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Verzwickte Situation vor den Genfer Wahlen

Am Sonntag wird in Genf der "Grand Conseil du Canton de Genève" gewählt. Keystone

Die Stimmberechtigten im Kanton Genf wählen am Sonntag ein neues Parlament. Die politische Lage im Grenzkanton ist angespannt.

Nach einer Legislatur, in der sich das linke und rechte Lager gegenseitig blockierten, ist die Genfer Politik polarisierter denn je. Ein Sonderfall in der Schweiz.

In Genf blockieren sich die beiden extremen Lager links und rechts gegenseitig. Das ausgleichende Zentrum ist schwach. Das Ergebnis ist eine gegenseitige Lähmung. Sie droht am Sonntag an der Urne bestätigt zu werden, sagt der Politologe Pascal Sciarini.

«Etliche Stadtbezirke und auch mehrere Gemeinden im Kanton haben sich am 25. September in der nationalen Volksabstimmung gegen die Ausdehnung des freien Personenverkehrs auf die neuen EU-Länder ausgesprochen», sagt Sciarini.

«Wenn diese Wähler am Sonntag zahlreich an die Urne gehen, dann ist mit einer weiteren Zersplitterung der politischen Landschaft in Genf zu rechnen», gibt Sciarini zu bedenken.

Das würde eine Tendenz verstärken, die bei den letzten Wahlen eingetreten war. Vor vier Jahren hatte die vor allem in der deutschsprachigen Schweiz erfolgreiche rechtsbürgerliche Schweizerische Volkspartei (SVP/UDC) ihren historischen Eintritt ins Genfer Kantonsparlament (Grossrat) geschafft.

Lähmung

So hofft denn die Linke heute, dass sie am Wochenende ihre einstige Mehrheit im Genfer Grossrat zurückerobern kann. Allerdings, auch die Linke in Genf ist stark zersplittert. Die «Rückeroberung» könnte denn auch nur gelingen, wenn die ultralinke Allianz die für den Einzug in das Parlament notwendige 7-Prozenthürde überspringt.

Nach dem «Vorbild» der rechten Parteien haben sich auch die linken Kräfte radikalisiert, um die Gunst der Wählerinnen und Wähler zu erhalten. Das führte zu der bereits angesprochenen Polarisation der Meinungen und der gegenseitigen Lähmung der politischen Arbeit.

Das alles, sagt Pascal Sciarini, verhindert nun allerdings einen Wahlausgang nicht zum Voraus ganz, bei dem eine Konsenspolitik wieder möglich wäre und welche die «Baustelle Genf» endlich weiterbringen könnte.

«Die populistische Rechte, wie die extreme Linke ist in diverse sich konkurrierende Lager gespalten. Etliche dieser Gruppierungen könnten deshalb die 7%-Hürde nicht schaffen und so den Einzug ins Parlament verpassen. Das würde der Mitte zugute kommen», sagt der Genfer Politologe.

Kleinstaaterei unter französischem Einfluss

«Eines ist sicher. Genf unterscheidet sich einmal mehr von der übrigen Schweiz. Die Polarisierung in der Genfer Politik – die verbale Konfrontation, welche die politischen Auseinandersetzungen kennzeichnen – haben in der übrigen Schweiz nichts Gleichwertiges», sagt Sciarini.

Der Journalist Stéphane Bussard erklärt den «Sonderfall Genf» mit dem starken Einfluss, den Frankreich auf den Grenzkanton ausübt, mit dem Genf rund hundert Kilometer Grenze teilt (gegenüber lediglich 4 Kilometer mit der Schweiz).

Nicht nur sind die Gefühle für das Poltische zwischen Genf und Frankreich ähnlich, viele Genfer teilen auch die Auffassung darüber, was der Staat sein soll: eine Art allumfassend sorgende Mutter.

Und die Folge davon: Genf ist der letzte Kanton der Schweiz, der es ablehnt seinen öffentlichen Dienst zu reformieren. An Bremsern mangelt es nicht. Wobei die Rechte die Linke dafür verantwortlich macht. Eine Diskussion, die in Frankreich ganz ähnlich verläuft.

Widersprüche

Diese Radikalisierung des politischen Klimas habe, so der Journalist und Autor, dessen Buch «Le malaise genevois» jüngst veröffentlicht wurde, seine Wurzeln gleichzeitig im Lokalen und im Internationalen.

«Auf der einen Seite haben wir das Genf mit seinen internationalen Organisationen und seinen auf dem Weltmarkt tätigen Unternehmen. Auf der andern Seite findet sich eine stetig wachsende Anzahl von Menschen, die von dieser Welt ausgeschlossen sind», sagt Bussard.

Fazit: «Ob in Genf oder in der übrigen Welt, der Graben, der diese beiden Welten trennt, wird immer grösser.»

swissinfo, Frédéric Burnand, Genf
(Übertragung aus dem Französischen: Urs Maurer)

Am 9. Oktober wählen die Stimmberechtigen von Genf ihr Kantonsparlament.

376 Personen bewerben sich um die 100 Sitze, davon sind 129 Frauen in 10 Parteien und Gruppierungen (von ganz links bis ganz rechts).

Die Sitze im Genfer Kantonsparlament sind zur Zeit so verteilt: Liberale 23, SP 19, Linksallianz 13, CVP, 12, FDP, 12, Grüne 11 und SVP 10.

Zahlen zum Kanton Genf:

Einwohner: 428’000 (CH: 7’418’00)
Arbeitslosigkeit: 7,1% (CH: 3,9%)
Leerwohnungsziffer: 0,15% (CH: 0,91%)
Einkommen pro Einwohner: 52’074 Franken (CH: 48’606 Fr.)
Ausfuhren: 10,465 Mrd. Franken (CH 147,4 Mrd.)
Einfuhren: 7,7 Mrd. Franken (CH: 138,8 Mrd.)
Monatsgehalt brutto: 6’6062 Franken (CH: 5’379 Fr.)

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