Sozialhilfe für Ausgewanderte: Weniger, aber immer kompliziertere Fälle
Wieviel Sozialgeld überweist die Schweiz ins Ausland? Und warum wird es immer weniger? Ein vertiefter Blick auf die Geldhilfen, welche Bern seinen Bürgerinnen und Bürgern im Ausland zukommen lässt.
Nennen wir sie Anna. Die schweizerische Staatsangehörige hat Jahrgang 1962. Sie lebt seit 14 Jahren ohne Unterbruch auf Bali. Und seit 2019 bezieht sie von der Schweiz Sozialhilfe. Das geht aus einem Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts von Ende 2023 hervor.
Anna ist eine von wenigen hundert Schweizer Staatsangehörigen im Ausland, die Sozialhilfe beziehen. Wie viele es genau sind, kann das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) nicht sagen.
Das System erlaubt es nicht, die Anzahl unterstützter Personen herauszufiltern, heisst es beim EDA. Dokumentiert ist hingegen, wie viele «Geschäfte» pro Jahr eröffnet werden. Im zurückliegenden Jahr waren es 270, so wenige wie kaum je zuvor.
Nur jedes zweite Gesuch wird gewährt
Bei den einzelnen «Geschäften» kann es sich um vieles handeln: Um eine Einzelperson, um eine Familie, aber auch um eine einmalige Zahlung für eine Heimschaffung, um eine monatliche Unterstützung oder um eine einmalige, ausserordentliche medizinische Behandlung.
Wobei in der Buchführung des EDA für jedes Folgegesuch im nächsten Jahr ein neues «Geschäft» eröffnet wird.
Doch wie das EDA weiter ausführt, sind in der Statistik sowohl angenommene wie abgelehnte oder als gegenstandslos abgeschriebene «Geschäfte» aufgeführt.
Von den eingegangenen Gesuchen sind in den letzten Jahren lediglich 48 Prozent angenommen worden. In diesen Fällen wurde schliesslich Sozialhilfegeld ausbezahlt.
Das Aussendepartement nimmt es mit den Zahlungen also genau. Ein Team von Sozialerbeiterinnen und Sozialarbeitern bearbeitet die Anfragen zentral in Bern. Dort werden die Fälle geführt, und dort fallen auch die Entscheide.
Vier Vollzeitstellen sind im Aussendepartement dafür reserviert. Für das Management vom Antrag bis zum Entscheid benutzen Bern und die Aussenstellen dasselbe elektronische Fallführungssystem.
Abnehmender Trend, gestört durch Pandemie
Auch über die Auszahlungen führt das EDA zentral Buch. Die Summe, die an Sozialhilfe ins Ausland überwiesen wurde, betrug im letzten Jahr exakt 847’297 Franken; Tendenz abnehmend. Abnehmend ist auch die Zahl der eröffneten «Geschäfte».
Eigentlich würde man eher eine Zunahme der Gesuche erwarten: Nicht nur die Zahl von im Ausland lebenden Schweizerinnen und Schweizern wächst, auch die Inflation steigt, und konjunkturelle Unwägbarkeiten sowie Krisen häufen sich.
Doch nach der Covid-Pandemie wurde es ruhiger. Wie EDA-Sprecherin Elisa Raggi erklärt, habe man 2020 vermehrt Sozialhilfeanfragen im Zusammenhang mit den Folgen von Covid-19 verzeichnet. Es hätte einige einmalige Unterstützungen gegeben.
Auch Einzelfälle wie Heimschaffungen aus medizinischen Gründen könnten schnell teuer werden und würden die Statistik – Beispiel 2022 – verzerren.
Und schliesslich, so die Sprecherin, würden Sozialhilfegelder dem Warenkorb des Landes angepasst. Der starke Franken hat dieser Erklärung zufolge einen positiven Effekt auf die Höhe der Schweizer Sozialhilfeausgaben im Ausland.
Viel Arbeit für Ausgewanderte in Thailand
Dies spielt etwa in Thailand eine Rolle, ein Hotspot der Schweizer Sozialhilfe-Auslandzahlungen. Um die vielen Gesuche dort vor Ort zu bearbeiten, braucht das EDA beinahe eine konsularische Vollzeitstelle.
