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Bea Knecht

Unsere Leseempfehlung der Woche

Liebe Schweizerinnen und Schweizer im Ausland

Ein Supercomputer im Wert von 25 Millionen Dollar aus dem Jahr 1990 hatte die gleiche Leistung, wie heute ein Fernseher (HD-TV) für 500 Franken. Das Fernsehen ins Internet gebracht hat eine Auslandschweizerin. Wir porträtieren sie in der Serie "Swiss Digital Pioneers".

Herzliche Grüsse aus Bern

Bea Knecht
Bereits 1990 befasst sich Bea Knecht mit dem Fernsehen der Zukunft. 2005 gründet sie Zattoo in San Francisco. zVg

Sie brachte das Fernsehen ins Internet
Bea Knecht ist sich bereits 1990 sicher: Mit schnellen Computern werden wir über das Internet einst fernsehen. Die Aargauerin gründet 2005 die Firma Zattoo in San Francisco, 2006 in der Schweiz, 2007 in Deutschland. Knecht ist die elfte Schweizer Digitalpionierin, die wir in unserer Serie Swiss Digital Pioneers porträtieren.

(Von Sarah Genner)

Zattoo-Gründerin Bea Knecht wirkt entspannt, als die Skype-Verbindung endlich klappt. Sie sitzt in San Francisco und absolviert am Donnerstagmorgen eine Reihe von Calls. In der Schweiz ist es bereits Abend.

Die spätere Digital-TV-Pionierin mit Wohnsitzen in Zürich, San Francisco und Berlin ist im Kanton Aargau aufgewachsen. Bis Knecht 17 Jahre alt ist, lebt sie in Windisch. In der Schule mag sie alle Fächer von Geschichte bis Physik. Geometrie fällt ihr besonders leicht. Rückblickend sagt Knecht: «Geometrie war für mich so einfach, dass ich dachte, es sei gar kein richtiges Fach.»

Vision: Der Supercomputer als TV

Probleme mit dem Buchhaltungssystem des Familienunternehmens zeigen ihr bereits in der Jugend: «IT wird wichtig werden.» So zieht es die 19-Jährige 1986 für ein Informatik-Studium in die USA.

An der Elite-Universität Berkeley bei San Francisco hat sie die zündende Idee für ihre spätere Firma. Mit einem Studienkollegen prüft sie 1990 die technischen Anforderungen des neuen HD-TV-Standards von Sarnoff Labs (dort wurde auch das Farbfernsehen erfunden). «Wenn man das hochrechnet, muss das ein Supercomputer sein, der HD-TV ausspielt.»

In der Serie SWISS DIGITAL PIONEERS porträtiert SWI swissinfo.ch interessante Schweizer Persönlichkeiten im Ausland oder mit internationaler Ausstrahlung, die früh das Potenzial des Internets erkannt haben und es für ihre Tätigkeiten erfolgreich genutzt haben. Die Autorin Dr. Sarah GennerExterner Link ist Medienwissenschaftlerin und Digitalexpertin. 2017 erschien ihr Buch ON | OFF.

Zufällig steht zu dieser Zeit im Keller des gleichen Berkeley-Gebäudes ein Supercomputer im Wert von 25 Millionen Dollar. Eine ähnliche Leistung wird heute in einem HD-TV Fernseher für 500 Franken angeboten. Anhand von Moore’s LawExterner Link (die Chip-Kapazität verdoppelt sich ungefähr alle 18 Monate) berechnet sie, dass im Jahr 2005 der entsprechende Supercomputer für Durchschnittshaushalte erschwinglich sein müsste. Knecht kommt zum Schluss: «Wenn der TV zum Computer wird, dann wird der Laptop zum TV.»

Tatsächlich sind 2005 die Chips schnell genug für Knechts Vorhaben, aber das Internet ist es noch nicht. Ausserdem ist Streaming damals noch sehr teuer: «Ein GB zu streamen kostete 2006 fünf Euro, drei Jahre später fünf bis zehn Cent. Heute zahlt man dafür 0,5 bis zwei Cent.»

Den grossen Preiszerfall ortet die Pionierin im Zuge der Weltwirtschaftskrise um 2008: «Die grossen Internet-Firmen verloren Kundschaft und boten Dumpingpreise an, um das Geschäft wieder anzukurbeln.» 2019 streamt Zattoo ungefähr 30 Petabyte pro Monat, das entspricht 30 Millionen Stunden HD-TV.

Von San Francisco nach Zürich

Nach ihrem Informatik-Studium in Berkeley ist Knecht umtriebig. Ergänzend zum technischen Knowhow macht sie einen MBA in Lausanne. Danach wird sie Associate Partner bei McKinsey in Palo Alto in Kalifornien und ist Vice President of Marketing bei der IT-Firma Linuxcare in San Francisco. Sie gehört zu den Urhebern der IT-Produkte UBS OpenLAN, SAP xRPM und Levanta.

