Vom geliebten Bern in eine Auberge in der Drôme
Nichts deutete darauf hin, das Zimi Kesselring und Reno Moser eines Tages nach Frankreich ziehen werden. Doch das Berner Paar, das in seiner Heimatstadt gut etabliert war, beschloss, den Sprung zu wagen: Es übernahm die von Zimis Vater gegründete Herberge.
Zimi arbeitete in der Berner Altstadt, wo sie zusammen mit einer Freundin ein Design-Objekt-GeschäftExterner Link eröffnet hatte. Reno war für die Finanzen im Porsche-Zentrum Bern zuständig. Ihr Plan war es nie, ins Ausland zu ziehen. Doch die Gelegenheit war zu gut, um sie nicht zu packen.
Als Zimis Vater, Martin Kesselring, entschied, sich zurückzuziehen, übernahmen Zimi, ihr Bruder Nicolas und ihr Ehemann Reno 2019 die Leitung der Auberge la PlaineExterner Link (im französischen Departement DrômeExterner Link).
Eine Familienangelegenheit
Die Familie Kesselring und Frankreich verbindet eine lange Geschichte. Seit seiner frühen Kindheit verbringt Zimi seine Familienferien im Südosten Frankreichs. Ihr Vater Martin ist Lehrer und in seiner Jugendzeit als Fremdenführer in den Cevennen tätig.
In den Süden verliebt und auf Betreiben der Familie träumt Martin davon, ein Haus zu erwerben, das er in ein Weiterbildungszentrum für Berner Lehrerinnen und Lehrer umwandeln kann. Mit diesem Projekt im Hinterkopf machten sich Martin und seine Frau auf die Suche nach dem idealen Standort und kauften 1995 ein typisches Bauerngut der Drôme in einem erbärmlichen Zustand.
Leider beschliesst der Kanton Bern, seine Lehrer nicht mehr ins Ausland zu schicken. Die Kesselrings sehen sich gezwungen, ihre Pläne zu ändern. «Mehr oder weniger über Nacht mussten sie plötzlich ein Hotel betreiben und kochen», erzählt Reno.
Zwölf Jahre lang renovieren Familie, Freunde und Handwerker die verschiedenen Gebäude des Bauernguts. Heute beherbergt es 18 Zimmer und ein Restaurant.
Um nichts zu bereuen
Martin und seine Partnerin leiten die Herberge während mehreren Jahren. 2017 rückt der Zeitpunkt der Pensionierung näher. Martin bittet seine Tochter, die eine Ausbildung als Hotelfachfrau hat, La Plaine zu übernehmen. «Dieser Vorschlag kam zu kurzfristig», sagt sie. Zimi und Reno geben sich ein Jahr Zeit, um darüber nachzudenken. 2018 schliesslich sagen sie zu.
«Wir wollen mit 60 nichts bereuen.»
Hinter der Entscheidung stehen auch strategische Überlegungen: «Falls wir uns in fünf oder zehn Jahren zum Verkauf entschliessen, bleibt immer noch Zeit zur beruflichen Reorientierung.» Die Entscheidung spiegelt aber auch eine Grundeinstellung des Paars wider: «Wir haben uns gesagt, wenn wir es jetzt nicht versuchen, werden wir es nie tun. Wir wollten mit 60 dann nichts bereuen.»
So gaben Zimi, Reno und Nicolas «ihre Sicherheit auf» und zogen im Januar 2019 nach Chabrillan.
Berufliche und persönliche Herausforderung
Eine Woche nach ihrer Ankunft in Frankreich fragt sich Reno, was er da eigentlich mache. Doch diese Frage hat sich inzwischen erledigt: «Wir sind Anfänger und müssen unseren Rhythmus finden.»
Zimi Kesselring und ihr Bruder Nicolas sowie Reno Moser sind die Geschäftsführer der Betriebsgesellschaft. Zimi, Nicolas und Elias Kesselring (Martins Kinder) sind die Eigentümer der Liegenschaft.
Jeder musste also seinen Platz finden: Zimi kümmert sich um die Inneneinrichtung, das Personal, das Frühstück und den Empfang der Kundschaft. Reno ist für den administrativen Teil zuständig, insbesondere fürs Finanzielle. Und Nicolas ist der Handwerker des Hauses, der auch im Garten arbeitet.
Neue Generation, neue Wege: Die jungen Manager leiten die Digitalisierung des Hotels ein, führen neue Prozesse ein und arbeiten strukturierter. «Es war mein Vater, der dieses Unternehmen gegründet hatte. Die Veränderungen, die wir vornehmen wollten, gaben viel zu diskutieren.» Martin beschliesst schliesslich, sich aus dem Geschäft zurückzuziehen. Er hilft aber weiterhin im technischen Bereich aus.
«Ein solches Abenteuer ist ein Test für das Paar.»
