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Hornussen, der Schweizer Nationalsport mit Stachel

Hornusserspiel
Ein Team beim Verteidigen am Interkantonalen Hornussenfest 1998. Keystone

Wenn eine Plastikscheibe, die mit bis zu 300 Kilometern pro Stunde auf Sie geschossen wird, nicht Ihr Ding ist, lassen Sie vielleicht lieber die Finger vom Schweizer Sport Hornussen. Aber wenn Sie an einer 400 Jahre alten Tradition teilnehmen wollen, die auch als "Bauerngolf" bekannt ist, setzen Sie sich einen Helm auf und versuchen Sie es!

Hornussen ist eine von drei Schweizer Nationalsportarten – die anderen sind Schwingen und Steinstossen – und löst bei Leuten, die es zum ersten Mal sehen, immer wieder verblüffte Reaktionen aus.

«Sieht aus wie aus einem Zeichentrickfilm», «Dieses Spiel sieht fantastisch aus! Warum ist das keine olympische Sportart?», «Spannender als Curling», waren einige der vielen Kommentare zu einem Video über HornussenExterner Link, das wir vor ein paar Jahren gemacht haben.

Zwar werden oft Vergleiche zwischen Hornussen und Golf gezogen, doch die einzige wirkliche Ähnlichkeit besteht darin, dass die Spieler:innen einen festen Gegenstand so weit wie möglich abschlagen.

Wie das Historische Lexikon der SchweizExterner Link erklärt, waren in der Zentralschweiz, vor allem im und um das Emmental, zu Beginn des 17. Jahrhunderts verschiedene Varianten des Hornussens beliebt.

Die Gegner auf dem Spielfeld mussten diese Gegenstände – oft Knochen oder Wurzeln – mit einer Schindel aufhalten, die sie entweder festhielten oder in die Luft warfen.

«Dass ursprünglich Körper- und Kopftreffer besonders gewertet wurden, stellt den Zusammenhang zu älteren Kriegsspielen her, bei denen die Schindel eine Schildfunktion hatte», heisst es im Historischen Lexikon.

hornusserfest 1936
Die Fans des Nationalen Hornussenfestes von 1936 begeben sich näher ans Geschehen, als ich es tun würde. Keystone

Ursprünglich war es vor allem ein Spiel für junge Bauern, die sich im Spätsommer und Herbst trafen, um auf abgeernteten Feldern gegen Bauern anderer Dörfer zu spielen.

Bei solchen Veranstaltungen konnten die Spieler offenbar ihre Kräfte messen und Streitigkeiten zwischen den Dörfern schlichten. «Trotz spielerischer Schlichtungsversuche kam es nach dem Hornussen oft zu wilden Schlägereien», so Schweiz TourismusExterner Link.

Heute werden Streitigkeiten unter Landwirt:innen mit anderen Mitteln beigelegt, aber in den deutschsprachigen Kantonen, besonders in Bern, ist das Hornussen nach wie vor beliebt (wegen des Bedarfs an grossen Feldern ist es auf ländliche, eher flache Gebiete beschränkt).

mann trinkt auf dem hornusserfeld
Alle Spitzensportler wissen, wie wichtig es ist, viel Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Hier beim Nationalen Hornusserfest 1952. Keystone

Taktischer «Nouss»

Was also ist Hornussen? Kurz gesagt geht es darum, dass zwei Teams von 16-20 Spieler:innen abwechselnd schlagen, verteidigen, schlagen, verteidigen, dialektal «abtun» genannt.

Beim Schlagen ruht der Plastikpuck (Hornuss oder «Nouss» genannt) auf einer erhöhten Rampe. Mit einer drei Meter langen peitschenartigen Rute mit einem Holzklotz am Ende muss jedes Teammitglied diesen so weit wie möglich in ein abgestecktes Feld schleudern. Wenn die Kunststoffscheibe durch die Luft saust, klingt sie ein bisschen wie eine Hornisse (in manchen Schweizer Dialekten «Hornussi»).

Stefan Studer beim Abschlagen
Stefan Studer, Gewinner des Einzelpreises am Nationalen Hornussenfest 2024, zeigt, wie es geht. Keystone / Peter Klaunzer

Je weiter der Hornuss über 100 Meter hinausfliegt (300 Meter sind durchaus möglich), desto mehr Punkte erhält das schlagende Team – aber nur, wenn er direkt auf dem Boden aufschlägt.

