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Ungarn dankt der Schweiz

Im Herbst 1956 gab es in der Schweiz etliche Solidaritätskundgebungen für das ungarische Volk. RDB

Am 23. Oktober gedenkt Ungarn in Anwesenheit etlicher Staats- und Regierungschefs des Aufstands von 1956. Die sowjetische Armee schlug die Revolte damals blutig nieder.

Geladen ist auch der Schweizer Bundespräsident Moritz Leuenberger – als Zeichen der Dankbarkeit für die Aufnahme tausender ungarischer Flüchtlinge vor 50 Jahren.

Für die Gedenkfeiern haben die ungarischen Behörden Vertreter all jener Länder eingeladen, welche die rund 200’000 ungarischen Flüchtlinge aufgenommen hatten.

Die Schweiz gewährte damals 14’000 Ungarn, die vor dem kommunistischen Regime geflohen waren, Asyl.

Das Schicksal der Ungarn weckte im Herbst 1956 grosse Emotionen, auch in der Schweiz. Die Ereignisse lösten die grösste Solidaritätsaktion nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges aus.

«Unsere Grenzen und unsere Herzen öffneten sich für Tausende von ungarischen Flüchtlingen. Diese Solidarität der Schweiz und anderer Länder gab dem ungarischen Volk zu verstehen, dass uns sein Schicksal nicht gleichgültig liess.» Dies erklärte Bundespräsident Moritz Leuenberger am Montag in einer Botschaft an die Regierung und die Bevölkerung Ungarns.

«Ich war damals zehn Jahre alt. In diesem Alter wusste ich noch nicht genau, wo Ungarn war. Aber der Freiheitskampf des ungarischen Volkes und die Intervention der Sowjet-Truppen haben in mir das politische Bewusstsein geweckt, und zum ersten Mal erkannte ich, dass Europa zweigeteilt war», so Leuenberger weiter.

Welle der Solidarität

Ein Blick zurück: Am 29. Oktober gehen Tausende von Studenten in Zürich auf die Strasse, um den ungarischen Aufstand zu unterstützen. Am gleichen Tag wird ein Verein gegründet, um konkrete Hilfe zu organisieren.

Innerhalb von wenigen Stunden werden Tausende von Franken und tonnenweise Hilfsgüter gesammelt: Lebensmittel, Kleider und sogar von Studenten gespendete Blutkonserven.

Am 30. Oktober bricht ein erster Schweizer Hilfskonvoi nach Ungarn auf, am 2. November folgt ein zweiter.

Spätestens am 4. November, als die sowjetischen Panzer den Aufstand mit Gewalt niederschlagen, greift die Solidaritätswelle von den Studenten auf die ganze Schweizer Bevölkerung über.

Protest und Grosszügigkeit

In verschiedenen Städten kommt es zu eindrücklichen Kundgebungen. Alle möglichen Hilfssammlungen werden lanciert. Camions, Sonderzüge und Flugzeuge werden für den Transport bereit gestellt.

Musiker veranstalten Benefizkonzerte. In den Unternehmen verzichten Kaderleute und Angestellte auf ihren 13. Monatslohn, um das Geld zu Gunsten von Ungarn einzusetzen. In den Schulen nähen Schülerinnen und Schüler Decken zusammen.

Als der Aufstand am 20. November definitiv niedergeschlagen wird, gibt es in der ganzen Schweiz drei Schweigeminuten zum Gedenken an die Opfer der Unterdrückung.

Ankunft der Flüchtlinge

Diese Welle der Solidarität und Hilfsbereitschaft hält auch bei Ankunft der ungarischen Flüchtlinge an. Zwischen November und Dezember entscheidet die Schweizer Regierung, 14’000 Menschen aus Flüchtlingslagern in Österreich aufzunehmen.

Die Flüchtlinge kommen mit Sonderzügen in der Schweiz an. Und werden triumphal empfangen. Es gibt Kleider, Nahrungsmittel und Geschenke. Zuerst werden sie in Kasernen, öffentlichen Gebäuden, Hotels und Pensionen untergebracht, danach auf alle Kantone verteilt.

Aus der Bevölkerung kommen spontan Arbeits- und Unterkunftsangebote für die Ungarn. Trotz einiger Verständigungs-Schwierigkeiten und den unterschiedlichen Kulturen erfolgt die Integration der Neuzuzüger schnell.

Nicht nur Hilfsbereitschaft

Historiker betonen gerne, dass diese Hilfsbereitschaft nicht nur aus reiner Grosszügigkeit erfolgte. Es gab auch andere Faktoren wie Antikommunismus, den Bedarf an ausländischen Arbeitskräften während des Wirtschaftsbooms in den 50er-Jahren und den Willen zur Wiedergutmachung nach der Schliessung der Grenzen für Flüchtlinge während des Zweiten Weltkrieges.

Aber einig sind sich die Historiker in der Einschätzung, dass der Herbst 1956 eine Periode in der Schweizer Geschichte war, auf die sie stolz sein könne.

«Vor 50 Jahren hat die Schweizer Bevölkerung bewiesen, dass Neutralität nichts mit Passivität oder Gleichgültigkeit zu tun hat. Auch heute muss sich die Schweiz weiterhin humanitär engagieren», erklärte Bundespräsident Moritz Leuenberger am Montag weiter.

swissinfo, Armando Mombelli
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Am 23. Oktober 1956 wächst eine kleine Kundgebung von Studenten in Budapest in kürzester Zeit zu einer Massendemonstration gegen das kommunistische Regime an. Hunderttausende von Personen nehmen daran teil.

Tags darauf geht die Bevölkerung in weiteren Städten Ungarns auf die Strasse. Gefordert werden Presse- und Meinungsfreiheit, freie Wahlen sowie die Unabhängigkeit von der Sowjetunion.

Am 4. November marschiert die Rote Armee ein und unterstützt die Niederschlagung des Aufstands. Bei heftigen Auseinandersetzungen verlieren 2600 Ungarn ihr Leben. Tausende von Personen werden verhaftet und Hunderte zum Tode verurteilt.

Zwischen November und Dezember fliehen 200’000 Ungarn nach Westeuropa. Die Schweiz nimmt 14’000 Flüchtlinge auf.

In der Schweiz leben zur Zeit zirka 4000 ungarische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger.
1600 Schweizerinnen und Schweizer leben in Ungarn.
In den meisten Fällen handelt es sich um ehemalige ungarische Flüchtlinge, die nach ihrer Pensionierung in der Schweiz in ihr Heimatland zurückgekehrt sind.

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