Vom Fan zum Chefdesigner: Ein Schweizer zieht bei Nike die Fäden
Das Vitra Design Museum beleuchtet zurzeit die Designgeschichte von Nike. Mit Martin Lotti arbeitet ein Schweizer als Designchef für die bekannteste Sportmarke der Welt. Wie er vom Fan zum Designchef wurde.
Das allererste Nike-Produkt, das er sich gekauft hat? Die «Air Max 180»-Sneakers. Und ein Poster von Michael Jordan. Mehr konnte sich der 16-jährige Martin Lotti, damals Austauschschüler in den USA, nicht leisten. Jahrelang hing das Poster über seinem Bett.
Heute ist Lotti Chefdesigner bei Nike. Michael Jordan hat er mittlerweile mehrfach persönlich getroffen. Hat mit ihm zusammen Kollektionen entworfen. «Das war ein surrealer Moment», schwärmt Lotti.
Die Amerikaner in Weil am Rhein
Nike ist der weltweit führende Sportartikelhersteller. Die Firma hat einen Jahresumsatz von 50 Milliarden Dollar. Wie konnte Nike so erfolgreich werden? Ein Grund ist das Design. Es hat die Sneaker-Kultur, wie wir sie heute kennen, entscheidend mitgeprägt.
Diese Designgeschichte beleuchtet nun eine Ausstellung im Vitra Design Museum im deutschen Weil am Rhein. Dafür ist Martin Lotti aus den USA angereist. Seit Jahren lebt er mit seiner Familie im Bundesstaat Oregon.
In seinem Heimatland ist der Designer kaum bekannt. Der Freiburger gibt selten Interviews. Reden tut er am liebsten auf Englisch. «Mein Schweizerdeutsch ist eingerostet», gibt er etwas verlegen zu.
Martin Lotti fällt auf. Sein Outfit strotzt vor Coolness. Das weisse «Jordan»-Hemd, die übergrosse Cargohose, die Sneakers. Nike, natürlich.
Auch Sätze wie, «Trends entstehen um Mitternacht», wirken bei ihm irgendwie gut. Mit ihm als Botschafter könnte Nike als Startup durchgehen. Was die milliardenschwere Firma schon lange nicht mehr ist.
Ade Adidas und Puma
Begonnen hat alles mit dem frisch gebackenen Absolventen und College-Leichtathleten Phil Knight. In den 1960er-Jahren fängt er an, japanische Laufschuhe in den USA zu vertreiben. Er will die deutschen Marktführer Adidas und Puma konkurrenzieren.
Knight holt seinen ehemaligen Trainer, Bill Bowerman, an Bord. Bowerman tüftelte gern. Er will die Laufschuhe noch leichter und schneller machen. Die beiden planen, eine eigene Firma aufzubauen.
1971 gründen sie Nike, benannt nach der griechischen Siegesgöttin. Die Anfänge sind bescheiden. Knight und Bowerman verkaufen die Schuhe an Leichtathletikwettbewerben.
Weltberühmtes Häkchen
Aus Design-Perspektive ist das Herzstück von Nike das Logo. Für 35 Dollar entwirft Grafikdesign-Studentin Carolyn Davidson den «Swoosh». Die einfach geschwungene Linie wird zum weltberühmten Design.
Das Häkchen, das derart ikonisch wird, gefällt dem Gründer anfangs nicht. «Lieben tue ich es nicht, aber ich werde mich daran gewöhnen», wird Phil Knight zitiert.
Sowohl beim Aufstieg von Nike als auch von Designer Martin Lotti spielen Glück und Zufall eine Rolle. Glück, dass die Gründer doch auf den «Swoosh» gesetzt haben.
Glück, dass Lotti auf «ein Girl» gehört hat. Sie hat ihm nach seinem Industriedesign-Studium ein Praktikum bei Nike empfohlen. «Darauf habe ich mich beworben, aber Nike hat mir stattdessen direkt einen Job angeboten», erzählte Lotti in einem früheren Interview.
«Noch nie in meinem Leben hatte ich einen Schuh designt», so Lotti. Sie hätten ihm gesagt: «Just do it!». Den Slogan scheint die Nike-Gefolgschaft gar ernst zu nehmen. Das «Girl» ist heute Martin Lottis Frau. Auch sie arbeitet bei Nike.
