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Die Weltwirtschaft ordnet sich neu: Was heisst das für die Schweiz?

Die USA und China verschärfen ihre Handelspolitik. Was macht das mit der Schweiz? Und wie läuft die Wirtschaft in der EU? Hier ist unser "Let's talk" zum Schweizer Aussenhandel.

Die Schweiz ist eine Handelsnation, klein, aber stark, weil weltweit breit vernetzt. Das ist ein Grundstein ihres Erfolgs. Für Ökonom Jan-Egbert Sturm ist klar: «Die Schweiz ist angewiesen auf den Weltmarkt, auf dem unsere Produkte verkauft werden können.» 

Sturm leitet die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich. Jede Perle der Schweizer Wirtschaft sei im Exportgeschäft tätig, sagt er: Pharma, Maschinenbau, Dienstleistungen, der Finanzsektor. «Wenn wir die Struktur so halten wollen, müssen wir für offene Märkte kämpfen.»

Schweizer Exporte – wohin?

Aber offene Märkte scheinen im Moment nicht das Modell der Zukunft zu sein. Die Weltwirtschaft wird gerade von einer Welle der Deglobalisierung erfasst. Die USA wollen ihre eigene Wirtschaft schützen und stärken. Donald Trump droht deshalb mit Zöllen. Derweil folgt China seinem globalen Machtanspruch und möchte den freien Handel mit der Schweiz ausbauen.

Die EU wiederum will eine engere Beziehung mit der Schweiz, schützt aber gleichzeitig den eigenen Markt. Und die deutsche Wirtschaft – zweitwichtigster Schweizer Exportmarkt – steckt in einer tiefen Krise.

Wie kann sich die Schweiz in dieser Gemengelage behaupten? Wo lauern Risiken und wo Chancen?

Grafik Schweizer Exportmärkte USA CHINA EU Deutschland
Die USA und Deutschland sind im Moment die wichtigsten Schweizer Exportmärkte. SWI swissinfo.ch

Für Charlotte Sieber-Gasser wird es in Zukunft noch wichtiger, tragfähige Allianzen mit starken Partnern zu schmieden. Sie beschäftigt sich als Senior Researcher am Graduate Institute in Genf mit der nachhaltigen Ausgestaltung von Handelspolitik. «Die Schweiz ist keine Insel», stellt sie fest, und fügt an: «Bisher ist es ihr in turbulenten Zeiten nicht schlecht ergangen, sie macht es also relativ gut.»

Für Kurt Haerri muss die Schweiz die richtigen Handelsbeziehungen haben. «Das gilt vor allem für die innovativen KMUs in der Schweiz, die nicht im Ausland produzieren.» Haerri ist Manager bei einem international tätigen Schweizer Industrieunternehmen.

Optimistischer Blick in die USA

Seit 37 Jahren ist er in vielen Ländern unterwegs, zehn Jahre lebte er in China, zuletzt verbrachte er zwei Jahre in den USA. Kurt Haerri skizziert die Marktlage: «Deutschland ist in einer schweren Krise, aber Indien boomt, in der Türkei läuft es gut. China ist in einer monumentalen Krise», sagt der China-Kenner. Wegen der Immobilienkrise stünden dort 90 Millionen Wohnungen leer.

Optimistisch blickt Haerri aber nach Amerika: «Die USA haben einen sehr starken Binnenmarkt, was uns in der Schweiz fehlt», sagt er. Spürbar sei für die US-Bürger:innen aber die Teuerung. «Der Monat geht zu lange für die Haushaltbudgets». Aber, so Haerri: «Die Teuerung kann man nicht mit Zöllen adressieren.»

Das ist es aber genau, was Donald Trump vorhat: Hohe Zölle, um die US-Binnenwirtschaft vor Konkurrenz von aussen abzuschotten. Wie wirkt sich das auf die Schweiz aus? Immerhin sind die USA der am schnellsten wachsende Exportmarkt für die Schweizer Wirtschaft, wie diese Grafik zeigt:

Wachstum Schweizer Exporte Märkte USA China Deutschland Frankreich
So sind die Schweizer Exporte in den einzelnen Märkten gewachsen. SWI swissinfo.ch

Charlotte Sieber-Gasser ist überzeugt, die Schweiz riskiert, von diesen zusätzlichen Zöllen erfasst zu werden. «Die Schweiz als hochglobalisierte Wirtschaftsmacht, die in diese globalen Wertschöpfungsketten eingebunden ist, wird das spüren.» Zudem falle für die kleine Wirtschaftsnation unter Trump wohl der Schutz durch das Völkerrecht und die Welthandelsorganisation weg.

«Dann ist die Schweiz sehr schnell allein»

«Wenn ein grosser Markt sich nicht mehr an die Regeln hält, kann die Schweiz wenig dagegen ausrichten», sagt sie. «Und wenn diese Regeln wegfallen, ist die Schweiz sehr schnell allein.»

Kurt Haerri sagt zu den Zollplänen Donald Trumps: «Hohe Zölle zwingen die Unternehmen, zweitklassige Technologie zu teureren Preisen zu kaufen, und katapultiert sich damit auch aus dem Markt.»

Ob die Schweiz mit den USA unter Trump wieder über ein Freihandelsabkommen sprechen werden, bleibt offen. Die Wirtschaft würde es laut Kurt Haerri begrüssen. «Für unsere Industrie mit einem immer stärker werdenden Franken wäre ein Freihandelsabkommen mit den USA eine kleine Erlösung.»  Jan-Egbert Sturm ergänzt: «Wir sind der Weltkonjunktur ausgeliefert und können nur versuchen, uns immer wieder gut aufzustellen.»

Mit China erarbeitet die Schweiz zurzeit ein Update des 2014 abgeschlossenen Freihandelsabkommens. Zum Thema brachte Rolf Blaser aus Sri Lanka eine Perspektive ein. Blaser führt dort den Schweizer Konzern Baurs, über den wir hier berichtet haben:

Rolf Blaser ist überzeugt, dass gerade Schweizer Firmen die Umwelt- und Menschenrechte nicht kompromittieren sollten. «Es gibt Schweizer Firmen, die einen Mehrpreis bezahlen, damit unter fairen Bedingungen produziert wird», sagt er – und hofft, dass solche Beispiele Schule machen.

Kurt Haerri, der auch einige Jahre die Handelskammer Schweiz-China führte, entgegnet: «Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Schweiz mit ihrer Handelspolitik die Menschenrechtslage in China substanziell verbessern könnte.» Er fügt an: «China braucht die Schweiz nicht. Aber die Schweiz braucht China.»

Für zahlreiche Länder des globalen Südens ist China inzwischen der wichtigste Handelspartner.
Für zahlreiche Länder des globalen Südens ist China inzwischen der wichtigste Handelspartner. Avenir Suisse

Für Charlotte Sieber illustriert diese Debatte, wie sich der rechtliche Rahmen der Handelsbeziehungen wandelt. «Wir haben viele Jahre Wirtschaftsinteressen und unsere anderen Interessen voneinander separat behandelt», sagt sie. «Heute ist das fast nicht mehr denkbar.» Die Schweiz sei im Moment sehr innovativ mit Abkommen, welche die Wirtschaftsinteressen mit Interessen am Schutz von Menschenrechten und Umwelt verbinden, sagt sie.

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Katy Romy

Soll die Schweiz ihre Industrie unterstützen? Wenn ja, wie?

Muss der Staat eingreifen, wenn einzelne Branchen ums Überleben kämpfen? Was denken Sie?

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