2005 ist die Zeit reif für die Gründung von Zattoo in San Francisco. Gemeinsam mit ihrem Geschäftspartner Sugih Jamin, einem Informatik-Professor in den USA, definiert sie das Zattoo-Produkt und baut die Firma auf. 2006 gründet sie die Niederlassung von Zattoo in der Schweiz: «Wir verschoben uns in die Schweiz, weil wir dort am schnellsten die Streaming-Rechte gefunden haben.»

Um 2006 schaue ich erstmals mit Zattoo fern. Ich lebe damals mit anderen Studierenden in einer Wohngemeinschaft ohne TV-Gerät. Es ist eine Offenbarung, über mein weisses MacBook neben E-Mails gratis per Klick auf zahlreiche TV-Sender zugreifen zu können.

Wir sagen damals alle «zattuu», richtig heisst es «zattoo». Zattoo ist japanisch und bedeutet eine grosse Menschenmenge. Der Name ist insofern Programm, als dass Bea Knecht nie darauf aus war, nur ein Nischenangebot zu schaffen.

Sie erzählt: «Viele sagten zur Geschäftsidee: Das wäre lustig für Randsender. Aber ich wollte mitten in die Gesellschaft.» Knecht ist sich sicher: Zattoo würde einen weiteren Zugang zu klassischen Fernsehinhalten ermöglichen. «Man schaut dieselben Dinge, zu ähnlichen Zeiten, einfach auf anderen Geräten.»

In Europa hatte Zattoo im Prinzip interessantere Bedingungen. Dominiert in Europa der Ein-TV-Haushalt, ist umgekehrt der amerikanische ein Mehr-TV-Haushalt. «Als das Farbfernsehen kam, hiess es in den USA: Werft euren alten Schwarz-weiss-TV nicht weg, nutzt ihn als Zweitgerät. In Europa gab es Eintauschaktionen.» Dass man in einem Haushalt gleichzeitig, aber nicht dasselbe im TV schauen möchte, war Knechts Überlegung. So wird Zattoo auch heute noch oft genutzt.

«Wir bauen fast alles selbst»

Welche Rolle spielen die USA bei der Entwicklung von Zattoo? «Die technologischen Grundlagen wurden von unserem Team in den USA gelegt. Die Weiterentwicklung betreiben vor allem unsere Büros in Zürich und Berlin. Wir bauen fast alles selbst. Dadurch haben wir eine gute Kosten- und Qualitätskontrolle.»

Heute streamt Zattoo monatlich an 2 bis 3 Millionen User. Die Firma beschäftigt rund 160 Mitarbeitende. Bis vor einem Jahr amtierte Bea Knecht als Verwaltungsrats-Präsidentin.

2019 übernimmt Tamedia (heute TX Group) die Aktienmehrheit und das VR-Präsidium. Im Interview zur Übernahme gibt Knecht Auskunft über verschiedene Paradigmenwechsel, welche die Firma schon durchlaufen hat:

Externer Inhalt

Bea Knecht kann zu Unternehmertum, zur IT-Branche und zu Karrieren von Frauen Einblicke geben. Bis 2012 lebte sie in einem Männerkörper. Dann machte sie ihre Geschlechtsangleichung.

Heute sagt sie: «Ich habe eine grosse Veränderung erlebt, wie Menschen mit mir als Frau umgehen.» Mit einer guten Portion IT-Humor beschreibt Knecht, was ihre Situation zum Faktor Geschlecht in der Businesswelt aussagt: «Ich bin ein wandelnder A/B-Test.»

«Brogrammer-Kultur» im Silicon Valley

Knecht bestätigt, was immer wieder zu hören ist: «Das Silicon Valley ist die neue Wall Street.» San Francisco wird entsprechend geldorientierter. Startups im Technologiebereich sind spekulativ mit schnellem Geld der Risikokapitalgeber unterwegs. Es herrscht aktuell eine fiebrige Börsenstimmung. Startups haben ein enges Zeitfenster, um erfolgreich zu werden.

Zur Situation von Frauen in diesem Umfeld sagt die Unternehmerin: «Babypausen stehen in diesem Umfeld grossem wirtschaftlichem Druck gegenüber. Daher wird in dieser Extremsituation Social Freezing als Frauenförderungsmittel eingesetzt.» Social Freezing bedeutet, dass Frauen im gebärfähigen Alter ihre Eier einfrieren lassen können, um das Kinderkriegen auf später zu verschieben.

