Paradies als Arbeitsplatz: Eine Schweizerin erforscht auf den Seychellen den Ozean
Als Meereswissenschaftlerin auf einer abgelegenen Seychelleninsel lebt die Schweizerin Henriette Grimmel fern von Familie und Freund:innen, um das Leben im Meer zu erforschen.
Wenn man Henriette Grimmels Wohnort auf einer Onlinekarte sucht, muss man sich durch sehr viel Blau zoomen, bis man D’Arros endlich gefunden hat. D’Arros ist eine kleine Insel der Seychellen, sie gehört zu den äusseren Inseln und ist 250 Kilometer von der Hauptinsel Mahé entfernt. Die Insel sieht aus wie ein Ferienparadies. Doch hier macht niemand Ferien und schon gar nicht Henriette Grimmel.
D’Arros ist eine Privatinsel, die einst dem iranischen Schah und dann der L’Oréal-Erbin Liliane Bettencourt gehört hatte, bevor sie 2012 von Abdulmohsen Abdulmalik Al-Sheikh gekauft wurde, dem Gründer der Save Our Seas Foundation. Henriette Grimmel ist Meereswissenschaftlerin und leitet mit ihrem Mann das Forschungszentrum der Stiftung auf der Insel.
Die Schweizer und Schweizerinnen im Ausland sind so vielfältig wie die Länder, in denen sie leben. Diese Vielfalt möchte SWI swissinfo.ch zeigen und publiziert deshalb jeden Monat eine spannende persönliche Lebensgeschichte aus der Fünften Schweiz.
Wegen Pandemie Stelle im Homeoffice angetreten
Grimmel ist in Deutschland und der Schweiz aufgewachsen und hat über ihre Faszination für Haie und das Tauchen zu den Meereswissenschaften gefunden. Die deutsch-schweizerische Doppelbürgerin hat zwei Masterabschlüsse, einen in Meeresbiodiversität und -schutz und einen in Maritimer Raumplanung.
Als sie auf den Bahamas ihre erste Masterarbeit schrieb, hat sie ihren heutigen Mann kennengelernt, einen britischen Meeresbiologen. Nach mehrjähriger Fernbeziehung fanden sie 2019 eine Jobausschreibung, die sich offiziell an ein Paar richtete: Das D’Arros Research Centre auf den Seychellen brauchte eine neue Leitung.
Im März 2020 reisten sie noch für einen Augenschein nach D’Arros, doch ihre Stellen mussten sie wegen der Pandemie aus dem Homeoffice in der Schweiz und in England antreten. Im Dezember 2020 konnten sie endlich ihre Arbeit in den Seychellen aufnehmen.
Schlaue Mantarochen
Das Ziel der Forschenden auf D’Arros ist es, die Lebewesen auf der Insel und dem Riff zu erforschen; möglichst viel über die Tiere zu lernen, die hier aufwachsen, um so die Zusammenhänge in den Ozeanen besser zu verstehen und zu ihrem Schutz beizutragen.
Jeden Morgen macht ein Mitglied des Teams am Strand eine Runde um die Insel – etwa eine bis anderthalb Stunden –, um den Sand nach Spuren von Schildkröten zu untersuchen, die ihre Eier gelegt haben.
Besondere Aufmerksamkeit gilt auch den Haien und den Mantarochen, die Grimmel besonders mag. «Ich finde Haie immer cool, aber die Mantas haben mehr Charakter», sagt sie. «Die Riffmantas haben unter den Fischen das grösste Gehirn im Verhältnis zum Körper und das merkt man.»
Die älteren Mantaweibchen können drei bis vier Meter gross werden. Wenn sie unter ihnen durchtaucht, kann Grimmel die Rochen an ihren schwarzen Punkten auf dem weissen Bauch identifizieren. Manche sind scheu, andere neugierig oder nehmen sie kaum wahr und schwimmen fast in sie hinein.
Arbeiten in der Abgeschiedenheit
Das Leben auf D’Arros ist «schwer zu erklären», sagt Grimmel. Sie und ihr Mann schätzen sich sehr glücklich über diesen Arbeitsort. Sie können auf der Insel und auf dem Korallenriff ungestört ihre Arbeit machen.
Zum Team gehören auch zwei Frauen aus den Seychellen, insgesamt leben permanent ungefähr 30 bis 50 Personen auf der Insel. Diejenigen, die nicht zum Team des Research Centres gehören, kümmern sich um den Unterhalt.
Doch grundsätzlich sei die Insel sehr naturbelassen, sagt Grimmel. «Es gibt auch kein Café, keine Bar . Nach der Arbeit können wir abgesehen von ein bisschen Sport oder einem Kartenspiel nichts unternehmen.»
Zusammen mit der Isolation von Familie und Freund:innen, mit denen sie nur digital in Kontakt ist, sei das manchmal eine Herausforderung.
Immerhin: Einen kleinen Shop, wo man Lebensmittel kaufen kann, gibt es auf der Insel. Doch damit sich Grimmel und ihr Team auf die Arbeit konzentrieren können – je nach Saison bis zu 60 Stunden an 5.5 Tagen die Woche – kümmert sich ein Koch um das Essen.
Das ist zwar bequem, bedeutet aber auch wenig Mitbestimmung. Für Grimmel war es eine Umgewöhnung. «Doch ich mache mein eigenes Sauerteigbrot», sagt sie. Nächstes Jahr will sie auch Joghurt selber herstellen.
Gewisse Arbeiten können die Wissenschaftler:innen nur bei perfekten Bedingungen durchführen, zum Beispiel wenn der Ozean spiegelglatt ist und man bis zu 40 Meter in die Tiefe sehen kann.
Zweimal pro Jahr herrscht Monsun, dann ist das Meer meist zu stürmisch für die Arbeit draussen. In den monsunfreien Monaten können Grimmel und ihr Mann Familie und Freund:innen in Europa besuchen. Während Weihnachten herrscht jeweils Nordwestmonsun, weshalb sie über die Festtage nach Europa fliegen können.
Schweizerische Gründlichkeit im Labor
Während ihr Mann «klassischer Meeresbiologe» sei, der sich hauptsächlich um die Forschung kümmert, bezeichnet sich Grimmel als Generalistin. Neben der Feldarbeit ist sie für die Leitung und die Administration des Zentrums zuständig.
Bei der Organisation und Struktur des Labors könne sie ihre deutsche und schweizerische Gründlichkeit ausleben, alles hat seinen Platz, «da bin ich streng». «Und wenn es Sand im Labor hat…» sagt sie und verdreht lachend die Augen.
Gibt es noch Hoffnung für die Ozeane? Grimmel überlegt. «Ja», sagt sie. «Es gibt viele Probleme für die Ozeane und Ökosysteme.» Doch sie sehe, wie viele Menschen ihre Energie in die Ozeane stecken. Ein Ziel der Stiftung ist auch, Menschen vor Ort auszubilden, «damit es uns nicht mehr braucht».
Regelmässig bieten sie Praktika an, und es gibt einen Wettbewerb für Jugendliche, dessen Gewinner:innen eine Woche auf D’Arros verbringen können. «Mehrere von ihnen studieren jetzt in diesem Bereich», sagt Grimmel.
Und wie geht es für Henriette Grimmel und ihren Mann weiter, wenn sie sich auf ihrer Seychelleninsel obsolet gemacht haben? Sie lächelt, sie haben ein längerfristiges Ziel. «Wir möchten in der Zukunft in Schottland wohnen.»
Editiert von Marc Leutenegger
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