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Vergewaltigungsopfern wird kaum geglaubt

Ein Symbolbild von einem Übergriff
Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit steht im Zentrum bei sexuellen Übergriffen. KEYSTONE/Luis Berg

In der Schweiz herrschen inkonsistente Methoden, wenn es um die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Vergewaltigungsopfern geht, die Anzeige erstatten. Ein Gespräch mit der Anwältin Demetra Giovanettina.

Vergewaltigt zu werden ist eine schreckliche Erfahrung. Sie anzuzeigen und sich einem Prozess zu stellen, bedeutet für das Opfer, die seelische Wunde wieder aufzureissen.

Das Bundesgericht hat kürzlich klargestellt, dass die kurze Dauer einer Vergewaltigung kein mildernder Umstand sein kann. Dies löste eine Diskussion über die Verhältnismässigkeit der Strafe für diese Verbrechen aus. Ein Staatsanwalt sagte gegenüber der NZZ, dass die Gerichte den Spielraum nicht ausschöpfen und Vergewaltiger oft nur zu Freiheitsstrafen von wenigen Jahren verurteilen. Und damit weit von der im Strafgesetzbuch vorgesehenen Höchststrafe von 10 Jahren entfernt bleiben.

Wir sprachen darüber mit Demetra Giovanettina, Anwältin der Tessiner Kanzlei Marcellini-Galliani, die bereits Opfer von sexuellem Missbrauch vor Gericht vertreten hat.

RSI: Sind Ihrer Erfahrung nach die verhängten Strafen zu gering?

Demetra Giovanettina: Das Element der Bestrafung ist sicherlich wichtig. Aber jedes Opfer hat andere Erwartungen – und ich muss sagen, dass Opfer, die nur von Rachegedanken motiviert sind, eine Minderheit sind. Meiner Meinung nach ist die Angemessenheit der Strafe nicht der heikelste und auch nicht der wichtigste Aspekt. Der entscheidende Punkt für alle Opfer ist die Strafzumessung, d.h. eine Verurteilung, die das Opfer als solches anerkennt… ihm muss geglaubt werden!

Eine Verurteilung des Vergewaltigers wird für das Opfer zu einem Mittel, um das erlebte Trauma zu überwinden. Angesichts dieses grundlegenden Bedürfnisses nach Anerkennung durch die Justizbehörde ist es für mich von relativem Gewicht, ob die Strafe vier, fünf oder sechs Jahre beträgt.

Es ist also nicht sicher, dass es zu einer Verurteilung kommt?

Nein. Es handelt sich um Straftaten gegen die sexuelle Integrität, ein schwieriges Feld, bei dem es die absolute Ausnahme ist, Zeug:innen oder andere direkte Beweise für eine Tatsache zu haben. Wir haben fast immer zwei unterschiedliche Versionen: die des Opfers und die des Angeklagten. Die Glaubwürdigkeit dieser beiden Darstellungen wird somit zum zentralen Punkt des Verfahrens.

Das Problem ist, dass die Beurteilung der Glaubwürdigkeit ein äusserst heikles Unterfangen ist, und es gibt meiner Meinung nach zwei wichtige Aspekte, die man immer im Auge behalten sollte. Der erste ist, dass es die perfekte Geschichte nicht gibt. Der zweite ist, dass es auch nicht das perfekte Opfer gibt. Man kann nicht erwarten, dass die Erzählung eines Opfers so ist, als würde man die Handlung eines Films lesen.

Wollen Sie damit sagen, dass die Richter:innen zu sehr auf Ungereimtheiten in den Erinnerungen und im Verhalten des Opfers achten?

Es kommt vor, dass der Filter, der auf die Schilderung eines Opfers angewendet wird, sich in einer Weise auf die Details dieser Schilderung konzentriert, die ich als übertrieben bezeichnen würde. Dabei besteht die Gefahr, dass man die Geschichte als Ganzes aus den Augen verliert.

Manchmal lässt man sich von der Vorstellung leiten, wie ein Opfer reagieren sollte, z. B. wie lange es dauern sollte, die Vergewaltigung anzuzeigen. In Wirklichkeit gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichen Reaktionen. So wie es keine perfekte Erzählung gibt, gibt es auch kein typisches Opfer. Man muss, wie gesagt, immer sehr vorsichtig sein, um keine allzu sicheren Schlüsse zu ziehen.

Sie nannten die Zeit, die für die Anzeige benötigt wird. Welche anderen Verhaltensweisen eines Opfers können sich von dem unterscheiden, was wir vielleicht von einem Vergewaltigungsopfer erwarten würden?

Die Tatsache, sich sofort der Familie und Freunden anzuvertrauen – oder es niemandem zu erzählen. Das normale Leben wieder aufzunehmen – oder sich zu Hause zu verkriechen und nicht auszugehen. Zu versuchen, das Geschehene zu vergessen – oder zu versuchen, alle Einzelheiten im Gedächtnis zu verankern. Dies sind alles unterschiedliche, aber allesamt legitime Verhaltensweisen, je nach Opfer. Und wir können uns nicht anmassen zu wissen, was richtig ist, weil wir diese Ereignisse nicht miterlebt haben.

Das steht im Widerspruch zum Klima im Zusammenhang mit der «me too»-Bewegung, als man noch vor einigen Jahren das Gefühl hatte, dass es ausreicht anzuprangern, um Empathie und sogar Anerkennung zu erhalten. Nicht so vor Gericht…

So ist es nicht, und so muss es auch nicht sein! Es wäre nicht richtig, wenn die Anzeige genügen würde, um geglaubt zu werden, denn es gibt auch Opfer, die nicht oder nur teilweise die Wahrheit sagen. Eine Untersuchung dient im Idealfall der Klärung des Sachverhalts.

Wie gesagt ist die Beurteilung der Glaubwürdigkeit bei dieser Art von Verbrechen äusserst schwierig und heikel und kann in der Praxis zu uneinheitlichen und unbefriedigenden Ergebnissen führen. So erhalten diejenigen, die Anzeige erstatten, trotz der enormen Anstrengungen, die sie unternehmen, nicht unbedingt die erwartete Reaktion der Justiz.

Und wie erklärt man es einer Klientin, wenn – trotz der aufgebrachten emotionalen Energie – der Angeklagte am Ende freigesprochen wurde?

Nun, das ist nicht einfach. Vor allem, wenn man sagen muss, dass man ihrer Version nicht geglaubt hat. Dies ist für das Opfer ein zusätzlicher Schlag, der zu dem hinzukommt, was es bereits erlitten hat.

Könnten diese Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Opfers von einer Anzeige abhalten?

Man muss sich darüber im Klaren sein, dass es keine Gewissheit gibt, dass einem geglaubt wird. Aber die Tatsache, dass man Anzeige erstattet, hat einen Wert an sich, der manchmal über die Strafe hinausgeht. Das Opfer bedauert vielleicht nach einigen Jahren, dass es nicht den Rechtsweg beschritten hat. Es kann bedauern, die Geschichte nicht ans Licht gebracht zu haben, was die Aufarbeitung des Sachverhalts erschwert.

Jedes Opfer muss seine eigenen Einschätzungen vornehmen, aber ich wiederhole: Die Anzeige hat eine Bedeutung an sich, die über das Ergebnis hinausgeht, das leider nicht garantiert ist.

Übertragung aus dem Italienischen: Giannis Mavris

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