Verspätete Wahlpost: Auslanddeutsche ereilt ein Schweizer Leid
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Deutschland hat gewählt. Aber die Auslanddeutschen machten bei den Wahlen jene bittere Erfahrung, die viele Schweizer:innen im Ausland bereits kennen: Sie blieben ausgeschlossen.
Nach den Wahlen in Deutschland herrscht bei der deutschen Diaspora Frust, weil zahlreiche Wahlbriefe zu spät kamen. Wie viele Wählerinnen und Wähler davon betroffen sind, bleibt offen. Nachzählen lässt es sich nicht, mussten die deutschen Behörden eingestehen.
Auch die Zahl der Deutschen, die im Ausland leben, existiert nur als Schätzung. Man geht von 3 bis 4 Millionen Deutschen aus. Anders als die Auslandschweizer sind nicht alle von ihnen allein aufgrund der Staatsbürgerschaft bereits wahlberechtigt.
Nicht länger als 25 Jahre im Ausland
Denn um bei der Demokratie in ihrer Heimat mitmachen zu dürfen, müssen deutsche Staatsbürger:innen seit dem 14. Lebensjahr auch mindestens drei Monate in Deutschland gelebt haben, und dieser Aufenthalt darf nicht länger als 25 Jahre zurückliegen.
Ähnlich wie bei den Auslandschweizer:innen führt darüber hinaus auch Deutschland ein Wahlregister. Nur wer sich dort aktiv eingetragen hat, erhält die Wahlunterlagen. Neu war bei dieser Bundestagswahl, dass Wahlwillige die Online-Registrierung erstmals per Mail – und nicht mehr per Briefpost – an ihre deutsche Heimatgemeinde senden konnten.
«Dies könnte ein Grund dafür sein, dass sich für die Wahl 2025 so viele Auslandsdeutsche wie noch nie in das Wählerverzeichnis haben eintragen lassen», schreibtExterner Link Wahlrechts-Spezialist Niklas Simon dazu.
213’000 Auslanddeutsche registriert
Zum Wählen bereit waren also für deutsche Verhältnisse viele. 213’255 Auslandsdeutsche hatten sich bis zum Wahlwochenende ins Wählerverzeichnis für die Bundestagswahl eintragen lassen. Das sind 60% mehr als bei den Wahlen 2021.
Gemessen mit der Schweiz sind es allerdings wenig. Rund 220’000 Personen finden sich im Schweizer Wahlregister – bei gut 800’000 Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern. Während also jede vierte Schweizer Person im Ausland bei Wahlen und Abstimmungen in der Heimat mitmachen will, ist es in der deutschen Diaspora nur jede 15. Person.
Ein Grund dafür ist sicher die direkte Demokratie der Schweiz, die ihre Bürgerinnen und Bürger viermal jährlich zur Urne ruft, wohingegen Deutschland nur alle vier Jahre einmal wählt.
Von den Verspätungen bei den Wahlzetteln betroffen waren vorwiegend Länder ausserhalb der EU. Es traf aber auch Deutsche in der SchweizExterner Link, wie ein Bericht von 20 Minuten zeigt.
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Deutschland erlebte somit, was die Schweiz mit ihren Stimmen aus dem Ausland regelmässig erfährt: Für Hin- und Rückversand der Wahlunterlagen reicht die Zeit nicht. Zurück bleiben frustrierte Stimm- und Wahlberechtigte – und durchaus auch ein Defizit an Demokratie.
Sahra Wagenknecht– Opfer des Ausland-Debakels?
Denn gerade bei knappen Ergebnissen kommt es darauf an. In Deutschland fehlten dem Bündnis Sahra Wagenknecht BSW am Ende 13’400 Stimmen, um den Sprung über die 5 Prozent-Hürde und damit in den Bundestag zu schaffen.
Die Konsequenz davon reicht weit. Erst durch das Ausscheiden des BSW wird eine grosse Koalition unter Ausschluss der Grünen möglich. Sahra Wagenknecht erwägt nun eine Wahlbeschwerde.
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Auch in der Schweiz waren einige Abstimmungen der letzten Jahre so knapp, dass wenige Tausend Stimmen den Unterschied hätten machen können: so etwa bei der Erhöhung der Mehrwertsteuer 2017 (50,1%), beim Radio- und Fernsehgesetz 2015 (50,1%) und bei der Beschaffung neuer Kampfflugzeuge 2020 (50,1%).
Klagen der Auslanddeutschen erwartet
Zurück bleibt in Deutschland nun zudem eine Debatte, die noch andauern könnte. «Muss die Wahl am Ende annulliert werden, weil der Staat nicht das möglich macht, was im Grundgesetz garantiert ist: dass jeder Bundesbürger ein Recht auf die Teilnahme an Wahlen hat?», fragt etwa die deutsche «WirtschaftswocheExterner Link«.
