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Ein Robotik-Pionier baut Brücken

Ein Mann hält zwei Gegenstände in die Kamera
EPFL-Professor Francesco Mondada mit zwei Thymios, den eigens zu Bildungszwecken entwickelten Mini-Robotern. © Keystone / Jean-christophe Bott

Der international renommierte Forscher Francesco Mondada hat in Lausanne einflussreiche Mini-Roboter entwickelt. Mit "Khepera" erobert er die Wissenschaft, mit "Thymio" die Bildungswelt. Mondada ist der zwölfte Schweizer Digitalpionier, den wir in unserer Serie Swiss Digital Pioneers porträtieren.

Der eine Grossvater war ein jurassischer Uhrmacher, der andere Tessiner Schulinspektor. Robotik-Pionier Francesco Mondada hat die Technikbegeisterung und Feinmechanik der Uhrenindustrie mit der Bildung verbunden. 

Privat kombiniert er die drei grossen Schweizer Sprachregionen: die Tessiner Herkunft mit seinem Wohn- und Arbeitsort Lausanne und seiner Deutschschweizer Frau und Mutter seiner drei Kinder. So gesehen ist Francesco Mondada ein geborener Brückenbauer.

Vater von Thymio

Wir skypen zwischen Zürich und Lausanne und sprechen (obwohl wir beide der drei Landessprachen einigermassen kundig sind): Englisch, die lingua franca der Wissenschaft. Francesco Mondada sitzt in seinem Büro an der EPFL in Lausanne. Im Hintergrund entdecke ich verschiedene Roboter-Prototypen, die er mir später während unserer Videokonferenz noch vorführen wird.

In der Schweizer Bildungsszene ist er bekannt als «Vater von Thymio». Der kleine weisse Bildungsroboter Thymio ist dank seinen Rädern mobil. Mit Sensoren zum Sehen und Hören ausgestattet kann Thymio Geräusche und farbiges Licht aussenden. 

Kinder und Erwachsene können ihm Verhaltensweisen beibringen, die sie selber programmieren, um eine Interaktion zwischen ihnen und dem Roboter zu erzeugen. Auf spielerische Weise ermöglicht der Mini-Roboter die Auseinandersetzung mit Mensch- und Maschine-Interaktion und ein Grundverständnis für Programmierung.

An einer Zürcher Bildungstagung führt Professor Mondada seinen Thymio vor:

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Thymio ist jedoch bei weitem nicht das erste Erfolgsprojekt des Robotik-Professors. 

Wie kam er dazu, sich mit künstlicher Intelligenz zu beschäftigen? «Mein Vater war ein Mechanik-Lehrer an der Kunstgewerbeschule im Tessin, meine Mutter war die Tochter eines Uhrmachers, der aus dem Jura nach Domodossola ging, um eine Uhrenfabrik zu eröffnen. Mein Bruder und ich hatten daher schon früh Zugang zu Technik und einer Werkstatt zu Hause.» 

Als 14-Jähriger gewinnt Mondada Anfang der 1980er-Jahre bei einem San-Pellegrino-Wettbewerb einen Computer: einen VIC-20Externer Link. Begeistert bastelt er damit. Noch bevor er 1986 nach Lausanne an der EPFL studieren wird, baut er einen Roboter-Arm, der von einem Commodore gesteuert wird. «Eigentlich wollte ich an die ETH Zürich gehen, wie alle Tessiner», sagt er und schmunzelt. Doch will er nicht einfach Informatik studieren. 

Ihm wird geraten, stattdessen an der EPFL Mikrotechnik zu studieren, ein Fach, das in Lausanne durch die Nähe zur Westschweizer Uhrenindustrie Mechanik integriert. Tatsächlich kann er an der EPFL optimal sein informatisches und mechanisches Interesse kombinieren.

Zuerst war da ein jonglierender Roboter

Sein wichtigster Lehrer und Förderer wird der EPFL-Professor und Schweizer Digitalpionier Jean-Daniel Nicoud. Dieser nimmt als Mikroprozessor-Spezialist in der internationalen ComputergeschichteExterner Link einen prominenten Platz ein. Nicoud hat beispielsweise die erste Logitech-Maus entwickelt und das Computersystem SmakyExterner Link. In Nicouds Forschungslabor LAMI (Laboratoire de Micro-Informatique) gedeiht der junge Mondada. 

«Mein erstes Projekt mit Nicoud war ein sechsbeiniger Roboter mit nur fünf Motoren. Meine Diplomarbeit war ein jonglierender Roboter, der visuelle Sensoren hatte und dank neuronalen Netzwerken funktionierte.» 1997 schliesst er auch sein Doktorat zu neuronalen Netzen ab und bleibt bis 2000 in Nicouds Forschungslabor.

