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Schweizer Banken auf der Anklagebank

Bundesstrafgericht in Bellinzona
Die Falcon Bank und ihr ehemaliger Geschäftsführer werden voraussichtlich am 24. März als Angeklagte vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona erscheinen. Keystone / Pablo Gianinazzi

Erstmals in der Geschichte muss sich eine Schweizer Bank – Falcon – vor dem Bundesstrafgericht verantworten. Weitere Verfahren gegen Schweizer Banken könnten in naher Zukunft folgen. Als Erstes gegen die Credit Suisse.

Am 17. Dezember kündigte die Bundesanwaltschaft anExterner Link, sie habe Anklage gegen die Bank Credit Suisse AG erhoben. Der zweitgrössten Bank der Schweiz wird vorgeworfen, nicht alle erforderlichen und zumutbaren organisatorischen Vorkehrungen getroffen zu haben, um die Geldwäscherei von Vermögenswerten zu verhindern, die einer bulgarischen kriminellen Organisation gehörten.

Die Grossbank habe gegen Artikel 102 des Strafgesetzbuchs verstossen. Demnach kann ein Unternehmen verurteilt werden, wenn es versäumt hat, Straftaten wie Geldwäsche oder Korruption zu verhindern.

Die 2003 eingeführte Strafnorm wurde bisher rund ein Dutzend mal angewendet. Sie sieht eine Maximalstrafe von fünf Millionen Franken vor. Multinationale Unternehmen wurden bereits sanktioniert: Alstom, Stanford Group, Odebrecht, KBA Notasys, Dredging International, Nitrochem, Andrade Gutierrez und Gunvor. Aber noch nie wurde eine Bank verurteilt.

Zudem wurden alle diese Verurteilungen mittels Strafbefehl ausgesprochen. Das ist eine Art Vereinbarung zwischen der Bundesanwaltschaft und dem Unternehmen. Dabei räumt letzteres den Sachverhalt ein und akzeptiert eine mögliche Geldstrafe, Konfiszierungen oder Schadenersatz-Forderungen. So kann das Unternehmen die Risiken eines Prozesses und eine übermässige Medienpräsenz vermeiden.

Die Credit Suisse hingegen hat keinen solchen Deal geschlossen. In einer MitteilungExterner Link nahm die Bank die Anklage «mit Befremden zur Kenntnis». Sie weise die Vorwürfe zurück und werde «ihre Position entschlossen verteidigen».

Sollten die Richterinnen und Richter die Anklage akzeptieren, wird die Credit Suisse vor Gericht gestellt. Allerdings wäre die Grossbank nicht die erste Schweizer Bank, die auf der Anklagebank des Bundesstrafgerichts (BstGer) landet. Vor ihr steht der Prozess gegen die Falcon Bank an.

Historischer Prozess im März

Der Termin ist auf den 24. März angesetzt: In Bellinzona werden die Falcon Bank und Eduardo Leeman, ihr Geschäftsführer von 1997 bis 2017, als Angeklagte in Bellinzona antreten müssen. Der ehemaligen Führungskraft wird vorgeworfen, die Bank habe zweistellige Millionenbeträge zugunsten von Khadem al-Qubaisi gewaschen.

Letzterer war Verwalter des Staatsfonds von Abu Dhabi. Gegen ihn laufen Untersuchungen in einem separaten Verfahren um den malaysischen Fonds «1Malaysia Development Berhad» (1MBD). Laut der BA wurde das Geld, das Leeman gewaschen haben soll, von al-Qubaisi durch untreue Geschäftsführung erlangt. Das soll einer Tochtergesellschaft des Abu-Dhabi-Fonds einen Schaden von fast 150 Millionen Franken zugefügt haben.

Die Falcon Bank wiederum, deren Ex-Chef die Vorwürfe zurückweist, hat einen Hauptaktionär: den Staatsfonds von Abu Dhabi. Der Bank wird vorgeworfen, riskante Geschäftsbeziehungen nicht ausreichend überwacht zu haben.

Zudem habe das in Zürich ansässige Geldinstitut Interessenkonflikte nicht verhindert: Khadem al-Qubaisi war nicht nur ein wichtiger Kunde der Bank, sondern auch ihr Verwaltungsrats-Präsident. Von swissinfo.ch kontaktiert, sagt ein Presseverantwortlicher der Bank: «Falcon bestreitet die in der Anklageschrift erhobenen Vorwürfe und wird ihre Interessen vor Gericht verteidigen.»

Der Termin ist historisch: Erstmals wird in der Schweiz die strafrechtliche Verantwortung eines Unternehmens von den Richterinnen und Richtern eines Bundesgerichts beurteilt. Zwar hatte die BA bereits 2018 eine Anklageschrift bezüglich einer Bank an das BstGer geschickt, aber die Richter wiesen diese an den Absender zurück.

Der Fall betraf die Bank Höttinger (heute in Liquidation) und deren Tochter im Kanton Tessin. Sie waren in eine millionenschwere Veruntreuung von Konten des italienischen Innenministeriums verwickelt. Die Anklage gegen die beiden Unternehmen wurde später im Jahr 2019 fallengelassen.

Positiv für Justiztransparenz

«Die Tatsache, dass zum ersten Mal ein Fall dieser Bedeutung, in den ein Unternehmen verwickelt ist, Gegenstand eines öffentlichen Prozesses ist und nicht durch einen Strafbefehl erledigt wird, ist positiv für die Transparenz der Justiz», sagt Katia Villard. Sie ist Forscherin am Zentrum für Banken- und Finanzrecht in Genf und Dozentin an der Universität der Stadt.