Einmal Inspiration, bitte!
Auch nach 27 Jahren designt Martin Lotti noch immer Schuhe und Kleidung. «Ein guter Designer zu sein, bedeutet, ein guter Zuhörer zu sein», sinniert er.
Was inspiriert ihn? Zuallererst gehe es um die Athletinnen und Athleten. «Ich frage mich nicht, ‹was werde ich heute zeichnen?›, sondern, ‹welches Problem eines Sportlers werde ich heute lösen?’”, sagt Lotti.
Regelmässig organisiert er Reisen für sein Team. «Wir lassen uns von der Natur oder Architektur inspirieren. Wir schauen uns alles an. Aber auf keinen Fall Schuhe.»
Wieso? «Leute haben die Tendenz, das zu wiederholen, was sie sehen», so Lotti. Bis zu 18 Monate dauert es, einen Sneaker zu entwerfen.
Ideengeber Waffeleisen
Lotti betont gern, dass Nike nicht über 50 Jahre alt, sondern jung sei. Welche Designs haben Nike zum Durchbruch verholfen?
Das älteste davon ist die Waffel-Sohle. Coach Bill Bowerman konzipierte die gerippte Gummisohle am Frühstückstisch. Die Waffeln inspirierten ihn zur Struktur.
Kurzerhand goss er Gummi ins Waffeleisen. Das Küchengerät ging dabei leider kaputt; die Erfolgssohle war jedoch geboren. Sie sorgte für besseren Halt auf der Laufbahn.
Technologisch gesehen war die «Air»-Sohle ein weiterer Meilenstein. Eine Art Airbag in der Sohle dämpfte den Aufprall. Aber erst ein neues, durchsichtiges Design machte den Schuh erfolgreich. Der «Air Max» war geboren.
Das berühmteste Nike-Modell ist der «Air Jordan»-Sneaker. 1984 bringt ihn Nike zusammen mit dem aufstrebenden Basketballspieler Michael Jordan raus.
Der schwarz-rote Basketballschuh verstösst gegen die NBA-Vorschriften. Jordan wird jedes Mal gebüsst. Der Schuh wird zum Modetrend.
Alles zu glatt?
Nikes Designgeschichte liest sich stellenweise wie eine typische amerikanische Tellerwäscher-Geschichte. Dank harter Arbeit von der Garage in den Sport-Olymp.
Doch auch Misserfolge gibt es bei Nike. Sie werden wohl mit gutem Storytelling umgemünzt. Das Marketingbudget dafür ist gigantisch.
Auch Martin Lottis Sätze hören sich manchmal gar geschliffen an:
«Meine Grossmutter pflegte zu sagen: Je härter du arbeitest, desto mehr Glück hast du.»
Schnitzeljagd auf andere Art
Im Gegenzug dazu wirkt es erfrischend, wenn Chefdesigner Lotti von seinem Design-Versteckspiel erzählt. Da ist der «Nike Kyoto». In dessen Sohle hat er ein Schweizerkreuz versteckt.
Oder der «Air Max 360». Mit Punkten und Strichen verewigte er in der Fersenlasche das Geburtsdatum seines Sohnes. «Details, die wohl niemandem auffallen. Aber mir bedeuten sie viel», gibt er zu.
Oder das Trikot der brasilianischen Fussballnationalmannschaft. Auf dessen Innenseite liess er das Mantra der Mannschaft, «geboren, um Fussball zu spielen», sticken. «So bekam das Trikot mehr Seele», sagt Lotti.
Auch das sind gute Geschichten. Die sich wohl auch gut verkaufen lassen. Das Verspielte wirkt bei Lotti aber authentisch. «Das Designen ist mehr als ein Job, es ist meine Passion.»
Die Ausstellung zeigt, wie sich die Nike-Produkte über die Jahre entwickelt haben und wie die Sportmarke die Gesellschaft beeinflusst hat.
«Nike: Form Follows Motion» ist noch bis zum 4. Mai 2025 im Vitra Design Museum in Weil am Rhein zu sehen.
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