Wie der böse Bube Schmutzli seinen Ruf aufpolierte
Es war einmal eine geheimnisvolle, dunkle Gestalt, die Anfang Dezember in die Schweizer Häuser kam, die Kinder mit der Rute fitzte und (kurzzeitig) in den Sack steckte, damit sie sich künftig besser benehmen würden. Aber die Zeiten änderten sich und Schmutzli, der Schweizer Helfer des Samichlaus, bekam ein neues Image. Was ist passiert?
Edy Jauch erinnert sich noch gut daran, wie Schmutzli Kinder in einem Sack in den Wald schleppte. «Das würde heute an Entführung grenzen», sagt er.
Doch Jauch, Mitglied einer Zentralschweizer Brauchtumszunft, sagt gegenüber der Luzerner ZeitungExterner Link, die Zunft sei den Schmutzli nicht losgeworden.
Der Schmutzli sei kein böser, bulliger Bodyguard, sagt Jauch. Vielmehr sei er ein Gehilfe, der im Hintergrund stehe und auf Verlangen des Samichlaus nach vorne trete. Respekt dürfe er einflössen, doch «der Schmutzli soll keine Angst vermitteln».
Wünsche die Familie hingegen, dass der Schmutzli vor der Tür bleibe, dann warte er draussen. «Das ist aber nur sehr selten der Fall.»
Die Tradition eines bärtigen, etwas unheimlichen Begleiters des Nikolaus reicht in Nordeuropa Jahrhunderte zurück. In Deutschland zum Beispiel wird der Mann in Rot von Knecht Ruprecht begleitet, in den Niederlanden vom Zwarte Piet (Schwarzer Peter, dazu später mehr).
In der Schweiz hat sich der Nikolausbrauch mit einem Lärm- und Maskenfest aus vorchristlicher Zeit vermischt, wie Kurt Lussi, Autor und ehemaliger Kurator für religiöse Volkskunde am Historischen Museum Luzern, in einem früheren Artikel gegenüber SWI swissinfo.ch erklärte.
Der Schmutzli sei ein Symbol für die bösen Geister, die man an diesen alten Festen mit einer Kombination aus Lärm und Licht vertreiben wollte, sagte er.
«Aus dem Jahr 1910 haben wir Aufzeichnungen über eine seltsame Figur, die am Nikolaustag erschien und Butzli genannt wurde, was später in Schmutzli geändert wurde», so Lussi.
«Als Schmutzli verstand man damals eine hässliche Gestalt mit einem verborgenen Gesicht, und diese erschien mit einem schwarzen Gesicht, roten Augen und einer schwarzen Mütze.»
Lussi zitiert eine noch frühere Illustration aus dem Jahr 1486, die einen Dämonen zeigt, der Kinder raubt. «Dieses Motiv des Kinderraubs taucht beim Schmutzli wieder auf», sagte er.
«Es gibt auch das Sträggele, eine andere kinderraubende Figur, die ich als einheimischen Schweizer Dämonen bezeichnen würde. Er wird mit dem Birkenbesen in Verbindung gebracht, den auch der Schmutzli trägt.»
Der Samichlaus, die deutschschweizerische Version des Nikolaus, und der Schmutzli (in der Westschweiz Père Fouettard genannt) ziehen traditionell durch die Strassen, klingeln an Haustüren und erkundigen sich in einem klassischen Gut-Böse-Doppelakt, wie gut sich die Kinder im vergangenen Jahr benommen haben.
Zu den Strafen gehörten früher (leichte) Schläge mit dem Birkenbesen – und unartige Kinder riskierten, in einen Sack oder Korb gepackt zu werden.
«Wir sind keine Polizisten»
Kein Wunder, dass die Kinder dem Schmutzli misstrauen. «Als Kinder haben wir uns während des Jahres so schlecht benommen, dass wir am Tag des Samichlaus- und Schmutzli-Besuchs immer eine Schere in der Hose hatten! Wir hofften, uns aus dem Sack schneiden zu können», gibt ein SWI swissinfo.ch-Kollege zu, der sich heute übrigens meist sehr gut benimmt.
Auch heute frage ein Kind ab und zu, ob es mitgenommen werde, sagt Daniel Küng, Präsident der Samichlausgesellschaft Littau, gegenüber der Luzerner ZeitungExterner Link.
«Dann schimpfen wir mit dem Grossvater, der ihnen solche Sachen erzählt», sagt er. «Wir wollen die Leute auf Weihnachten einstimmen, wir sind keine Polizisten, die in den Stuben für Ordnung sorgen.»
Im vergangenen Dezember trafen sich rund 50 Personen zur Samichlaus-Synode im aargauischen Wislikofen. In einem Punkt waren sich alle einig: Der Samichlaus, und vor allem der Schmutzli, hat sich in den letzten 25 bis 50 Jahren stark verändert.
«Der böse Schmutzli, der die Kinder in den Sack steckt, existiert nicht mehr», sagt Jürg Thrier von der Interessengemeinschaft Samichlaus Schweiz gegenüber dem Tages-AnzeigerExterner Link. Er spielt den Weissbärtigen seit 33 Jahren.
Laut Jauch gibt es heute am Samichlausumzug manchmal Jugendliche, welche die Tradition nicht verstehen und gegenüber dem Schmutzli aggressiv auftreten würden.
