Neda Cainero: Eine Künstlertochter macht ihr Ding
In Frankreich hat sie ihren eigenen künstlerischen Weg eingeschlagen. Dort, wo sie nicht "die Tochter von" ist. Denn Neda Cainero ist die Tochter von Clownin Gardi Hutter und Regisseur Ferruccio Cainero. Porträt einer Auswanderin.
In der Familie Hutter / Cainero ist Bühne Familiensache. Vater, Mutter und Bruder stehen auf der Bühne. Es ist also nicht überraschend, dass sich Neda in dieser Welt zu Hause fühlt. Dennoch war es nicht von Anfang an selbstverständlich, was aus der 35-jährigen Tessinerin geworden ist. Heute ist sie Sängerin, Schauspielerin und Akrobatin.
Bekannte Mutter Gardi Hutter
Neda Cainero bewundert ihre Mutter, die bekannte Clownin Gardi Hutter.
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«Im Privatleben bin ich oft ‹die Tochter von›, aber in meinem jetzigen beruflichen Umfeld ist meine Mutter nicht sehr bekannt», sagt sie. Allenfalls habe sie vielleicht gar den Schwerpunkt auf die Musik gelegt, um dem Umfeld ihrer Mutter zu entkommen. Jetzt aber würde sie gerne «mehr in die Welt der Clowns» eintauchen.
Neda Cainero hätte von Gardi Hutter auch gerne deren Organisationsgeschick geerbt, etwa bei der Leitung von Kunstprojekten.
Aber das blieb ihr verwehrt. «Ich arbeite sehr gut im Moment, aber es kann zwei Wochen dauern, bis ich eine E-Mail schreibe», sagt sie lachend.
Sprachmix der Verzweifelten
Auch das Deutsch hat sie von Gardi Hutter nicht mit auf ihren Weg erhalten. Sie versteht es zwar, spricht aber nur sehr wenig. «Ich habe mich in meiner Jugend geweigert, Deutsch zu sprechen, und bereue das heute sehr». Dennoch pflegt sie ihre Deutschkenntnisse, «weil sie Teil meiner Wurzeln sind».
Da sie im Tessin aufgewachsen ist, ist ihre Erstsprache Italienisch. Auf ihren Reisen durch Südamerika kamen Spanisch und Französisch hinzu, da sie in Marseille lebt. «Ich spreche Desesperanto, den Sprachmix der Verzweifelten, es ist eine fröhliche Mischung aus all diesen Sprachen.» Diese Sprache findet sich auch in ihrer Musik.
Die Schulbücher in einem Koffer
Auch wenn der Weg vorgezeichnet schien, haben die Caineros ihre Kinder nie gedrängt, eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen. «Aber sie haben uns gezeigt, dass ein Leben als Künstlerin möglich ist, wenn man viel arbeitet.»
Mutter Gardi Hutter und Vater Ferrucio Cainero trennten sich, als ihre Tochter zwei Jahre alt war. Sie haben sich aber immer so organisiert, dass sie abwechselnd auf Tournee gingen. «Mein Bruder und ich trugen unsere Schulbücher und persönlichen Sachen in einem grossen Koffer von einem Haus zum anderen», erinnert sie sich.
Poesie im Leben
Organisatorische oder sprachliche Fähigkeiten wurden ihr nicht in die Wiege gelegt, aber die künstlerische Ader hat sich durchgesetzt. Obwohl sie als Teenager nicht von der Bühne träumte. Sie wollte die Welt retten. Mit einem Lächeln auf den Lippen denkt sie heute an ihre Unbedarftheit von damals zurück.
Als leidenschaftliche Biologin begann sie ein Studium der Naturwissenschaften und Ethnologie an der Universität Neuenburg. Sie wollte die Beziehung zwischen der Gesellschaft und der Umwelt verstehen. Sie fühlte sich in der akademischen Welt jedoch nicht wohl und träumte «von poetischeren Dingen», wie sie sagt.
Die Musik erobert sich einen Platz
Neben ihrem Studium war Cainero schon damals an mehreren Musikprojekten beteiligt. «Ich habe schon immer viel gesungen, vor allem mit meinem Vater», sagt sie. Schon als Kind trat sie in seinen Shows auf und nahm Lieder auf, die er komponiert hatte.
So kam es, dass die Musik nach und nach die Biologie verdrängte. Um sich weiterzuentwickeln und die theoretischen Grundlagen zu erwerben, die ihr fehlten, ging die Schweizerin nach Cork in Irland. Dort absolvierte sie eine Musikausbildung. Danach schloss sie sich ihrem Bruder Juri in Marseille in Frankreich an, der dort seine Theatergruppe Onirykon gegründet hatte.
Alleskönnerin
Neda Caineros Fähigkeiten beschränken sich nicht nur auf den Gesang. Sie spielt mehrere Musikinstrumente und betreibt Akrobatik, eine Leidenschaft, die sie vom Turnen her kennt, mit dem sie schon in jungen Jahren begonnen hat. An der Universität entdeckte sie ausserdem Capoeira, eine brasilianische Kampfkunst, die Musik, Tanz und Kampf miteinander verbindet.
Im Stück «Bourriques», das sie mit der französischen Schauspielerin Carole Joffrin auf die Bühne brachte, konnte die Tessinerin all den Kunstformen, die sie gerne ausübt, freien Lauf lassen.
Neben den Auftritten bildet sie unter anderem mit ihrem Bruder das Duo «I Sorelli», das traditionelle süditalienische Instrumentalstücke neu interpretiert, und tritt mit ihrem Soloprojekt «Azul y Verde» auf, in das sie all die Themen einfliessen lässt, die ihr am Herzen liegen, wie Natur oder Menschlichkeit.
Mit Kindern vielleicht
Neda Cainero denkt ab und zu darüber nach, in die Schweiz zurückzukehren. Sie fühlt sich glücklich, dass sie hier in der Nähe der Natur aufwachsen konnte. Und sie würde gerne ihren Kindern, falls sie einmal welche haben sollte, die gleiche Möglichkeit bieten.
Ein Foto des Luganersees mit Blick auf den Berg San Giorgio in der Mitte illustriert jede Seite ihrer Website. «Das ist der Ort, an dem man anfängt», sagt sie. Es bleibt eine starke Verbindung, auch wenn sie als 36-Jährige nun bald mehr Zeit ausserhalb des Tessins verbracht hat.
Editiert von Samuel Jaberg, Übertragen ins Deutsche von Balz Rigendinger
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