Die Arbeitsbelastung stellt auch das Paar auf die Probe. In der Schweiz unterstützten sich Zimi und Reno bei Konflikten am Arbeitsplatz gegenseitig. Doch nun arbeiten sie zusammen und haben manchmal unterschiedliche Meinungen. «Ein solches Abenteuer ist ein Test für das Paar. Wenn wir merken würden, dass es in Gefahr ist, würden wir sofort aufhören. Unsere Beziehung steht an erster Stelle», sagt Zimi.
Da es keine räumliche Trennung mehr zwischen Arbeit und Privatleben gibt, gerät alles durcheinander. Man muss «seine Freizeit viel bewusster planen». Deshalb wollen sich Reno und Zimi für die kommende Saison anders organisieren. Sie werden sich auf den Empfang konzentrieren und Personal für die anderen Aufgaben einstellen. Auch wollen sie sich einen freien Tag pro Woche geben, um ein bisschen «abzuschalten».
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Kleine Sorgen der Expats
«Unser grosser Vorteil ist, dass wir keine Vorarbeit leisten mussten.» Es war Martin, der sich vor 25 Jahren mit der Skepsis der Einheimischen konfrontiert sah. Insbesondere, da zum Zeitpunkt des Kaufs des Bauernguts gerade erst das Sonnentempler-Drama stattgefunden hatte – in weniger als 80 Kilometer Entfernung. Die Einwohner der Region fürchteten, dass sich ein Ableger der Sekte ansiedeln könnte.
Weil die Herberge etwas abgelegen vom Dorf liegt und die Arbeitszeiten lang sind, konnten Zimi und Reno sich noch nicht wirklich ein soziales Umfeld aufbauen. Das belastet sie ein bisschen und sie hoffen, dass sich das ändern wird, sobald sie etwas mehr Zeit für Freizeitaktivitäten haben.
Eine weitere Baustelle ist die Verwaltung. «Es ist kompliziert, das französischen System zu verstehen und zu wissen, an wen man sich für welche Fragen wenden kann. Aber wir sind uns bewusst, dass dies nicht nur in Frankreich der Fall ist und dass jeder, der ins Ausland zieht, die gleichen Sorgen hat», sagen sie.
Was ihnen am meisten fehlt, ist die «Züpfe», antwortet Reno sehr spontan und lacht. Neben dem Essen fehlen ihnen die Eigenschaften, für welche die Helvetier bekannt sind: Genauigkeit und Pünktlichkeit. Und als richtige Berner, die es gewohnt sind, in der AareExterner Link zu schwimmen, würden sie gerne in dem Fluss unweit der Auberge schwimmen, doch der trocknet im Sommer leider fast gänzlich aus.
Gibt es auch Dinge, die ihnen in Frankreich besser gefallen als in der Schweiz? Zimi antwortet ohne zu zögern «Das Klima!» Reno seinerseits findet, dass die Franzosen «weniger kompliziert» seien als die Schweizer. «Sie sind weniger engstirnig und mehr lösungsorientiert.»
Fünf Jahre Zeit
«Jeder träumt davon, irgendwo ein Hotel zu betreiben, aber nur wenige machen es», sagt Zimi. Geld und Ausdauer seien die Haupthindernisse. «Um einen solchen Ort aufzubauen, wie das mein Vater tat, muss man hartnäckig sein.»
Und Reno sagt, dass sie sich sicherlich nie auf ein solches Abenteuer eingelassen hätten, wenn sie nicht die Möglichkeit gehabt hätten, den Betrieb zu übernehmen. Zumindest «nicht in diesen Proportionen».
Denn beide bezeichnen sich als «echte Berner», die sich in ihrer Heimatstadt sehr wohl fühlten und denen die Entscheidung zur Auswanderung nicht leicht fiel. Sie geben sich fünf Jahre Zeit, um sich niederzulassen und das Geschäft nach ihren Wünschen zu entwickeln.
2018 lebten fast 198’000 Schweizerinnen und Schweizer in Frankreich. Das entspricht 26% aller Auslandschweizer. Sie bilden somit die grösste Auslandschweizer-Community. Es folgen Deutschland (90’400 Personen), Italien (49’600), Grossbritannien (35’700) und Spanien (23’800).
Die Zahl der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer nimmt in all diesen Ländern zu, am stärksten in Grossbritannien (+2,7%) und am wenigsten in Italien (+0,1%).
Ausserhalb Europas leben fast 24% der Schweizerinnen und Schweizer in Amerika, 7% in Asien, 4% in Ozeanien und 3% in Afrika. Die Länder mit der höchsten Zahl sind die USA (80’400 Personen), gefolgt von Kanada (40’000), Australien (25’100) und Israel (20’200).
(Übertragung aus dem Französischen: Kathrin Ammann)
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