Während des Doktorats gründet Mondada mit anderen auch die Firma K-TeamExterner Link, die den seit 1991 eigens entwickelten Roboter KheperaExterner Link weltweit zugänglich macht. Khepera ermöglicht fachfremden Forscherinnen und Forschern Robotik-Experimente. «Ich interessiere mich sehr für interdisziplinäre Teams und mag den Austausch zwischen Technik und anderen Disziplinen», so Mondada. Insbesondere in der Biologie und in der Psychologie stösst Khepera auf reges Interesse. 

Roboter unter Hühnern, Fischen und Bienen

Mit Schwarmrobotern kann das Sozialverhalten von Tieren wie Ameisen und Bienen besser untersucht werden. Nun geht die Forschung an Mondadas Lehrstuhl noch einen Schritt weiter hin zur Tier-Roboter-Interaktion. Die Experimente versuchen, ein künstliches Tier als Mitglied einer Gruppe von Hühnern, Fischen oder Bienen einzuschleusen und die Akzeptanz der jeweiligen Tiere zu erlangen. «Wir verfolgen damit das Ziel, biologische Hypothesen zu überprüfen.» In einem Experiment gelang es seinem Team gemeinsam mit der europäischen Forschungsgruppe ASSISIbfExterner Link, die Kommunikation zwischen Bienen und Fischen zu ermöglichen:

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Für einige Jahre ist Mondada CEO von K-Team, der Firma, die Khepera weltweit vertreibt. Aber im Herzen sei er ein Forscher und kein Business-Mann, betont er. «Ich habe damals einen neuen CEO gesucht und mich selbst gefeuert.» Er lacht. Konsequenterweise wird Thymio non-profit vertrieben.

Technologie für die Schulen

Global und in der Wissenschaftswelt hat sich Mondada insbesondere mit Khepera einen Namen gemacht. Mehr als 1000 Universitäten weltweit nutzen Khepera und mehrere Tausend wissenschaftliche Papers basieren auf Experimenten anhand von Khepera. Francesco Mondada publiziert weiterhin in einschlägigen Journals, um seine wissenschaftliche Reputation beizubehalten. Im Gespräch wird jedoch spürbar, dass viel Herzblut in den Bildungsbereich fliesst.

«Technologie und Gesellschaft sind fundamental verknüpft.»

Was reizt ihn daran, Technologie in Schulen zu bringen? «Streng genommen geht es mir nicht um die Kinder. Es geht mir um die Lehrpersonen. Ich möchte, dass Lehrpersonen ihr Technik-Bild ändern. Technik ermöglicht Kreativität. 

Und Technik in Schulen ermöglicht auch die wichtige Diskussion über die Gefahren von Technologie.» Man könne doch nicht einfach sagen, man müsse Technologie aus Schulen verbannen. Lehrpersonen müssten ausgebildet werden, damit später mündige Persönlichkeiten die Schule verlassen, die sinnvoll und kritisch mit Technologie umgehen können. 

E-Voting hat keine Priorität

«Technologie und Gesellschaft sind fundamental verknüpft. Es reicht nicht, Informatik in Schulen einzuführen. Man muss es verknüpfen mit Sozialwissenschaften und Psychologie.» Mondada betont in erster Linie die gesellschaftliche Verantwortung in der zunehmend technologisierten Welt. 

So erstaunt es kaum, dass der Technikpionier zum Thema digitale Demokratie Folgendes betont: «Es spielt mir keine Rolle, ob die Stimmbürgerinnen und -bürger auf Papier oder digital abstimmen. E-Voting hat keine Priorität. Ich möchte in erster Linie kritisch denkende Wählerinnen und Wähler.»

Was macht Mondada zu einem Schweizer Digitalpionier? Mit spielerischer Leidenschaft baut der EPFL-Professor seit Jahrzehnten Brücken zwischen Technik und Gesellschaft, Technik und nicht-technischen Fächern und macht Technik zugänglich für heranwachsende Generationen. Technisch kombiniert er Feinmechanik und Informatik, wissenschaftlich macht er Robotik anderen Disziplinen zugänglich. 

Im Schulbereich erobert er mit Mini-Robotern Schulstuben, weil er überzeugt ist, dass junge Menschen im digitalen Zeitalter früh über die Chancen und Gefahren von Technologie nachdenken sollen. Nicht zuletzt baut er Brücken über den Röstigraben und in die Südschweiz – und als Wissenschaftler global.

In der Serie SWISS DIGITAL PIONEERS porträtiert SWI swissinfo.ch interessante Schweizer Persönlichkeiten im Ausland oder mit internationaler Ausstrahlung, die früh das Potenzial digitaler Technologien erkannt und für ihre Tätigkeiten erfolgreich genutzt haben. Die Autorin Dr. Sarah GennerExterner Link ist Medienwissenschaftlerin und Digitalexpertin. 2017 erschien ihr Buch ON | OFF.

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