Die abnehmende Zahl der Fälle bedeutet indes nicht weniger Arbeit für die entsprechende Abteilung im konsularischen Dienst, denn die Fälle wurden in den letzten Jahren komplexer.
Wie aus einem Gespräch mit der Chefin des Konsularischen Schutzes im EDA, Yvonne Rohner, hervorging, beobachtet das EDA, dass auch Menschen mit psychischen Problemen oder ältere Menschen ohne ausreichende Krankenkassendeckung auswandern.
Geraten sie dann im Ausland in eine persönliche Krise mit existenziellen Folgen, fehlt ein auffangendes Netz. Dasselbe gilt bei medizinischen Notfällen.
Wer schlecht integriert ist, wird repatriiert
Ist jemand in seinem Wohnland nicht ausreichend integriert, gibt es gesetzlich kein Anrecht auf Sozialhilfeleistungen vor Ort. Das trifft in vielen Fällen auch bei Seniorinnen und Senioren zu, die nach ihrer Pensionierung auswandern.
Ist dies der Fall, entscheiden die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter für eine Repatriierung, die notfalls auch finanziert wird.
Kein Anrecht auf Schweizer Hilfe haben übrigens Personen mit mehreren Staatsangehörigkeiten, wenn die Nichtschweizer Staatsangehörigkeit vorherrscht. Auch das kann zu intensiven Abklärungen führen.
Ein Kriterium für die Festlegung der vorherrschenden Staatsangehörigkeit ist unter anderen, in welchem Staat sich die Person während Kindheit und Ausbildungszeit aufgehalten hat.
Mehr zu den Besonderheiten der Sozialhilfe für Auslandschweizer und Auslandschweizerinnen lesen Sie hier:
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Die Schweiz bezahlt Sozialhilfe an Auslandschweizer
Die Geschichte der eingangs erwähnten Anna geht laut Bundesverwaltungsgerichtsurteil übrigens so: Im Juli 2021 ersucht sie bei der Schweizer Botschaft in Jakarta um Ausrichtung von Sozialhilfeleistungen, wie sie es bereits in den Jahren zuvor tat, also 2019 und 2020.
Die Konsularische Direktion des EDA heisst ihr Gesuch erneut gut und legt dem Bescheid eine Budgetrechnung bei. Doch mit dieser Vorgabe ist Anna nicht einverstanden. Sie erhebt Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht und beantragt eine Anpassung der Budgetrechnung.
Anna moniert, dass das budgetierte Haushaltsgeld die Preisentwicklung nicht beachte und allenfalls auf Personen in einem Grossfamilienhaushalt passen würde.
«Obwohl sie sparsam lebe und weitgehend lokal produzierte Erzeugnisse kaufe, würden die ihr zugesprochenen Leistungen den Alltagsbedarf nicht abdecken», ist im Gerichtsurteil zu lesen.
91 Franken mehr für Anna
Doch das Bundesverwaltungsgericht kommt zum Schluss, dass die Vorinstanz, also der Konsularische Dienst, die Höhe des Haushaltsgelds rechtmässig festlegte.
Anna bekommt aber in einem einzelnen Punkt recht – bei den Wohnnebenkosten sowie den Kosten für Strom und Gas. Hier sei ihr eine wiederkehrende Leistung zu gewähren, urteilt das Bundesverwaltungsgericht.
Es geht um umgerechnet 7 Franken 60 Rappen pro Monat, die Anna nun doch zustehen. Pro Jahr muss ihr der Bund also 91 Franken und 20 Rappen mehr Sozialhilfe in Bali ausrichten.
Anna gehört zu einer der ganz wenigen Ausnahmen, die mit einer Beschwerde zumindest teilweise durchkamen. Es gibt auch nicht viele: Laut Angaben des EDA sind in den fünf Jahren von 2019 bis 2023 lediglich 28 Beschwerden eingegangen.
Davon sind lediglich deren zwei, darunter jene von Anna, wenigstens teilweise gutgeheissen worden. Acht sind noch hängig.
Editiert von Balz Rigendinger
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