten aus dem Leben von Elisabeht Eidenbenz. SWI swissinfo.ch / Emilie Ridard

«Sie war eine direkte Person mit einem starken Charakter», erinnert sich der 50-Jährige, der sie acht Jahre lang gekannt hatte. Diesen Charakter braucht die Schweizerin, um sich gegen die deutschen, französischen und spanischen Behörden durchzusetzen.

Zwischen spanischem Bürgerkrieg und zweitem Weltkrieg

1939. Als der Bürgerkrieg zu Ende ging, flohen Tausende von Menschen aus Spanien über die Pyrenäen nach Frankreich, das gerade in den Zweiten Weltkrieg eingetreten war. Sie wurden in unhygienischen Lagern an der französischen Mittelmeerküste zusammengepfercht.

In dieser Zeit kommt die junge Zürcher Lehrerin Elisabeth Eidenbenz nach Frankreich. Sie ist Mitglied der Schweizer Kinderhilfe, einem protestantischen Hilfswerk, das neutrale und humanitäre Hilfe für die von Konflikten betroffene Zivilbevölkerung leistet.

Als Zeugin der menschlichen und gesundheitlichen Katastrophe, die sich in den Lagern abspielt, kommt sie auf die Idee, eine Entbindungsstation einzurichten, damit schwangeren Frauen unter menschenwürdigen Bedingungen gebären können.

«Jeden Morgen ging sie auf den Markt in Elne, und so entdeckte sie ein grosses, verlassenes Gebäude», sagt Garcia. Die Entschlossenheit der Schweizerin, verbunden mit der logistischen und finanziellen Unterstützung der Schweizer Hilfsorganisation, führte zum Erfolg. Im Dezember 1939 öffnete die Schweizer Maternité in Elne ihre Türen.

Wissentlich in Unwissenheit bleiben

Während vier Jahren werden dort fast 600 Kinder geboren. «Für die Frauen, die nach Monaten in den Lagern ankamen, bedeutete der Schritt durch die Türen der Entbindungsstation, die Tore zum Paradies aufzustossen», so der Bürgermeister von Elne.

Elisabeth Eidenbenz mit einem Kind
Dieses Foto von Elisabeth Eidenbenz ist das repräsentativste ihres Kampfes. Es hängt in der Eingangshalle der Entbindungsstation. SWI swissinfo.ch / Emilie Ridard

Die aufgenommenen Frauen kommen aus Spanien, aber auch aus Deutschland, Österreich oder der damaligen Tschechoslowakei. Einige sind Jüdinnen, andere Fahrende, wieder andere Widerstandskämpferinnen.

Elisabeth Eidenbenz fragt nie nach den Papieren der Patientinnen. So bleibt sie bewusst im Unklaren über die Herkunft der Frauen und Kinder, die sie aufnimmt.

Trotzdem muss sie sich mit der Gestapo, der Geheimen Staatspolizei des Dritten Reichs, auseinandersetzen. «Eines Tages erschienen zwei deutsche Soldaten in der Entbindungsstation, um Kontrollen durchzuführen. Elisabeth erklärte ihnen, dass die Entbindungsstation Schweizer Territorium sei und sie es nicht betreten dürften. Stellen Sie sich die Souveränität dieser jungen Frau vor, die noch nicht einmal dreissig Jahre alt war», erzählt Nicolas Garcia.

Die Entbindungsstation wurde im April 1944 schliesslich von den Nazis geschlossen.

Eine wiederentdeckte Erinnerung

Elisabeth Eidenbenz verliess Frankreich und ging nach Wien, um sich dort um Kinder zu kümmern. Dann geriet die Geschichte der Entbindungsstation in Elne beinahe in Vergessenheit.

Doch in den 1990er-Jahren fanden in Elne geborene Kinder, die inzwischen erwachsen waren, ihre Spur wieder und machten ihre Geschichte öffentlich. Elisabeth Eidenbenz erhielt 2002 den Titel «Gerechte unter den Nationen» (Juste parmi les Nations). 2011 starb sie im Alter von 97 Jahren.

eine frau schaut auf eine informationstafel
Ein Mitglied der UASF schaut sich eine der Informationstafeln an, die vor der Entbindungsstation stehen. SWI swissinfo.ch / Emilie Ridard

Die Gemeinde Elne, die seit 2005 Eigentümerin der Entbindungsstation istExterner Link, nahm sich vor, sie zu restaurieren und in einen Ort der Erinnerung und der Friedensförderung umzuwandeln. Im Jahr 2013 wurde sie als historisches Monument klassifiziert. Ausstellungen, filmische Zeugnisse und Gegenstände aus der damaligen Zeit erzählen von diesem Kapitel Schweizer Geschichte.

Ein gefährdeter Ort

Heute ist der Ort jedoch gefährdet. Aufgrund fehlender finanzieller Mittel lassen dringend notwendige Renovationen auf sich warten, und das Gebäude zerfällt. Es ist teilweise für die Öffentlichkeit geschlossen.

Elisabeth Eidenbenz
Dieses Foto der älteren Elisabeth Eidenbenz hängt im Eingangsbereich der Entbindungsstation. SWI swissinfo.ch / Emilie Ridard

Die Stadtverwaltung von Elne hat mehrfach um Hilfe gebeten. Es gelang ihr, einige Hunderttausend Euro zu sammeln, aber dieser Betrag ist angesichts des Umfangs der Arbeiten, die laut Bürgermeister auf 4 Millionen Euro beziffert werden, immer noch unzureichend.

«Für uns ist es unvorstellbar, dass wir diesen Ort ohne die Hilfe der Schweiz wieder in Stand setzen können», sagte Garcia. Er hofft zweifellos, dass die Union der Schweizervereine, die 4000 Euro gespendet hat, Nachahmer:innen findet und dass der heutige Besuch bei den anwesenden Schweizer Konsuln und Botschafterinnen Früchte tragen wird.

Schliesslich wünscht er sich, dass Elisabeth Eidenbenz «endlich eines Tages die Anerkennung erhält, die sie von dem Land, in dem sie geboren wurde, verdient».

Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen mit der Hilfe von Deepl: Janine Gloor

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