Ukraine-Krise: Die Schweiz wartet mit Sanktionen ab
Das Schweizer Aussendepartement verurteilt das Vorgehen Russlands gegenüber der Ukraine. Aber wird die Schweiz auch Sanktionen folgen lassen?
Der Westen ist empört über den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine: Die EU verhängt neue Sanktionen gegen Russland. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz kündigt einen Stopp des Pipeline-Projekts Nord Stream 2 an. Und die Uno kritisiert den Entsendungsbefehl von russischen Truppen in den Osten der Ukraine als Verstoss gegen die UN-Charta.
Auch das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) verurteilt die Anerkennung der ukrainischen Regionen in Luhansk und Donezk durch Russland als unabhängige Volksrepubliken. Für die Schweiz stellt das Vorgehen Russlands eine Verletzung des Völkerrechts dar. Sie hat daher den russischen Botschafter einbestellt.
Wird die Schweiz aber auch Sanktionen gegen Russland ergreifen? 2014 hat die Schweiz bei den Russland-Sanktionen nicht mitgemacht, obwohl sie die Annexion der Krim verurteilte. Der Bundesrat begründete den Entscheid damit, die Schweiz wolle ihre Position als Vermittlerin nicht schwächen. Sie präsidierte damals die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Heute ist das anders: Zwar hätten sich am Donnerstag die Aussenminister Antony Blinken und Sergej Lawrow erneut in Genf treffen sollen. Die Vermittlerrolle hat in dieser Krise jedoch Frankreich an sich gerissen.
Die Schweiz kann, muss aber nicht
Rechtlich ist die Situation so: Die Schweiz kann sich gemäss Embargogesetz Sanktionen anschliessen, muss aber nicht. Die Entscheidung liegt beim Bundesrat. Er kann zur Wahrung schweizerischer Interessen beschliessen, Sanktionen nicht mitzumachen. EU-Sanktionen sind für die Schweiz freiwillig, denn sie ist nicht Mitglied der Union.
Es gibt eine einzige Ausnahme: Seit die Schweiz 2002 der Uno beigetreten ist, muss sie Sanktionsbeschlüsse des Uno-Sicherheitsrates umsetzen. Da Russland als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats ein Veto-Recht hat, sind Uno-Sanktionen in diesem Fall eher unwahrscheinlich.
Die Betreibergesellschaft von Nord Stream 2 hat ihren Sitz im Kanton Zug. Ein Verbot der Pipeline könnte Auswirkungen auf die Betreiberfirma haben. Bis jetzt hat Deutschland jedoch bloss die Zertifizierung gestoppt.
Immerhin: Es ist davon auszugehen, dass die Schweiz – wie bereits 2014 – Massnahmen ergreifen wird, damit die Schweiz nicht zur Umgehung der Sanktionen der EU oder der USA missbraucht wird. Diese Massnahmen sind zahmer als echte Wirtschaftssanktionen, die immer auch einer politischen Aussage gleichkommen.
Der Bundesrat wird sich heute, Mittwoch, mit der Frage befassen. Er muss entscheiden, ob und wie weit die Schweiz mit den Sanktionen der EU mitzieht.
Bankkonten sperren?
Tim Taylor ist ein britischer Russland-Experte, der sich um eine umfassende Sanktionierung der russischen Nomenklatura bemüht und dazu einen PodcastExterner Link unterhält. Seiner Ansicht nach wären Sanktionen vor allem dann effizient, wenn sie den «Kreml, die Oligarchen und ihre Verbündeten am stärksten treffen», also auch die Direktoren der russischen Geheimdienste und Putins Sicherheitspersonal.
Würde die Schweiz dies anstreben, müsste sie «die Sanktionierung von Niederlassungen der grossen russischen Banken und Finanzinstitute in der Schweiz in Betracht ziehen». Eine entsprechende Rechtsgrundlage vorausgesetzt, müsste sie ebenso auf die Vermögenswerte zielen, konkret jene «Putins, seines inneren Kreises von Ministern, Helfern und Oligarchen», diese also einfrieren. Wirksam wäre seiner Ansicht nach zudem die Sanktionierung von grossen russischen Unternehmen.
Unter den Unternehmen mit starken Bindungen zu Russland figurieren insbesondere Schweizer Rohstoffkonzerne. Trafigura und Vitol haben Anteile an Rosneft-Projekten und handeln mit russischem Öl, was auch auf Gunvor zutrifft.
Klar ist für Tim Taylor aber: «Für jede von der Schweiz umgesetzte Sanktion wird die russische Regierung Vergeltung üben.»
Wir haben die Politikwissenschaftlerin Leandra Bias von der Schweizerischen Friedensstiftung Swisspeace zur aktuellen Situation befragt.
swissinfo.ch: Die Schweiz wartet wie immer zuerst ab, was die EU macht.
Leandra Bias: Immerhin hat die Schweiz sofort ein Statement abgegeben, das ist mehr als in anderen Fällen. Aber auch sonst ist es wenig erstaunlich: Die Schweiz erlässt nach wie vor nicht selbständig Sanktionen – obwohl das rechtlich möglich wäre, wenn der Bundesrat ein Interesse darin sähe –, und wartet aus Neutralitätsgründen lieber ab. Dies, um glaubwürdig die Vermittlerinnenrolle einnehmen zu können. Das ist ein Mehrwert der Schweiz.
Sanktionen verbauen uns unsere Position als Vermittlerin. Eine neutrale Schweiz bringt der Konfliktlösung mehr.
— Elisabeth Schneider-Schneiter (@Elisabeth_S_S) February 22, 2022Externer Link
Aber in diesem Fall hat ja Frankreich die Vermittlerrolle an sich gerissen.
Ich würde Frankreich diese Rolle momentan noch absprechen. Macron organisierte zwar das [inzwischen abgesagte] Treffen zwischen den Aussenministern Blinken und Lavrov am Donnerstag und ist wie Olaf Scholz und Joe Biden gereist. Frankreich war wichtig beim Normandie-Format, wo es zusammen mit Deutschland die Ukraine und Russland an einen Tisch gebracht hat, allerdings implodiert das gerade.
Zudem hat in diesem Normandie-Format die Schweiz ebenfalls hinter den Kulissen eine Vermittlerinnenrolle gespielt – auch wenn man es nicht gesehen hat. Auch über die OSZE hat die Schweiz eine wichtige Rolle gespielt, dort waren einige Schweizer:innen an wichtigen Positionen. Insofern würde ich die Schweiz nicht leichtfertig abschreiben, sie ist noch im Rennen.
Wie wichtig ist es aus friedenspolitischer Sicht, dass sich die internationale Gemeinschaft aufs Völkerrecht beruft und Russlands Vorgehen verurteilt?
Unsere Weltordnung kann nur bestehen, wenn wir Völkerrecht respektieren und Verletzungen nicht unkommentiert durchgehen lassen. Es ist sehr wichtig, zu verurteilen und anzuprangern, was passiert und dies nicht kleinzureden. Sonst gehen wir zurück zu einem Zeitalter, wo man sich mit Gewalt das nehmen kann, was man will.
Auf Twitter fordern Ukrainer:innen, dass im Rahmen der Sanktionen Bankkonten russischer Machthaber in der Schweiz gesperrt werden.
Nach derzeit geltendem Recht geht das nicht, ausser die EU geht vor und die Schweiz zieht nach, so wie 2014 bei der Krimannexion.
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