Machtverlust befürchtet: Reformierung des Auslandschweizer-Rats zurückgewiesen
Dem Kongress der ASO Deutschland ging ein intensives Jahr voraus. Der junge Vorstand hat viel Arbeit geleistet, doch am Kongress in Lübeck wurde klar, dass die unruhigen Gewässer noch nicht passiert sind.
Die Auslandschweizer-Organisation Deutschland hat turbulente Zeiten hinter sich. Zwei Wochen vor dem Kongress 2023 hat der damalige Präsident Albert Küng sein Amt niedergelegt, worauf Sonja Lengning einsprang. «Es war eine Herausforderung», sagt sie über ihr erstes Jahr als Präsidentin.
Sie war nicht die Einzige, die ein neues Amt antrat. «Ich hatte vermutlich die längste Einarbeitungszeit eines Vizepräsidenten», sagt Tobias Orth, der als Co-Vizepräsident für Lengning nachrückte. Beide wurden erst am diesjährigen Kongress in Lübeck offiziell in ihre Ämter gewählt.
Organisiert hat den Kongress Martin Abächerli, Co-Vizepräsident der ASO Deutschland. Er ist auch Präsident des Schweizer Vereins Schleswig-Holstein, “der einzige Schweizerverein in Deutschland, der an zwei Meere grenzt”. Darum wollte er die Konferenz auch so nahe wie möglich ans Meer holen.
Keine zwei Meter vor der Eingangstür fliesst die Trave vorbei, ein grosses Segelschiff ist gegenüber angelegt, Hafenkräne strecken sich in den Himmel. Im Schuppen, einer Halle aus Holz, in dem der Kongress stattfindet, wurden früher auf den groben Planken Waren umgeschlagen.
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19 von 38 Vereinen anwesend
Rund 100 Auslandschweizer:innen haben am Kongress teilgenommen, 19 davon als stimmberechtigte Delegierte ihrer Schweizervereine. Sie schickten das Traktandum der Statutenänderung, das eine Öffnung der Wahlen der Auslandschweizerräte zur Folge hätte, nach langer Diskussion an den Vorstand zurück.
Tobias Orth ist Mitglied der Arbeitsgruppe von ASO International, die sich für die Reformierung des Wahlsystems einsetzt. Er spricht von der Demokratisierung der Wahlen, die zu einer grösseren Repräsentation der Auslandschweizer:innen im Auslandschweizer-Parlament führen würde.
Die Räte und Rätinnen würden neu nicht mehr von den Delegierten der Schweizervereine gewählt. Alle in Deutschland registrierten, stimmberechtigten Schweizer:innen hätten eine Stimme und sie könnten auch für einen Sitz kandidieren, ohne Mitglied eines Vereins sein zu müssen.
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Auslandschweizer-Rat: Gefangen zwischen den Zeiten
Machtverlust und Manipulation befürchtet
Das löst bei vielen Anwesenden Besorgnis aus. «Also kann der Auslandschweizerrat völlig losgelöst sein vom Präsidium der Schweizervereine», gibt eine Anwesende zu bedenken.
Und wie soll man wissen, ob eine Person ohne Verein eine Verbindung zur Schweiz hat und sich engagieren will? Diese Frage treibt mehrere Votant:innen um, einer spricht gar von der Gefahr, dass der Auslandschweizerrat von einer extremistischen Gruppe unterlaufen werden könnte.
«Ich glaube, dass diejenigen gewählt werden, die sich engagieren», sagt Tobias Orth. Und nennt als Beispiel den ASO-Kongress selbst. «Für diesen Anlass wurden alle in Deutschland lebenden Auslandschweizer:innen angeschrieben.» Viele würden den ASR oder die ASO gar nicht kennen. Mit einer Öffnung hofft man auch auf eine Verjüngung der Vereine.
Rudolf Burkhalter, Präsident des Schweizervereins Düsseldorf e.V., ist überzeugt, dass sich etwas ändern muss, um die jüngere Generation miteinzubeziehen. «Meine Kinder haben keine Lust auf Vereinstätigkeit», sagt er. Doch auch er ist skeptisch gegenüber der Öffnung für alle, weist auf die heikle politische Lage hin, die im Abstimmungskampf zur 13. AHV-Rente gegen die Auslandschweizer:innen gekippt sei.
Antrag auf Überarbeitung
Auch Fragen zum Datenschutz und Organisation der Wahl – ein Online-Wahlsystem wurde bereits bestimmt – sowie Einwände zum Wortlaut der Statutenänderungen wurden gestellt. Zur Abstimmung kam es am Kongress in Lübeck schliesslich nicht.