Die Verteidiger:innen werden versuchen, beim Abtun den «Nouss» zu erspähen und ihn mit Hilfe von Holzbrettern, die sie in die Luft werfen, abzufangen. Das Team mit den wenigsten Strafpunkten (d.h. den meisten abgefangenen Würfen) gewinnt.

Hornussen setzt also eher auf defensives Teamwork als auf individuelles Können und entspricht damit der Schweizer Eigenschaft, nicht aufzufallen.

«Teamgeist, gegenseitige Unterstützung und Mut sind die Voraussetzungen, um den herannahenden Hornuss sicher abzuwehren», schreibt der 1902 gegründete Eidgenössische Hornusserverband.

Eine erfolgreiche Abwehr «erfordert von den Verteidigern im vorderen Teil des Feldes eine schnelle Reaktion auf niedrig fliegende Objekte, während im hinteren Teil des Feldes ein gutes Sehvermögen, eine gute Einschätzung der Flugbahn und Sprintfähigkeit erforderlich sind».

historisches Bild eines Hornusserspiels
Die Augen fest auf den fliegenden Hornuss gerichtet. Keystone

Mit einem Gewicht von 78 Gramm (ein Golfball wiegt 46 Gramm), einem Durchmesser von 6 Zentimetern und einer Geschwindigkeit von bis zu 300 Kilometern pro Stunde kann ein «Nouss» ernsthaften Schaden anrichten.

Eine Studie des Berner Inselspitals aus dem Jahr 2016 besagt, dass Verletzungen durch Hornussen zwar selten sind – die Notaufnahme des Spitals gab an, etwa zwei Fälle pro Jahr zu behandeln –, aber wenn sie passieren, sind sie schlimm: «meist gebrochene Kiefer, Wangenknochen, Nasen oder andere Teile des Gesichts». Platzwunden und schwere Augenverletzungen seien ebenfalls charakteristisch für Hornuss-Verletzungen, hiess es.

Keiner der verunglückten Spielenden trug einen Helm, heisst es in der Studie. Nach Ansicht des Inselspitals könnte ein obligatorischer Kopf- und Gesichtsschutz dazu beitragen, solche Verletzungen zu verhindern.

Obwohl jüngere Spieler:innen einen Helm tragen müssen – und einige ältere sich freiwillig dafür entscheiden – wurde ein 68-jähriger Schiedsrichter letztes Jahr von einem Hornuss getroffenExterner Link und starb an seinen Verletzungen.

hornussen-team
Die Teams bestehen heute aus allen Altersgruppen und Geschlechtern. Keystone

«Frauen und Männer, jung und alt»

Die Verletzungen sind die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht: Anders als beim Schwingen oder Steinstossen muss man nicht den Körperbau eines Bergs haben, um erfolgreich zu sein.

«Kraft, Grösse, Beweglichkeit und intensives Training sind wichtige Faktoren, um grosse Weiten zu erreichen», heisst es beim Eidgenössischen Hornusserverband.

In dieser Hinsicht hat Hornussen Ähnlichkeiten mit «Long Drive»-Golfturnieren, bei denen die Spitzenspieler:innen ebenfalls selten riesig sind. Wenn man sich eine Menschenmenge bei einem Long-Drive-Turnier vorstellt, die versucht, den Ball zu fangen, kommt man in der Tat in Richtung Hornussen.

Was macht man also, wenn man mitspielen will? «Wer Interesse hat, geht einfach zum nächstgelegenen HornusserplatzExterner Link und probiert es aus», schreibt der Eidgenössische Hornussenverband gegenüber SWI swissinfo.ch. «Ein Training für Anfänger ist in der Regel kostenlos.»

Zurzeit gibt es 156 Vereine in der ganzen Schweiz (vor allem im Kanton Bern) und rund 6000 registrierte Spieler:innen, von denen ein Zehntel Frauen sind. «Frauen und Männer, Jung und Alt spielen alle in einer Mannschaft“, erklärt der Verband. Nur in der obersten Liga A gibt es reine Männermannschaften.

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Dieser Mann ist vermutlich ein glühender Schweiz-Fan. Keystone / Peter Klaunzer

Das Eidgenössische Hornusserfest findet alle drei Jahre statt. Das nächste wird im August 2027 im Emmental ausgetragen – Sie haben also noch viel Zeit, sich in Form zu bringen.

Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Englischen mit der Hilfe von DeepL: Janine Gloor

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