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Der Game-Pionier

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Er programmiert Mobile Games und macht in Montreal erfolgreich Karriere als Game-Designer und Creative Director: Digitalpionier Daniel Lutz.

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Knecht vergleicht die Stimmung bei Technologie-Startups mit Extrembergsteigen: «An der Eigernordwand ein Kind bekommen, geht auch nicht.» Es ist ein extremes Mittel für extreme Situationen, findet sie. Sie beobachtet, dass Frauen stark in Kommunikation sind und oft bessere Schul- und Hochschulleistungen erbringen, dass Männer hingegen tendenziell mehr Risikobereitschaft an den Tag legten und rascher vom Denken ins Machen kommen.

Auffällig sachlich beschreibt Knecht die «Brogrammer-Kultur» im Silicon Valley. «Brogrammer» ist zusammengesetzt aus «programmer» und «bro» (brother im Sinne von männlichem Kumpel). Sie sagt: «Es ist schwierig für Frauen, sich in diese Kultur hineinzuhacken.»

Das liege einerseits an der oft fehlenden Risikobereitschaft und zudem an der Art, wie Männer untereinander – oft idiotische – Loyalitätsbeweise einfordern. «Viele Frauen denken, Männer haben ihre Seilschaften. Das stimmt, aber sie zahlen dafür einen sehr hohen Preis.» Knecht sieht in der Neuverhandlung der Geschlechterrollen eine grosse Chance für beide Geschlechter. Den Realitätsbeweis ortet sie in Skandinavien.

Dass ihr Geometrie und technische Belange schon immer leichtfielen, bringt Bea Knecht heute mit Resultaten aus der Transgender-Forschung zusammen: Mann-zu-Frau-Transgender verfügen über ein überdurchschnittliches räumliches Vorstellungsvermögen. So gesehen mag ihre Prägung in der technischen Arbeit geholfen haben. Umgekehrt war der IT-Hintergrund bei ihrer Geschlechtsangleichung nützlich: «Ich bin dabei vorgegangen wie bei der Planung eines IT-Projekts.»

Staatliche Finanzierung von Online-Kommentaren?

Angesprochen auf die digitale Demokratie in der Schweiz bringt Knecht folgenden Vorschlag in die Debatte: Einen grossen Vorteil des Internets für die Demokratie sieht sie in der Online-Debatte, dem politischen Dialog und einer digitalen Neuschöpfung des traditionellen Schweizer Vereinswesens.

Dass viele Medienhäuser aus Ressourcengründen online die Kommentarfunktion schliessen, findet sie schade: «Wenn wir bei Kommentaren sparen, haben wir ein Problem mit dem Meinungsaustausch, der für eine Demokratie wesentlich ist.»

Als ich ein gewisses Verständnis entgegenhalte, dass man inmitten der Medienkrise den wenig konstruktiven Kommentartrollen nicht so viele Ressourcen schenken könne, entgegnet sie: «Dann könnte der Staat in die Bresche springen und die Moderation von Online-Debatten finanziell unterstützen.» Erleichtert stelle ich fest, dass Knecht Mitglied der Eidgenössischen MedienkommissionExterner Link (EMEK) ist, wo sie solche Vorschläge einbringen kann.

Knecht ist in mehrfacher Hinsicht eine mutige Pionierin. Technisch ist sie sowohl Digital- wie auch TV-Pionierin: Sie steht hinter dem ersten Gratis-Fernsehen für mobile Geräte. Zattoo ist insgesamt der grösste Live-Web-TV-Anbieter in Schweiz und Deutschland.

Von Grund auf baut sie mit ihren Geschäftspartnern ein komplettes Kabelsystem in der Cloud, bevor die Cloud-Idee populär wird. Jahre vor der Konkurrenz fangen sie TV-Signale ein, de- und rekodieren und übermitteln live an die Enduser – immer am Rande der Möglichkeiten zeitgemässer Technologie und Bandbreite.

Knecht hat ihr Internet-Unternehmen umsichtig und erfolgreich durch verschiedene Phasen geführt, während viele andere IT-Unternehmen im raschen Wandel nicht bestehen konnten.

Last but not least ist auch eine Pionierleistung, wie Bea Knecht seit Jahren öffentlich Stellung bezieht zur Rolle von Transgender und Frauen im IT-Business. Sie konnte schon verschiedene Awards nach Hause tragen, beispielsweise den Schweizer Digital Lifetime Award und den Ehrenpreis von Best of Swiss Web.

Im April 2020 kommt ihr eine grosse Ehre zu: Sie und Zattoo werden mit dem technischen Emmy Award ausgezeichnet. Damit erhält sie den bedeutendsten Fernsehpreis der Vereinigten Staaten.


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