Alex Hauenstein, Delegierter des Schweizer Club-Aachen e.V stellte den Antrag, dass die Einwände des Kongresses aufgenommen und der Text der Statutenänderung ein zweites Mal an die Vereine geschickt wird. An einer ausserordentlichen Mitgliederversammlung soll dann abgestimmt werden. Die Delegierten nahmen den Antrag an.
«Das ist ein wenig frustrierend», sagt Orth nach dem Entscheid. Gemäss dem Zeitplan der Arbeitsgruppe müsste der Entscheid bis zum 30. Juni 2024 fallen, damit gleichzeitig mehrere grosse Länder das System anpassen könnten.
Die ASO Deutschland hat vorgängig zum Kongress Dialogrunden zur Statutenänderung durchgeführt. Diese seien nicht so gut besucht worden – dafür mehrheitlich von Delegierten, die für eine Öffnung der Wahlen gewesen seien, sagt Abächerli. Am Kongress dagegen sah es anders aus.
Der Vorstand der ASO Deutschland hat noch vor Ende des Kongresses einen neuen Zeitplan ausgeheckt, mit dem dieser Termin doch noch eingehalten werden könnte.
Kassenprüfung fehlt
Das Wahlverfahren war nicht das einzige Traktandum, das in Lübeck für Diskussionen sorgte: Der Vorstand kann keine Kassenprüfung präsentieren.
Dafür zeigt Abächerli mit einem Bild des Matterhorns den Berg der Probleme, der zu dieser misslichen Situation geführt hat. Die ASO Deutschland hat in den letzten drei Jahren diverse personelle Wechsel: drei Kassierer:innen, zwei Präsident:innen und drei Finanzämter.
Weil der Sitz des Vereins jeweils mit dem Wohnsitz des Vorstands den Sitz wechselt, ist er aktuell am Wohnsitz von Sonja Lengning in Stuttgart. Dort befindet sich auch ein Konflikt: Der aktuelle Kassierer Stephan Lengning, der spontan eingesprungen ist, ist der Mann der Präsidentin.
Die Kasse 2022 ist geprüft, doch im letzten Jahr hat der Vorstand den Überblick verloren. «Das Problem ist, dass es keine Kompetenzenregelung für Ausgaben gibt”, sagt Abächerli. Bei der Organisation des Kongresses wurden Ausgaben spontan im offiziellen Vorstandschat besprochen, jedoch nicht jedes Detail in einem formellen Beschluss festgehalten.
Die geforderte Dokumentation für jeden Beschluss ist zu umfangreich und damit “kommt das Ehrenamt an seine Grenzen”, so Abächerli. Diesem Problem wurde mit einer Statutenänderung entgegen gewirkt.
Ziel für 2025 sei es, die Kasse wieder aufzuräumen, mit Hilfe eines externen Unternehmens oder kundigen ASO-Mitgliedern, sowie eine:n neue:n Kassier:in zu finden. Die Décharge des Vorstands wurde auf nächstes Jahr verschoben.
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Die Auslandschweizerinnen und das Meer
Das Thema Meer wurde auch im Programm des Kongresses aufgegriffen. Zwei Präsentationen von Auslandschweizer:innen über das Hafenmuseum in Hamburg und Phytoplankton zeigten, wie vielfältig die Community der Ausgewanderten und der Lebensraum Meer ist.
Alex Hauensteins Projekt dagegen befindet sich an einem See in der Schweiz. Der Stiftungsratspräsident und Architekt des Auslandschweizerplatzes präsentierte am Kongress den Auslandschweizerplatz Brunnen, wo am 13. Juli die Jubiläumsfeier des 100. ASO-Kongresses stattfinden wird.
Auch das EDA war in Lübeck vertreten. Botschafterin Livia Leu begrüsste die Auslandschweizer:innen zu Beginn des Kongresses. Und der aus der Schweiz angereiste David Grichting, Direktor der konsularischen Direktion, brachte den Anwesenden die Arbeit seines Departements näher.
Im Team durch die Krise
Nach zwei Kongresstagen ist dem Vorstand anzumerken, dass ihnen das vergangene Jahr einiges abverlangt hat. Abächerli hat mit der Organisation des Kongresses eine Monsteraufgabe übernommen, die bis ins Detail geht. “Ich habe mehrere Supermärkte besucht, bis ich genug Silberzwiebeli für das Raclette beisammenhatte.”
Der grossartige Zusammenhalt im Vorstand habe beim Durchhalten geholfen, sagt die Präsidentin. “Ohne dieses gute Team hätte ich die Aufgabe nicht stemmen können.” Und sie gibt nicht auf, will aus der Erfahrung lernen und sich immer verbessern, sagt sie.
Der nächste Kongress der ASO Deutschland findet am 30./31. Mai 2025 in Kassel statt. Austragungsort ist das Schlosshotel Bad Wilhelmshöhe.
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