Usama Al Shahmani: Vom Exilautor zum Schweizer Schriftsteller
(Keystone-SDA) Mit «Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt», veröffentlicht Usama Al Shahmani seinen dritten Roman. Der Schriftsteller mit irakischen Wurzeln hat sich in der Schweiz als Autor etabliert. Ein Gespräch.
Usama Al Shahmani kritzelt manchmal «Nehr», das arabische Wort für Fluss auf Tischsets oder Servietten. Oder «Tär», was auf Deutsch Vogel bedeutet. «Unbeschriebenes Papier macht mich nervös. Ich muss es füllen», sagt er gegenüber Keystone-SDA.
«Wörter speichern Gefühle»
Warum gerade mit diesen Wörtern? Das wisse er gar nicht so genau. Aber Wörter speichern Gefühle, zeigt sich Al Shahmani überzeugt. Allein ihr Klang könne etwas auslösen. Er offenbart damit eine Ähnlichkeit zu Dafer, dem Protagonisten seines dritten, autobiografisch geprägten Romans. In «Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt» pflegt Dafer Worte wie Schätze.
Dafer versucht, sein aktuelles Ich mit jenem von früher in Einklang zu bringen: Den Akademiker, der geflüchtet ist, mit dem Tellerwäscher, der in einem Restaurant arbeitet. Doch immer wieder holt ihn die Vergangenheit ein, der Krieg, die Flucht, die Angst.
Al Shahmani versteht es auch in seinem neuen Roman, Erinnerungen und Rückblenden einzubauen wie Schlaglichter. Danach ist alles in eine andere Farbe getaucht. Es sind Gerüche, die Al Shahmanis Figuren in die Heimat zurückversetzen können, Klänge, Materialien, Farben oder eben: Wörter.
Wo ein Wort gefährlich sein kann
Der Autor und Literaturwissenschaftler wurde 1971 in Bagdad geboren und wuchs im Südirak auf. Er wurde in einem diktatorischen System gross, in dem alles, ein einzelnes Wort oder ein Witz, mit Gefängnis oder Tod enden konnten. Schon als Kind und Jugendlicher war sich Al Shahmani dieser Gefahr bewusst. Er schrieb seine Ängste und Wünsche auf, vernichtete die Texte aber gleich wieder, aus Angst vor Konsequenzen.
Schreiben sei ihm immer ein Bedürfnis gewesen, eine Art Selbstgespräch, erzählt Al Shahmani bei einem Kaffee in Frauenfeld, wo er seit fast zwanzig Jahren wohnt. «In einer Diktatur zu leben, heisst zu schweigen, weil alles andere zu gefährlich ist. Es heisst, im Schatten zu leben. Indem ich schrieb, konnte ich für kurze Zeit helle Momente erschaffen.»
Auch mit Literatur aus der Stadtbibliothek, darunter nicht zensurierte russische und französische Klassiker, konnte sich der junge Al Shahmani in andere Welten flüchten. Vielleicht auch deshalb studierte er später in Bagdad moderne arabische Literatur. Im Alter von dreissig Jahren, er war gerade dabei, zu doktorieren, musste Al Shahmani wegen eines regimekritischen Theaterstücks fliehen.
Al Shahmani brachte sich selbst Deutsch bei, indem er unzählige deutschsprachige Bücher las und analysierte. Einen Sprachkurs besuchte er nie. «Die deutsche Sprache hat mich von Anfang an fasziniert, etwa die Möglichkeit, mit Nebensätzen fast endlos lange Sätze zu schreiben. Und je tiefer ich in diese Sprache eintauche, desto mehr gefällt mir auch ihr Klang.»
Vom Arabischen ins Deutsche
Zur eigenen Schreibe fand Al Shahmani erst nach mehreren Jahren wieder zurück. Einen bisher unveröffentlichten Text schrieb er auf Arabisch, danach wechselte er auf Deutsch. Sein Schreibstil lebt von der arabischen Kultur, selbst wenn er in der Sprache seines Exils schreibt. Das zeigt sich auch im neuen Roman, nicht zuletzt in der Bildhaftigkeit.
Al Shahmani hat Aussergewöhnliches geschafft: sich als Schriftsteller zu etablieren, in einer Sprache, die nicht die Muttersprache ist. Sein Debüt «In der Fremde sprechen die Bäume arabisch» (2018) wurde mehrfach ausgezeichnet. Seit 2021 ist er Literaturkritiker beim «Literaturklub» von SRF. Im Juni 2022 trat er an den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt auf.
Al Shahmani fühlt sich denn auch angekommen. «Ich bin ein Schweizer Schriftsteller mit irakischem Hintergrund», sagt er bestimmt. «Ich schreibe für den deutschsprachigen Raum. Deshalb sehe ich mich nicht in erster Linie als Exilautor.»*
*Dieser Text von Maria Künzli, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.