«Sie wollen ihm die Rute wegnehmen, um ihn selber zu fitzen», so Jauch in der Luzerner Zeitung. Die Schmutzlis würden instruiert, in solchen Situationen nicht provokativ zu reagieren.
«Es gibt mal einen liebevollen Klaps mit der Rute für einen Passanten oder ein Brämi für ein Modi», sagt Jauch schmunzelnd.
Er meint damit Schmutzlis Versuch, einer Frau etwas von seiner eigenen Schminke auf die Wange zu schmieren. «Es kann durchaus vorkommen, dass ein Schmutzli am Ende seiner Tour praktisch abgeschminkt ist.»
Schwarze Schminke
Achtung, heikles Thema: Männer in schwarzen Masken, die Frauen allenfalls bedrängen? Das kann problematisch erscheinen.
In den Niederlanden landete der Zwarte Piet vor den Vereinten NationenExterner Link. Er stellte ursprünglich einen schwarzen Diener oder Sklaven aus der Zeit des niederländischen Imperialismus dar und wurde von der UNO als rassistisch und erniedrigend eingestuft.
Beim Schmutzli hingegen ist die Schalage anders: Sein dunkles Gesicht ist auf Schmutz oder Russ zurückzuführen.
«Wir sehen keine Problematik mit dieser Tradition», sagt Stephanie Graetz, Leiterin der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, gegenüber 20 MinutenExterner Link.
Der schwarz gefärbte Schmutzli habe keinen rassistischen Hintergrund. Vielmehr blicke er auf einen mythologischen Ursprung und eine Herkunft als Teufelsgestalt zurück.
Markus Kolly, Samichlaus in Freiburg, hat einen praktischen Grund für seine schwarze Schminke. «Es geht darum, dass man die Person hinter dem Schmutzli nicht erkennt», sagt er im gleichen Artikel von 20 Minuten.
«Die Kinder sollen keine Ähnlichkeiten sehen mit Leuten, die sie kennen. Deshalb bekommen Schmutzlis auch Perücke und einen falschen Bart.»
Zudem haben nicht alle Schmutzlis schmutzige Gesichter – das Abschminken und Reinigen der Kleider sei schliesslich harte Arbeit, sagt Martin Kempf, Betreiber der Website Chlaus.ch, gegenüber 20 Minuten.
Die Interpretation des Schmutzlis sei grundsätzlich von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich. «In manchen Regionen tritt der Schmutzli als Kohler auf und streicht den Leuten von seiner Farbe ins Gesicht», sagt er.
Aus seiner Kindheit kennt Kempf jedoch auch das Gegenteil: «In Orten der Innerschweiz wird der Samichlaus von Helfern begleitet, die weiss oder auch als Engel dargestellt werden.»
«Der Samichlaus ist da!»
Was machen eigentlich ein Schmutzli und ein Samichlaus im 21. Jahrhundert? Letztes Jahr verkleidete sich ein Journalist der Zürichsee Zeitung einen Abend lang als SchmutzliExterner Link (Bild) und begleitete den Samichlaus auf seinen Runden in Stäfa, einer Gemeinde oberhalb des Zürichsees.
So beschrieb er diesen Abend: Vor dem ersten Mehrfamilienhaus fragt der Samichlaus: «Schmutzli, sitzt der Bart ordentlich?» Im Schein der Laterne überprüft Schmutzli dessen schneeweisse Haarpracht und nickt. «Dann kannst du jetzt das Glöckchen läuten.»
Die beiden stehen erst im Hausgang, als sie bereits ein Kind hören: «Mami, de Samichlaus isch da!» Der Samichlaus klopft dreimal energisch an die Tür und tritt dann in die Wohnung.
«Empfangen werden wir vom fünfjährigen Noé (alle Namen geändert), der uns sichtlich aufgeregt und mit glänzenden Augen ins Wohnzimmer führt. Sein einjähriges Schwesterchen Sarah begutachtet uns derweil etwas verwundert. Wir nehmen auf zwei bereitgestellten Stühlen Platz und der Samichlaus schlägt sein Buch auf», berichtet der Schmutzli-Journalist.
«So, lieber Noé», beginnt der Samichlaus mit einer etwas dröhnenderen Stimme als zuvor. «Warst du dieses Jahr ein lieber Junge?» Eifrig beginnt das Kind zu nicken. «Dann schauen wir doch mal, was der Schmutzli über dich aufgeschrieben hat», fährt er fort und wirft dem Journalisten einen verschwörerischen Seitenblick zu.
«Im Kindergarten machst du gut mit», lobt der Samichlaus. «Am Esstisch zu Hause bist du manchmal aber ein wenig ’schnäderfrässig›.» Der Junge senkt einsichtig den Kopf und sagt: «Das wird sich nächstes Jahr bestimmt ändern.»
«Nachdem der Samichlaus das Buch wieder zugeklappt und Noé sein Sprüchlein aufgesagt hat, habe ich meinen Einsatz. Ich greife tief in meinen Jutesack und ziehe die beiden kleinen Säckchen heraus, die ich dem Jungen übergebe», so der Bericht des Journalisten weiter.
«Jetzt müssen wir aber weiter», sagt der Samichlaus, erhebt sich und nimmt seinen Stab in die Hand. «Auf uns warten noch viele andere Kinder.»
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