Die Zeitung zitiert den Heidelberger Rechtsprofessor Bernd Grzeszick, der sagt: «Ich gehe davon aus, dass es Klagen von Auslandsdeutschen gegen die Wahl geben wird.» Diese dürften aber kaum Erfolg haben, schätzt der Experte, da die kurze Frist für diese Wahl wohl Vorrang hatte.
Verspätungen wegen der kurzen Frist
Im Gegensatz zur Schweiz, wo verspätete Abstimmungscouverts zur Normalität gehören, gilt die aktuelle Verspätung in Deutschland aber als einmaliges Ereignis. Denn die Wahlen waren vorgezogen, alle Fristen daher ausserordentlich knapp bemessen.
Die Unterlagen für die Briefwahl im Ausland gelangten frühestens am 4. Februar in den Versand, in einigen Bundesländern erst am 10. Februar. So blieben maximal 3 Wochen, in vielen Fällen aber nur 10 Tage, für die beiden Postwege. Sonst üblich sind sechs Wochen.
Weil bekannt war, dass es für die Auslanddeutschen knapp werden würde, hatte das Auswärtige Amt vorsorglich sogenannte Botschaftskuriere organisiert und angeboten. Auslanddeutsche konnten Wahlcouverts an ihre jeweilige Botschaft senden, welche den Kurierdienst nach Deutschland bewerkstelligte.
Botschaftskuriere brachten nicht die Lösung
Auch die Schweizer Bundeskanzlei unternahm auf einen politischen Vorstoss hin bereits Versuche mit dem System der Botschaftskuriere. Das Resultat versprach aber zu wenig und mündete in einem Entscheid, diese Lösung nicht weiter zu verfolgen.
«Die elektronische Stimmabgabe ist weiterhin der erfolgversprechendste Weg, um den von langen Postwegen betroffenen Auslandschweizer Stimmberechtigten die Stimmabgabe zu erleichtern», bilanzierte der BundesratExterner Link 2023 dazu.
Eine elektronische Lösung wird nun auch in Deutschland diskutiert. Es ist aber nicht E-Voting, sondern, dass Botschaften und Konsulate die Wahlunterlagen per Email erhalten und vor Ort ausdrucken und verteilen könnten.
Das ähnelt einem Modell, das in der Schweiz auch schon unter dem Namen E-Versand als Option auf dem Tisch lag. Nur dass der E-Versand direkt an die Stimmberechtigten erfolgt wäre. Diese Idee hat die Schweiz aber aus Sicherheitsgründen verworfen.
Ein eigener Wahlkreis für die Diaspora
Der deutsche Wahlrechtsspezialist Niklaus Simon diskutiertExterner Link zudem die Einführung von «Auslandswahlkreisen wie es sie in Frankreich oder Italien bereits gibt» als mögliche Lösung. Auch ein Meinungsartikel im «Spiegel»Externer Link schlägt dies als einfache Lösung vor. «Die Franzosen in der ganzen Welt gehen bei jeder Wahl in die Botschaft und geben ihre Stimme ab», schreibt der Spiegel.
Auch in weiterer Hinsicht nennt das Magazin Frankreich als Beispiel: «Im französischen Parlament sitzen ein gutes Dutzend Abgeordnete, die direkt von den Hundertausenden Auslandsfranzosen gewählt werden. Diese Delegierten vertreten dann auch die Interessen der Menschen, die fern der Heimat leben.»
Die Schweiz setzt auf E-Voting
Auch diese Idee wird in der Schweiz hin und wieder diskutiert. In der Auslandschweizer-Organisation ASO beschäftigte sich eine Arbeitsgruppe über mehrere Jahre damit. Doch politisch umsetzbar scheint ein «25. Kanton der Auslandschweizer:innen» nicht. 2023 hat sich auch der Bundesrat dagegen ausgesprochen.
Deutschland würde mit einem «Wahlkreis der Auslanddeutschen» zudem auf ein Problem treffen, das die Schweiz zumindest nicht hätte: Das Land hat schlicht keinen Überblick über seine Auslandbürger.
Nicht wenige Deutsche leben zwar dauerhaft im Ausland, bleiben aber in Deutschland gemeldet. «Sie würden damit doppelt verwertet «, warnt Niklaus Simon und schliesst: «Die Debatte um die verbesserte Wahlteilnahme der Deutschen im Ausland steht noch am Anfang.»
In der Debatte ist die Schweiz gewiss schon weiter fortgeschritten, aber aber eine ideale Lösung, die auch innenpolitisch verträglich ist, hat auch sie noch nicht gefunden.
Editiert von Marc Leutenegger
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