Die Verfasserin einer Doktorarbeit über die strafrechtliche Haftung von Unternehmen erinnert daran, die mangelnde Publizität eines Strafbefehls sei einer der Punkte gewesen, den die OECD-Experten in ihrem letzten Bericht über die Schweiz und die Korruptionsbekämpfung kritisiert hätten.

«Ein Strafbefehl ist zwar effektiv, dient aber in erster Linie der Klärung kleinerer Fälle und bietet nicht die notwendige Transparenz, die nur ein öffentlicher Prozess haben kann. Dies besonders bei grösseren Fällen, wie sie meist multinationale Unternehmen oder Banken betreffen.»

Villard wird genau beobachten, was im kommenden März in Bellinzona passiert: Gemäss Artikel 102 des Strafgesetzbuchs könne ein Unternehmen verurteilt werden, wenn es Straftaten wie Geldwäsche oder Korruption nicht verhindert habe. «Es wird interessant, wie Staatsanwaltschaft, Verteidigung und das Gericht diese Norm bei einem Sachverhalt interpretieren, in dem die Fakten umstritten sind.»

Für die Expertin wird der zentrale Punkt dieses Prozesses – und der anderen, die folgen werden – die Art und Weise sein, wie die Wechselbeziehung zwischen dem Einzelnen, welcher der Geldwäsche beschuldigt wird, und der Bank beurteilt werden wird.

«Die Verurteilung eines ehemaligen Mitarbeiters ist theoretisch keine Voraussetzung für die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Unternehmens. Das Unternehmen kann nur dann wegen unterlassener Verhinderung von internen Geldwäsche-Handlungen verurteilt werden, wenn nachgewiesen werden kann, dass ein Mitarbeiter solche Handlungen vorsätzlich begangen hat. Den Begriff der fahrlässigen Geldwäsche im Schweizer Strafrecht gibt es faktisch nicht.»

Daher sei die Verurteilung einer Person, im Fall von Falcon der ehemalige Geschäftsführer, ein notwendiger Schritt, um die strafrechtliche Verantwortung der Bank zu begründen. Das reiche aber nicht aus: Es müsse auch eine mangelnde interne Organisation zum Zeitpunkt der Ereignisse nachgewiesen werden.

Auch im Fall der Credit Suisse gibt es eine doppelte Anklage: gegen die Bank und eine ehemalige Mitarbeiterin. Es ist kein Zufall, dass die Bank nicht nur die Vorwürfe gegen sie selber formell zurückweist, sondern auch sagt, es sei «von der Unschuld ihrer ehemaligen Mitarbeiterin überzeugt».

Grégoire Mangeat, der Anwalt der ehemaligen Mitarbeiterin, betont seinerseits die «völlige Unschuld» seiner Mandantin, die als eine Art Sündenbock gelte: «Die Tatsache, dass die BA versucht, eine Angestellte ohne Bank- oder Universitätsausbildung für Handlungen zu verurteilen, die von einer Reihe von hierarchischen Vorgesetzten gebilligt, praktiziert und ermutigt wurden – Männer, die gut ausgebildet sind und oft mehr als zwanzig Jahre Erfahrung in der Bankenwelt haben –, ist nicht nur gesetzeswidrig, sondern auch ziemlich ekelhaft.»

Zahlreiche laufende Untersuchungen

Im November 2016 erklärte der damalige Bundesanwalt Michael Lauber in einem Interview mit der Zeitung Le TempsExterner Link seine Bereitschaft, Banken und Unternehmen, die in Korruptions- und Geldwäschefälle verwickelt sind, effizienter und effektiver zu verfolgen.

Ein Tempowechsel zum «Schutz des Finanzplatzes Schweiz» in einer Zeit, in der immer wieder internationale Skandale auftauchten, in die Schweizer Banken verwickelt waren (1MBD, Petrobras, Fifa, usw.). Diese Strategie basiert auf einer stärkeren Durchsetzung von Artikel 102 des Strafgesetzbuchs. Die nahe Zukunft wird uns zeigen, ob diese vom ehemaligen Bundesanwalt angestrebte Strategie die richtige Wahl war.

Tatsächlich haben Ermittlungen und auch Verurteilungen dieser Art seither zugenommen. Zusätzlich zu den Fällen, die bereits vor Gericht gelandet sind, gebe es «rund 20 laufende Ermittlungen gegen Unternehmen», wie die Bundesanwaltschaft gegenüber swissinfo.ch erklärt.

Zu den bedeutendsten Fällen gehören die Ermittlungen gegen den Rohstoffriesen Glencore, den Waadtländer Multi Sicpa oder die drei Freiburger Tochtergesellschaften des niederländischen Riesen SBM Offshore.

Weitere Untersuchungen gegen Banken sind ebenfalls im Gang. PKB, J. Safra Sarasin und Banque Cramer werden verdächtigt, Geldwäsche im Zusammenhang mit dem brasilianischen Petrobras-Skandal nicht verhindert zu haben. Gegen Lombard Odier wird wegen ihrer angeblichen Verwicklung in die Affäre um die Gelder der Tochter des verstorbenen usbekischen Diktators Islom Karimov ermittelt, gegen die inzwischen bankrotte BSI wegen der Vorgänge im Zusammenhang mit dem malaysischen Fonds 1MBD.

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