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Lilo Baur: Mit Talent, Kreativität und Fleiss zu Erfolg

Lilo Baur
Die Schauspielerin und Regisseurin Lilo Baur erhält den Schweizer Grand Prix der Darstellenden Künste / Hans-Reinhart-Ring 2024. © Charlotte Krieger / OFC/BAK/UFC/FOC 2024

Die international bekannte Aargauer Schauspielerin, Theater- und Opernregisseurin Lilo Baur wird Ende Oktober mit dem Schweizer Grand Prix für Darstellende Künste/Hans Reinhart Ring 2024 ausgezeichnet. Im Gespräch mit SWI swissinfo.ch schaut die Preisträgerin auf ihre erfolgreiche Karriere auch unter dem Aspekt ihrer Jugendjahre in der Schweiz zurück.

Die Welt von Lilo Baur umfasst einen weiten Horizont. Sie beginnt in der Schweiz, wo sie geboren wurde. Auch England, Amerika, Japan, Griechenland und Italien gehören dazu. Und vor allem Frankreich, wo sie heute lebt. All diesen Ländern ist sie sehr verbunden; überall stand sie auf der Bühne oder hat Theaterkurse gegeben.

Ihre aussergewöhnliche Karriere begann im jungen Alter von 16 Jahren, als sie den deutschsprachigen Komödianten und Schauspieler Mark Wetter entdeckte, der in Zürich mit einem Solostück auftrat. Sie war begeistert. «Ich ging nach der Vorstellung einfach zu ihm und fragte ihn, wo er seinen Beruf gelernt hatte», erinnert sie sich. Er verwies auf die Jacques-Lecoq-SchuleExterner Link in Paris.

Damit war ein Traum von Lilo Baur geboren. Sie wollte unbedingt diese berühmte Schule besuchen, die hervorragende Schauspielerinnen und Schauspieler sowie berühmte Regisseurinnen und Regisseure hervorgebracht hatte. Doch sie war noch sehr jung und musste ihre Eltern von ihrem Plan überzeugen. Vor allem musste sie diese davon überzeugen, dass nicht nur eine akademische Laufbahn etwas zählt, sondern auch die Schauspielerei durchaus ein Beruf mit Zukunft ist.

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Das Wort «Ruhm» gefällt ihr nicht

Fünfzig Jahre sind seither vergangen. Und inzwischen gilt die Schauspielerin sowie Theater- und Opernregisseurin als eine der besten Künstlerinnen ihres Fachs in Europa. Sie wird häufig in einem Atemzug genannt mit ihren Schweizer Kollegen Milo Rau und Stefan Kaegi, die sie im Übrigen beide sehr bewundert.

In Anerkennung ihrer Verdienste und ihrer internationalen Ausstrahlung wird Lilo Baur am 31. Oktober in Zug vom Bundesamt für Kultur (BAK) der Schweizer Grand Prix Darstellende Künste / Hans-Reinhart-Ring 2024Externer Link verleihen.

Auf die Frage, ob dieser Preis für sie Ruhm bedeute, lächelte sie: «Ich mag das Wort ‚Ruhm‘ nicht, es erinnert mich an Napoleon und seine Feldzüge.» Die Auszeichnung sei für sie eigentlich eine Überraschung. Und der Preis gehe mit einer Reihe von Erinnerungen aus ihrer Jugendzeit im Aargau einher.

«Ich sehe mich wieder in meinem Elternhaus, wo ich meinen Eltern meine Zukunftspläne erklärt und diese verteidigt habe. Sie waren dagegen, aber ich habe an meinen Träumen festgehalten. Und dann hatte ich freie Hand.»

Die Schweizer Liebe zum Geld

Ihre Mutter besass ein Schneideratelier, ihr Vater war Buchhalter, Gemeindepräsident des Dorfes SarmenstorfExterner Link (Kanton Aargau) und sehr engagiert im Vereinsleben. «Er führte die Gemeinde mit einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Er war ein echter Patriot! Eines Sonntags kam er mit blutverschmiertem Hemd nach Hause. Er hatte sich zwischen zwei Streithähne gestellt, um zu schlichten.»

Seit damals habe sich die Schweiz stark verändert, das persönliche Engagement stehe nicht mehr so im Vordergrund, meint die Künstlerin. Lilo Baur ist der Meinung, dass sich Leidenschaftlichkeit heute mehr in der Liebe zum Geld zeige. «Es gibt einen sehr grossen kulturellen Reichtum in diesem Land, den ich sehr schätze, aber es gibt einen anderen Reichtum, der einzig in Franken gerechnet wird.» Sie sei jedes Mal verblüfft, wenn sie in die Schweiz zurückkehre, insbesondere nach Lausanne und Genf, wo das Streben nach Geld zum Motor des Lebens geworden zu sein scheine.

Kein Wunder also, dass sie im Theaterstück «L’avare» (Der Geizige) von Molière die Hauptfigur als Genfer Bankier darstellte. Lilo Baur hat dieses berühmte Pièce der heutigen Zeit angepasst und 2022 an der Comédie-Française in Paris aufgeführt. Zu ihrer Inszenierung sagt sie: «Der Geizhals versteckt sein Geld in einer Kassette, so wie man heute das Geld in den Tresoren der Banken, diesen Mausoleen, einschliesst.»

Die Comédie-Française hat die Inszenierung von «L’Avare» in dieser Saison wieder aufgenommen. Lilo Baur wurde zudem eingeladen, das Theaterstück «La Souricière» (Die Mausefalle) von Agatha Christie neu zu inszenieren. Es ist ihr siebter Auftrag für die renommierte Pariser Kulturinstitution.

Auch andere bedeutende Bühnen haben die Aargauer Künstlerin engagiert. Darunter das Tokyo Metropolitan Theatre, wo sie 2019 in «One Green Bottle», einem Stück des Japaners Hideki Noda, spielte, das später im experimentellen Theater La MaMa in New York aufgeführt wurde. Oder das Théâtre de Carouge in Genf, wo sie 2023 für die Adaption von «Une journée particulière» nach dem Film von Ettore Scola verantwortlich zeichnete.

zwei schauspieler:innen auf der bühne
Laetitia Casta und Roschdy Zem in Lilo Baurs Adaption von Ettore Scolas Film «Ein besonderer Tag». Simon Gosselin

Eine reiche Fantasie

Ihre überschäumende Fantasie in Verbindung mit einer quirligen Schauspielerführung haben für die hervorragende Reputation von Lilo Baur gesorgt. In ihren Stücken geht es vor allem um Liebesbeziehungen sowie Familiendramen und soziale Beziehungen.

Neben ihren eigenen kreativen Ideen verdankt sie einen Teil ihres Erfolgs auch der Jacques-Lecoq-Schule. Denn der Besuch dieser Schule ermöglichte es ihr, ihren Bekanntenkreis zu erweitern und wichtige Freundschaften zu knüpfen.

Viele ihrer einstigen Studienfreund:innen baten sie später um Hilfe bei der Regiearbeit. So kam es, dass sie in London, Athen und Rom in Erscheinung trat, aber auch am Edinburgh Festival und später am Avignon Festival. Alle diese internationalen Kulturveranstaltungen brachten ihr grosse Anerkennung.

Heute sieht Lilo Bauer, auch dank des Grand Prix, ihr Leben wie auf einer grossen Leinwand vorbeiziehen. Aber nicht als Fiktion.

Der Schweizer Hauptpreis Grand Prix Darstellende Künste / Hans-Reinhart-Ring ist die wichtigste Auszeichnung der Schweiz im Bereich der Bühnenkünste. Er wird vom Bundesamt für Kultur (BAK) in Kooperation mit der Schweizerischen Gesellschaft für Theaterkultur verliehen und ehrt eine Persönlichkeit oder Institution des Schweizer Schaffens im Bereich der darstellenden Künste. Er ist mit 100’000 Franken dotiert. 2024 geht er an vielseitige Regisseurin Lilo BaurExterner Link.

Neun weitere Schweizer Preise für darstellende Künste gehen an Personen oder Institutionen, die sich in diesem breitgefächerten Kulturschaffen der Schweiz verdient gemacht haben. Die Preissumme beträgt je 40’000 Franken. Diese Auszeichnungen gehen 2024 an den folgenden Tanz- und Theaterschaffenden aus den verschiedenen Sprachregionen des Landes: Anne Delahaye, Petra Fischer, Ursina Greuel, Ueli Hirzel, Marchepied Cie, Old Masters, Ivy Monteiro, Philippe Olza und Adina Secretan.

Editiert von Pauline Turuban. Übertragung aus dem Französischen: Gerhard Lob/jg.

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